Tagebücher
Die Tagebucheinträge sind nach der Gesamtzahl der Sitzungen beider Gruppen strukturiert. Jedes Buch erzählt eine durchgehende Geschichte aus der jeweiligen Sichtweise des Charakters, der es geschrieben hat.
Gemeinsam ergeben diese Bücher die Zusammenfassung aller Ereignisse der Kampagne.
Sitzung 88
Das weitere Gespräch mit Lady Al’Chara war nur wenig hilfreich. Über die Verwendung Posetines für die Erschaffung der Nexi wusste sie ebenso wenig wie wir, noch wusste sie, inwiefern sie nun mit den Nexi in Verbindung stünde. Jedoch erzählte sie, dass ihre Verbindung zum Großen Roten eine mögliche Erklärung dafür sein könne, dass sie in letzter Zeit deutlich willensstärker geworden sei. Das ließ uns aufhorchen - wie viel vom Großen Roten steckte wohl in seiner – ich weiß nicht, ob man wirklich von Tochter sprechen konnte – in seinem Abkömmling? Ob sie eine Gefahr für uns darstellte? Doch auch darauf wusste Al’Chara keine eindeutige Antwort. Beunruhigend, ganz ohne Zweifel … direkt in Zoica befand sich eine potentielle geistige Nachfolgerin des Roten und wir wussten rein gar nichts über sie. Und wenn sie wirklich gewisse Züge von ihrem “Vater” geerbt haben sollte – nun, wie wir erfuhren, hatte der Große Rote sich nicht viel aus Abmachungen gemacht, nichtmal aus denen unter Drachen, die eine besondere Bedeutung zu haben schienen.
Bevor wir darüber informiert wurden, dass Posetine nicht im Traum daran dachte, sich zu uns gesellen (wirklich ärgerlich, dass Garret seine Autorität als Herrscher nicht mehr nutzte, es würde so vieles einfacher machen), kam das Gespräch noch kurz auf das Thema des Falls von Ak’Therion und Al’Charas Rolle darin. So wie sie es erzählte, war Cenereth verraten und getötet worden und sie selbst habe zwar viele der Hextor getötet und verbrannt, war aber letzten Endes unterlegen gewesen. Es war der Moment, in dem ich froh darüber war, dass Garret damals den Pakt eingegangen war, offenbar hatten die Hextor, oder zumindest Mundo Erfahrung darin, gegen Drachen zu kämpfen – das war hilfreich. Nicht, dass ich den Hextor deswegen mehr traute …
Interessanterweise schien der Rote kein Interesse daran zu haben, Al’Chara und Yonci zu töten, nachdem er ihre Gatten erledigt hatte und bot ihnen Frieden an. Einmal abgesehen, dass dieser “Frieden” dazu geführt hatte, dass beide im Kerker eingesperrt wurden – warum hatte er sich Al’Chara nicht einfach entledigt? Es musste ihm klar sein, dass sie früher oder später gegen ihn arbeiten würde und potentiell ein Risiko darstellte. Allein schon ihre Fähigkeit, das Buch für uns zu übersetzen, bewies das. Nachlässigkeit schien eigentlich nicht zu den Eigenschaften des Roten zu gehören. Yonci hatte er für seine Zwecke eingesetzt. Hieß das, dass auch Al’Chara noch eine Rolle in seinen Plänen spielte? Und wenn ja, welche? Es war zum verrückt werden mit diesen verfluchten Drachen, jede Antwort führte nur weiter in den Kaninchenbau.
Aber vorerst würden die weiteren Überlegungen warten müssen, vielleicht würde das Gespräch mit Posetine weiterhelfen. Al’Chara machte deutlich, dass sie es für besser hielte, wenn wir ihr die Wahrheit über ihre Herkunft erzählten. Sie würde es ohnehin herausfinden und wenn wir sie anlögen, würde uns das potentiell schaden. Eine durchaus vernünftige Argumentation, doch wir hatten leichte Vorbehalte. Was wäre, wenn sie sich daraufhin dem Großen Roten anschließen würde? Welche Option hätten wir, sie davon abzuhalten? Al’Chara würde offensichtlich keine Hilfe sein, sie hielt sich trotz allem sklavisch an den dämlichen Ehrenkodex unter Drachen. Letzten Endes kamen wir dennoch zähneknirschend zum Entschluss ihrem Rat zu folgen.
Zu meiner Überraschung – und wenn ich es richtig las, auch der der anderen – befand sie sich demletzt wohl des öfteren mit Slate im Kerker und wäre auch jetzt gerade da. Ich hätte es bevorzugt, sie zu uns zu holen, um die Machtverhältnisse klarzustellen, doch die anderen kannten sie besser und waren wohl der Ansicht, dass das aussichtslos wäre und wir genauso gut dorthin gehen konnten. Nun ja. Auf dem Weg nach unten erwartete uns handfeste, unangenehme Überraschung: Die Schatzkammer von Zoica, bei unserer Abreise gut gefüllt, war leer! Mein Kopf spielte die Möglichkeiten durch. Gestohlen? Unmöglich, das wäre uns gesagt werden, so etwas wäre aufgefallen. Pleite? Nein, Gereon hatte eindeutig gesagt, dass die Steuereinnahmen sprudelten. Verlegt? Vermutlich, aber wohin und warum? Die Kammer war gut gesichert gewesen, nicht nur durch die Tür, sondern auch die Scharade im Vorraum. Die Antwort erwartete uns später, doch der Reihe nach.
Zunächst einmal gingen wir an den Gefangenen vorbei nach unten. Die Wache wollte uns zunächst nicht durchlassen, selbst als wir auf Garret zeigten und sagten, wir seien auf sein Geheiß hier unten – der Befehl einer Königin wiege schwerer als der eines Herrschers. Königin? Mir schwante übles, versuchte Posetine, die Macht hier in einer zweiten, stillen Revolution zu übernehmen? Und wenn ja, war es auf Grund von Al’Charas idiotischen Lehren der grundsätzlichen Überlegenheit der Drachen in allen Dingen und Geburtsrecht, oder der machthungrige Teil ihres Vaters? Es wurde wirklich Zeit, die Verhältnisse hier zu klären, bevor Zoica an jemanden fiel, über dessen Herkunft und Persönlichkeit wir uns nicht im Klaren sein konnten und am Ende vielleicht sogar dem Großen Roten mit Zoica unsere Basis – Heimat? – in die Hände legen würden. Als wir um die Ecke bogen, verriet Rals und Garrets Reaktion, dass hier etwas passiert war. Es gab keine Zellen mehr, stattdessen war der Gang massiv erweitert worden. Weiter hinten hörten wir Arbeitsgeräusche, also gingen wir weiter. Wir betraten eine ausgesprochen gewaltige Halle, in der Posetine stand und Slate Anweisungen gab, die dieser bearbeitete. So beeindruckend die Halle war, so sehr machte sie mich wütend. Zum einen lag das daran, dass Posetine Slate zu selbstsüchtigen Zwecken missbrauchte, obwohl er wichtigeres zu tun hatte. Beispielsweise Gerüste für Verteidigungsanlagen bauen, damit die Arbeiten nach Eintreffen der Lieferung zügig beginnen konnten. Zum anderen hatten wir hier die Antwort, wo Zoicas Steuereinnahmen hingekommen waren ... hierhin. Diese verfluchte Posetine hatte alles hierher geschafft. Nein, vermutlich eher schaffen lassen und weitere Leute von wichtigeren Aufgaben für ihre persönlichen Zwecke abgezogen.
Ich hatte die Schnauze voll von Drachen und ihrer selbstsüchtigen Art. Es wurde Zeit, dem jungen Schuppenvieh vor uns einmal den Kopf gerade zu rücken. Ihre Reaktion würde potentiell auch etwas über ihre Absichten verraten. Und so hielt ich mich nicht zurück – sehr befreiend nach dem eher diplomatischen Ton gegenüber Al’Chara. Allerdings teilten meine Gefährten meine Einschätzung der Lage wohl nicht, Ralkarion murmelte mir zu, ich solle sie lieber nicht verärgern, Krathus hatte nur Augen für das Gold und Garret … nun, dazu später. Posetine versicherte jedenfalls, sie habe nur das Beste für die Menschen in Zoica im Sinn und das Gold sei ja hier viel sicherer als vorher. Zum zweiten Punkt konnte ich ihre Einschätzung nicht teilen, es sei denn, sie beabsichtigte, den Rest ihres Lebens hier in der Höhle beim Gold zu hocken. In dem Fall hätte sie sogar Recht, doch ich bezweifelte es. Was das erste anging, glaubte ich kein Wort. Schöne Worte, doch alles, was sie in den vergangenen drei Wochen getan hatte, war sich zur Königin zu krönen und sich selbst eine Höhle zu bauen. Nebenbei gesagt finde ich es merkwürdig, dass Drachen, also fliegende Kreaturen, einen Hang dazu zu haben schienen, ihre Höhle unter der Erde oder Bergen zu bauen. Aber der Reihe nach. Wie gesagt, ihre Worte waren aus meiner Sicht wenig dazu geeignet, mein Misstrauen ihr gegenüber zu zähmen, eher im Gegenteil. Daher half es wenig, dass sie mit der Wahrheit über ihren Vater konfrontiert beteuerte, dass sie nicht vorhabe, sich ihm anzuschließen. Sie war schwer zu lesen. Selbst wenn sie nicht log, zeugte ihr bisheriges Verhalten aus meiner Sicht von grandioser Inkompetenz als Anführerin einer Stadt und einer Selbstsucht, die sich jemand in dieser Position nicht erlauben durfte, wenn ihre Herrschaft andauern sollte. Irgendwann käme der nächste Garret und stieße sie vom Thron, wie ich sie warnte.
Apropos Garret: Dieser hingegen schien dermaßen davon besessen zu sein, seine Verantwortung als Herrscher abzugeben, dass er unmissverständlich klarmachte, dass er Posetines Regentschaft als Königin anerkannte ... War der verrückt geworden? Nicht nur, dass wir sie noch überhaupt nicht einschätzen konnten, wir verloren auch Zugang zu all den Ressourcen, die wir gehabt hätten, was unsere Mission deutlich erschweren dürfte. Einmal ganz davon zu schweigen, dass es damit auch deutlich schwieriger werden dürfte, Allianzen zu schmieden. Wir würden kaum darauf setzen können, dass andere Kräfte sich mit Zoica verbündeten, nur weil wir ihnen irgendwelche Gefallen taten, wo wir nicht einmal das Sagen dort hatten. Und offiziell verhandeln konnten wir nun gar nicht mehr, solange uns die “Königin” nicht ihren Auftrag erteilte – und ich hatte wenig Lust darauf, nach ihrer Pfeife zu tanzen, sie schien kaum die dafür nötige Weitsicht zu haben, ihr gesamtes Verhalten zeigte das. Doch nun war das Kind wohl in den Brunnen gefallen, zumindest vorerst.
Eine weitere, äußerst interessante wie Besorgnis erregende Entwicklung gab es darüber hinaus. Als Krathus Posetine das Banner zeigte, schien sie auf eine gewisse Weise damit zu reagieren. Wie Ralkarion später erzählte, gab es einen Energieaustausch zwischen dem Banner und Posetine, offenbar eine versteckte Funktion des Banners. Was mich darüber hinaus beunruhigte war, dass sich bei diesem Energieaustausch über Posetines Kopf eine Krone bildete. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Die Energie des Divine Nexus erzeugte eine Krone über Shadars “Tochter” … sollte das ein Omen sein, dann gute Nacht, das verhieß nichts Gutes. Posetine schien davon nichts mitzubekommen und fragte mehrfach danach, das Banner wieder zu entfalten, was Krathus in seiner Naivität natürlich tat. Ich fragte mich, ob Posetine wirklich nichts bemerkte und auch in diesem Punkt schlicht inkompetent war oder ob sie log. Zum einen erschien es mir kaum möglich, mit etwas so mächtigem wie Nexusmagie zu interagieren und nichts davon zu merken, andererseits hatte sie auch nicht gemerkt, dass sie benutzt wurde, um die Nexi zu erschaffen. Oder vielleicht doch? Wen hatte Garret da nur zur Königin gemacht …
Auf dem Weg zurück sprach ich Garret scharf darauf an und sagte ihm, dass ich sein Handeln für einen massiven Fehler hielt. Damit hatte ich offenbar einen Nerv getroffen. Garret explodierte und warf mir vor, immer nur destruktiv alles zunichte zu kritisieren, aber selbst keine Vorschläge zu machen. Das war zwar so nicht richtig, meine Vorschläge waren lediglich abgelehnt worden, aber was er sagte, brachte mich dennoch zum Überlegen. Ich hatte in der Tat verstärkt Schwierigkeiten, andere einzuschätzen und wirkte laut Ral recht arrogant. Damit konnte ich leben, doch wenn mein Verhalten zu Rissen in der Gruppe führte, dann war das ein Problem, um das ich mich kümmern musste. Doch nicht hier und jetzt. Fürs Erste äußerte ich nur vorsichtig, dass ich wirklich hoffte, dass Garrets Einschätzung von Posetines Regierungsfähigkeit richtig war – das tat ich tatsächlich, wenngleich ich große Zweifel daran hatte. Scheinbar schien meine neue Freiheit Kosten zu haben, die ich bisher noch nicht in Betracht gezogen hatte …
Wir verließen den Compound, um bei den Rachwoodlern nach dem rechten zu sehen, doch diese waren fast vollständig ausgezogen, um die Stadt unsicher zu machen. Ein amüsanter Gedanke, der mich auf die Idee brachte, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, als Gruppe den Abend in einer Taverne zu verbringen. Es gäbe einiges zu besprechen. Der Vorschlag wurde angenommen, allerdings wollte Krathus noch auf Vorschlag seiner Mutter … ähem … Eier besorgen und Ralkarion derselben in der Zwischenzeit einen Teil der Stadt zeigen. Daher machten zunächst nur Garret und ich uns auf den Weg. Schweigend. Er hatte vermutlich wenig Lust, mit mir zu sprechen und ich war bereit, ihm das zu lassen. Hoffentlich hätte er später dadurch wieder einen klaren Kopf. Einige Zeit später, nachdem wir im Lurker’s eingetroffen waren, dass auch von einigen Rachwoodlern besucht war, tauchte Krathus in Begleitung eines anderen Garret auf, der sich kurz darauf in Ralkarion verwandelte. Ich ahnte schon, wer da vor uns stand und als er anfing zu sprechen, bestand kein Zweifel mehr daran, dass es Angstrum war, der Krathus gründlich an der Nase herumgeführt hatte – ein Gefühl, das den Kobold gleich nochmal ereilte, als er auf den Besen in der Ecke hereinfiel.
Sehr zu Angstrums Ärger klärten wir Krathus über dessen Funktion und Fähigkeiten auf und obwohl ungeladen, kam seine Anwesenheit nicht ungelegen. Nachdem Ral eingetroffen war, wir ein wenig Geplänkel hinter uns gebracht hatten und jeder reihum den wie ein Wasserfall plappernden Angstrum angewiesen hatte, die Klappe zu halten, kam das Gespräch auf den Nexus in Azoicstrum. Wir sprachen kurz darüber, Angstrum zeigte uns sein Armband, dass er sich gebaut hatte, um denselben fernzusteuern, doch bevor wir in die Tiefe gingen, zogen wir uns auf ein Zimmer nach oben zurück. Wer konnte schon wissen, wer unten zuhörte? Die erste beunruhigende Nachricht war, dass ein Trupp Koboldpaladine bei Azoicstrum eingetroffen war. Zwar waren sie von den Verteidigungsanlagen vaporisiert worden und den Involvierten die Erinnerung daran genommen worden, doch ich war trotzdem alarmiert. Sicher, der Tod der Kobolde mochte, wie Ralkarion vermutete, keinerlei Fragen nach sich ziehen, da Kobolde ständig starben. Andererseits: Was, wenn nicht? Was wenn nachgeforscht wurde? Dann wäre der Große Rote dicht davor, den vierten Nexus zu entdecken, das durfte nicht passieren. Zumal laut Krathus die Kobolde des Paladincorps auf Pilgerfahrt gingen und eine Art Eliteeinheit darstellten. Aus Ravengrove wusste ich, dass Eliteeinheiten normalerweise nicht einfach aufgegeben wurden – was wäre wohl gewesen, wenn Arina zu so einer Einheit gehört hätte? Aber egal, darum sollte es jetzt nicht gehen, also schob ich den Gedanken beiseite.
Als Antwort auf dieses Problem kamen Ralkarion und ich recht schnell auf denselben Gedanken: Wir mussten eine Ablenkung schaffen und es so aussehen lassen, als wäre der Nexus ganz woanders. Angstrum konnte Kugeln mit Nexusmagie erschaffen. Könnte man diese an anderer Stelle platzieren? Ich schlug den Norden vor, da es aus meiner Sicht logisch erschien, was die Position anging, doch Ralkarion hatte eine bessere Idee. Er hatte vorkurzem Bekanntschaft mit einer unangenehmen Wasserhexe gemacht. Sorgten wir nun dafür, dass dort nach dem Nexus gesucht wurde, bot dies zum einen eine plausible Erklärung, warum der Nexus bisher nicht gefunden wurde, zum anderen würden eine Menge Kobolde im Dienste das Großen Roten dabei sterben, sich mit der Hexe auseinanderzusetzen. Eine klassische Win-Win-Situation, insbesondere als Angstrum uns darauf hinwies, dass wir nicht einmal persönlich dorthin müssten... er könnte den Nexus einfach benutzen, um dort eine entsprechende Projektion zu erzeugen. Was wiederum hieß, dass die Hexe nichtmal eine Chance hätte, eine Kugel mit Nexusenergie in die Finger zu bekommen. Der Plan gefiel mir gut. Ich schlug noch vor, dass wir die getöteten Kobolde mit gelöschter Erinnerung per Wunsch dort wiederbeleben sollten, um auch dieses potentielle lose Ende loszuwerden, doch die Magie dieses Nexus gab das nicht her. Mir blieb also nur das Hoffen und Vertrauen auf den neugeborenen Plan.
Mein aufkeimender Optimismus wurde im Keim erstickt, als Ralkarion Angstrum darum bat, die ihm verbliebene Nexusenergie zu nutzen, um Melodys illusorisches Äußeres wiederherzustellen. Da Angstrum sich offenbar Hals über Kopf in sie verliebt hatte, kam er dieser Aufforderung nur zu gerne nach, sehr zu meinem Ärger. Wir wussten zu wenig über Nexusmagie, aber wussten, dass die Kobolde danach suchten. Krathus hatte Angstrum orten können, weil ihm Nexusmagie anhaftete, die er nicht nutzte. Wer sagte, dass der Einsatz von Nexusenergie – also etwas, was in den Augen des Großen Roten und seiner Untergebenen nur diejenigen tun konnte, die über den vierten Nexus verfügten – nicht wie ein Leuchtfeuer von weiter her ortbar war? Es war wohl kaum ein Zufall, dass die Kobolde nach Jahren der Suche genau dann nach Azoicstrum kamen, nachdem dort der Nexus aktiviert worden war. Für die Eitelkeit eines einzelnen gekränkten Wesens die Entdeckung des Nexus aufs Spiel zu setzen schien mir weder klug noch weise. Ich hätte es bevorzugt, sie hätte gelernt, damit zu leben. Ich konnte es mir nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, doch hielt mich dann zurück – für solcherlei Diskussionen musste offenbar erstmal ein Rahmen abgesteckt werden, über den wir bisher nicht gesprochen hatten. Ich hatte vor, das zu ändern. Die Streitigkeiten in der Gruppe, an denen auch ich nicht unschuldig war, schwächten uns unnötig …
Sitzung 88
Etwas in Gedanken verloren ging unsere Unterhaltung mit Al’chara weiter. Mich trieben noch einige Fragen umher. Und zu meinem Erstaunen beantwortete sie diese gar nicht so widerwillig … für ihre Verhältnisse.
Wir erfuhren, dass Cenereth eines Tages einfach aufbrach und nie wieder kam. Scheinbar hatte er zu jenem Zeitpunkt den Zusammenstoß mit Shadar. Das erklärte auch wieso sie ihm nicht zur Seite stand. Etwas, dass mich seit längerer Zeit wunderte. Gemeinsam hätten sie dem Treiben Shadar’s doch direkt Einhalt bieten können. Zu dritt sogar noch eher. Wäre Arcalis nicht so sorglos mit der Situation umgegangen. Ja, er bemerkte den Wandel der Machtverhältnisse, vermied es jedoch vor einer größeren Stärkung des Roten einzuschreiten. So wurde der Kreis seiner Alliierten und damit Möglichkeiten immer kleiner über Zeit.
Tatsächlich aber kämpfte Al’chara in Ark’Therion gegen die Hextorlegionen. Und verlor. Es wollte nur schwer in meinen Kopf, dass ein mächtiger Drache nicht einfach durch eine Ansammlung von Truppen mähte. Mithilfe ihres göttlichen Bundes hatten die Hector aber wohl einen nicht unerheblichen Vorteil, nicht zuletzt aber auch durch ihre schiere Masse. So berichtete sie zumindest. Vielleicht waren sie doch nicht die schlechtesten Alliierten. Ihre Art von „Gerechtigkeit“ war und blieb dennoch fragwürdig.
Spannend war auch die Erzählung, wie die beiden Damen der hohen Häuser in die Gefangenschaft geraten waren. Nachdem nun sowohl Cenereth, als auch Arcalis umgekommen waren bot Shadar eine Art Friedensangebot an. Er lud beide zu einem Treffen. Mir war schleierhaft wieso sie sich dazu bereiterklärt hatten. Al’chara sprach von einem Verhaltenskodex von Drachen. Doch hatte Shadar nicht unlängst gezeigt zu was er fähig war? Vertrauen wäre das letzte gewesen, was ich ihm entgegengebracht hätte. Sie jedoch taten es. Und liefen blindlings in einen Hinterhalt, welcher mit ihrer Einkerkerung endete. Bis heute ist mir nicht ganz klar wie eine Zelle einen Drachen aufhalten sollte. Vielleicht brauchte es ein Minimum an Platz für eine Verwandlung. Oder es war Magie involviert.
Wie dem auch gewesen sein mag, sie riet uns Posetine über die Dinge, die wir in Erfahrung gebracht hatten zu informieren. Es sei ihr Recht zu wissen was es mit ihrer Existenz auf sich hatte. Mit einigen umschweifenden Worten ließ sie uns wissen, dass wir es sicher bereuen würden, wenn sie es später herausfände. Auf die Anfrage hin uns zu begleiten bekamen wir eine Verneinung, während sich die Thronlose arrogant wie immer davonstahl. So berieten wir das weitere Vorgehen. Zu riskieren Posetine gegen uns aufzubringen könnte sie in die Arme ihres „Vaters“ treiben. Aber vielleicht würde sie dies auch tun, nachdem sie erfuhr, dass sie noch Familie hatte. Als sich Garret dafür aussprach reagierte Ava etwas allergisch mit einem Seitenhieb.
Stellte sich heraus, dass sie endlich von dem Seelenproblem Garret’s erfahren hatte. Das Problem war aber gewesen, dass es dabei zur Sprache kam, als er einer wildfremden Person davon erzählte und Ava lediglich zufällig daneben saß. Ich traute meinen Ohren nicht. Wochen hate ich auf ihn eingeredet es ihr zu erzählen und er verneinte es. Begründete es mit der Vertrauensfrage. Aber diesem jungen Ding namens Taya gegenüber, nach nur einem Tag, brabbelte er es aus. Hornochse. Hätte er sich nicht denken können wie Ava’s Reaktion ausfallen würde!? Sie hatte sich ihm blind nach seiner ach so umwerfenden Revolution angeschlossen. Ließ sich davon überzeugen hier etwas zu tun, was sie für richtig hielt. Begleitete ihn mit einem immensen Vertrauensvorschuss. Und dann das. Unfassbar. Das Mosaik um Ava’s Wandlung fügte sich Stück für Stück zusammen. Obgleich ich noch deutlich mehr dahinter vermutete.
Zumindest kamen wir überein Posetine aufzusuchen. Scheinbar war sie bei Slate … im Kerker. Schnell sollten wir herausfinden, dass dort unten so einige Veränderungen vorgingen. Angefangen davon, dass die Wachen uns zunächst nicht direkt zur „Königin von Zoica“ durchlassen wollten, bis hin zu den Baumaßnahmen, die Slate im Auftrag ihrer „Majestät“ dort durchführte. Ganz offenbar ließ sie sich einen Hort bauen. In welchem wir dann auch die Stadtgelder fanden. Denn der eigentliche Tresor war offen und leer gewesen. Garret und Ava stellten diese Handlung offen infrage … ich stellte auch so manches Dieb Eiden betreffend infrage. Krathus hingegen war erstaunlich still. Das güldene Glänzen schien ihn doch eher abzulenken. Ich hoffte er tat nichts dummes vor ihren Augen.
Im Stillen erläuterten wir Posetine zunächst was wir alles in Erfahrung gebracht hatten. Es war ein ziemliches Auf und Ab. Zwischendrin hatte ich große Sorge, dass einige Offenbarungen oder gar die Wortwahl Ava’s uns die Gunst Posetine’s verlieren ließen. Ich setzte alles daran ihr Vertrauen in uns zu bestärken. Es macht ihr wirklich zu schaffen zu wissen, dass Shadar ihr Vater war. Schon die zweite Person an diesem Tag, die mit einer familiären Offenbarung nur schwer zurande kam. Auch wenn sich in ihr immer mehr eine drastische Arroganz verfestigte, hatten die Worte meine eigene Familie betreffend scheinbar genug Empathie geweckt. Es milderte ihren mentalen Sturz ein wenig – zumindest hatte es den Anschein. Im Großen und Ganzen verlief das Gespräch gut. Und es kam auch heraus, dass sie keinerlei Interesse hatte ihrem Vater nachzueifern. Sie sah sich verpflichtet, in Form einer Übermutter, für das niedere Volk der Humanoiden zu sorgen. Es gab schlimmere Endergebnisse in der Vergangenheit.
Als wir aber Details zu und mit Krathus gaben stellte dieser fest, dass das Banner auf sie reagierte. Energien würden zwischen beiden hin und her fließen. Ihre Augen wären je eines golden und eines rot gewesen. Und eine Form von ätherischer Krone sei über ihrem Kopf zu sehen. Nicht jeder von uns nahm das alles auf Anhieb war. Es gab jedoch zu denken. Ein starkes Gefühl das Banner betreffend überkam mich. Wer sagte, dass jedes Banner gleich agieren würde? Und was wäre wenn mehrere gleichzeitig aktiv waren? Die Reichweite schien bei einem Test kaum eine Rolle zu spielen. Die Pilger beziehungsweise vielmehr ihr Sammeln von Energie für die Banner konnte zu einem weitaus größeren Problem führen. Nicht nur, dass Krathus davon sprach, dass die Banner ihre Legionen verstärkten. Offenbar hatten sie einen besonderen Effekt auf das Drachenblut. Ein großer Roter in Begleitung seiner voll geladenen Armeen könnte ein noch schwerwiegenderes Problem werden. Sie selbst bekam anscheinend nichts davon mit. Bis Krathus ihr einen Spiegel vorhielt. Es folgte sichtliche Irritation.
Als wir das Thema dann abgeschlossen hatten ließ sie uns noch wissen, dass sie Lafayette unter Hausarrest gestellt hatte. Seine Manipulationsversuche hatten ihr im Nachgang gar nicht gefallen. Es amüsierte mich zu wissen, dass er dafür auf die Finger bekam. Gleichzeitig beunruhigtem ich dieTatsache, dass sie sich so gegebenenfalls einen Feind in den eigenen Mauern erschaffen könnte. Er war ein Mann mit vielen Kontakten, vielen Ambitionen. Sich von einem halben Kind, dass einfach mal so eben den Thron Zoica’s bestiegen hatte vor den Latz knallen zu lassen könnte Missmut wecken. Ich drückte es natürlich ein wenig diplomatischer aus. Sie stimmte zu. Ihr Gegenvorschlag kam prompt und war recht gerissen. Ich sollte ihn unter dem Vorwand mich für ihn eingesetzt zu haben aus seinem Arrest erlösen. Mir so seine Loyalität sichern und eine potentielle Gefahrenquelle unter Kontrolle kriegen.
Nicht nur Ava hatte sich verändert, so viel war klar. Al’chara hatte ganze Arbeit geleistet Posetine die Naivität auszutreiben. Vielleicht etwas zu gut. Das würde die Zukunft zeigen. Denn trotz allem wollte sie diese Informationen mit irgendjemandem teilen. Scheinbar hatte sie sich mit Ragel angefreundet und vertraute ihr. Es konnte gefährlich sein all das zu teilen, besonders mit Personen über die wir kaum etwas wussten. Doch sie war überzeugt das Richtige zu tun. Oder anders ausgedrückt: Sie war die Königin, ein Drachen och dazu, und tat wonach immer ihr der Sinn stand. Das konnte noch heiter werden.
Auf dem Weg hinaus war unser Weg vorerst klar. Lafayette befrieden, Mundi befrieden, die Rachwood’ler umsiedeln, Melody helfen … und dann mein Versprechen einlösen, sowie meine Schwester finden. Scheiß drauf, so viel Zeit mussten ich mir doch nehmen dürfen, nach allem was ich getan hatte!
Da Krathus unbedingt zu Razora wollte, schloss ich mich ihm an. Ava und Garret wollten noch anderweitig durch die Stadt ziehen. Ich wunderte mich, ob ich Garret danach unbeschadet wiedersehen würde. Im Compound der Hextor angekommen waren aber nicht unbedingt viele Rachwood’ler vertreten. Sie hatten Geld aus Oclusar und ein Trauma zu verarbeiten. Was also war der beste Weg dafür? Genau, sie kauften ein und betranken sich in den Tavernen der Stadt. Razora war jedoch vor Ort. Ein dann geführtes Mutter-Sohn-Gespräch über Bienchen und Blümchen lief etwas krude. Mir war nicht ganz klar, ob Krathus verstanden hatte, was Razora ihm mitzuteilen versuchte. Jedenfalls war er plötzlich ganz schnell unterwegs. Allein in Zoica. Ich zuckte in Gedanken die Schultern, es würde kaum schlimmere Auswirkungen haben können, als der noch frei herumlaufende Angstrum erzeugte.
Die Situation zwischen ihr und mir hingegen war etwas delikater. Sie war kaum der nach außen emotionale Typ, was ein bisschen problematisch beim Thema unseres Beziehungsstatus war. Als ich anmerkte ihr die Stadt erst in einigen Tagen, aufgrund der Geschichte mit Mundi, zeigen zu können war aber überdeutlich was sie davon hielt. In mich hinein grinsend über diese Bestätigung verlegten wir den Plan einfach vor. Ein Trip durch diese für sie faszinierende Stadt folgte. Hier leben kam für sie nicht in frage, aber es beeindruckte sie schon sehr was es hier zu sehen gab. Durch mein Vorwissen um die Stadt in Kombination mit meinen Fähigkeiten die besten Wege im urbanen Getümmel im Gespür zu haben wurde es wohl der beste Nachmittag seit Monaten. Es fühlte sich frei an. Und diese Zeit mit ihr zu teilen war einer der glücklichsten Momente bisher. Emotional wortkarg wie sie war, zeigte sie ihr innerstes auf andere Weise. Ich bildete mir ein es langsam zu verstehen.
Als sich der Abend näherte galt es dennoch vorläufig Abschied zu nehmen. Die anderen würden im Lurkers warten und wir hatten die Planung für morgen zu machen. Auch wenn es mir widerstrebte. Langfristig konnten wir aber nur so die Sicherheit der Region gewährleisten. Auf meinem Weg zurück in die Taverne wanderten die Gedanken von einem Hochgefühl zur bitteren Realität zurück. Unter all dem, was dort wieder zutage gefördert wurde kam auch ein interessanter Gedanke. Wenn die Kobolde und andere Anhänger Shadar’s ein Problem waren und wir sie nicht umstimmen könnten ihm abzuschwören – wovon nicht auszugehen war –, was wäre eine bereits bestehende Allianz zu erweitern. Der Gedanke war radikal. Nah an der Bösartigkeit. Doch wir würden auch kein Erbarmen gezeigt bekommen … Ich musste darüber nachdenken. Mich schauderte welche Ideen mir zuletzt durch den Kopf gingen. Sicherlich tat ich früher immer schon was gut für mich war, aber es gab stets Grenzen. Jashier zog mich in diesem Bewusstsein auf. selbst unter den widrigen Bedingungen Ailamere’s. Dieser veränderten Ava würde die Idee hingegen sicher zusagen. Da wäre sicherlich kein Zögern. Was mich die Frau vermissen ließ, die sie einst war. Denn so würde vermutlich genau das ausgeführt werden, was mir durch den Kopf ging, gänzlich ohne Widerworte. Und eben dies ließ mich furchtsam zurück.
Als ich das Lurkers erreichte war es zum überlaufen voll. Auch hier waren viele der ehemaligen Anwohner Rachwood’s eingekehrt. Als ich nach Garret und Ava Ausschau hielt sah ich auch Krathus und mich selbst …
Ein tiefes Seufzen folgte. So stellte ich mich neben mein eigenes Abbild und begrüßte Angstrum genervt. Dieser war völlig durch den Wind. Keine Neuerung zu sonst. Scheinbar hatte Krathus noch die Stadt erkundet, um dem Nexussignal zu folgen, dass er durch das Fernrohr gesehen hatte. Dabei stieß er auf „Garret“ in der Akademie. Dass er bis eben nicht realisiert hatte, das etwas nicht stimmen konnte ließ mich innerlich den Kopf gegen die Wand schlagen. Gleich doppelt, als er auf den „Mann in der Ecke“ aka Lurk’s Besenmännchen hereinfiel. Angstrum wandte sich derweil mit Ausreden wie ein Wurm am Haken. Die Aufmerksamkeit, die er allerdings auf sich gezogen hatte war ein Problem. Um die uns anstarrende Taverne zu befrieden, tat ich so, als sei dies eine Aufführung gewesen. Das schien zu wirken. Gelächter und der normale Tavernenalltag lief wieder an. Auch wenn die Bardin auf der Bühne nicht wirklich glücklich zu sein schein. Verübeln konnte ich es ihr nicht. Schließlich hatte Angstrum’s Auftreten ihr die Performance vermasselt.
Um etwas Ruhe zu haben beschlossen wir nach oben zu gehen. Erst beim Aufstehen bemerkte ich, dass der ganze Tisch nur zu Ehren von Garret eingerichtet worden war. Der große Protektor Garret, der große Investor Garret … Ich verdreht nur die Augen. Im Konferenzraum des Lurker’s packte Angstrum dann komplett aus. So erfuhren wir, dass Besuch in Azoicstrum gegeben hatte. Kobolde waren vor der Stadt aufgetaucht. Dank der Dominion Line waren diese aber wohl pulverisiert worden. Angstrum meinte er habe noch den Nexus genutzt die Erinnerung aller Beteiligten zu löschen. Gegebenenfalls, wenn es denn Überlebende gab, eben auch deren. Mir behagte das nicht. Die Gefahr war größer geworden. Wenn sie ein Nexussignal aufgefangen und dies bereits kommuniziert hatten … war Azoicstrum dann noch sicher für Razora und die ihren?
Wir mussten dafür sorgen, dass sie an einer anderen Stelle suchten. Dieser Plan fand anklang. Und mir kam eine weitere boshafte Idee. Würden wir ein falsches Nexussignal über Loch Meriander erzeugen, dann würden die Kobolde erst einmal mit der überaus freundlichen Natur der dort lebenden Sycora Bekanntschaft machen, dann würde sie das eine ganze Weile aufhalten. Ausgehend von der Macht, die sie nutzte, war es auch nicht soweit hergeholt, dass dort vielleicht wirklich ein Nexus unter Wasser lag. Einen, über den sie die Kontrolle hätte – aus Perspektive von Shadar’s Anhängern. Dies schein allgemeine Zustimmung zu erhalten. Wie unerwartet … Also musste Angstrum nur in die Heimat und einmal einen Wunsch äußern, der auf Dauer die Ferngläser der Kobolde so manipulierte dort einen Hinweis zu entdecken. Nebst der Tatsache, dass wir gemeinsam mit ihm zu Toefels mussten, um zu verhandeln unsere Freunde aus Rachwood dort unterbringen zu können.
Doch zuvor hatte er noch eine weitere Aufgabe zu erfüllen. Eher zwei. Doch die ließen sich kombinieren. Denn das Signal seines Armbandes war für die Kobolde ebenso ersichtlich wie der Nexus selbst. Und jetzt da ich Angstrum’s habhaft war galt es Melody zu helfen. Er hatte sich ganz offenbar in sie verguckt. Unsere Worte bezüglich ihrer aktuellen Situation trafen eher auf taube Ohren. Er glaubte kein Wort, oder verstand nicht worauf wir hinaus wollten. Vermutlich nicht zuletzt, da wir es auch versuchten zu umschreiben. Für einen Moment ließ ich mich gehen, drohte gar durch einen Finte mit einem Zaubertrick. Mir fiel jedoch rechtzeitig ein, welche Wirkung das auf ihn haben könnte. Ein wenig beruhigender im zweiten Anlauf lief es aber auch nicht besser. Aus seiner Sicht war Melody mit Abstand das hübscheste Wesen, dass er jemals gesehen hatte. Und dann tat er absonderlicher weise von sich aus genau das, was ich erfragen wollte. Er wünschte sich ihr Antlitz zurück.
Absurder konnte es kaum laufen, aber das Ergebnis zählte. Grinsend bot ich ihm an sie ihm vorzustellen. Es war eines der wenigen Male wo Angstrum nicht sofort was zu sagen wusste. Ehrlicherweise wollte ich damit aber auch sicherstellen, dass der Wunsch wirklich erfolgreich gewesen war. Etwas schüchtern stimmte er zu. Ich wunderte mich, wie die beiden wohl aufeinander reagieren würden. Aber erführe sie erst einmal von ihrem „Helden“ Angstrum, dem mächtigen Illusionisten … wer weiß. Heute war wirklich ein verhältnismäßig guter Tag gewesen. Morgen mochte das alles schon wieder entgegengesetzt laufen. Also sollten wir das Beste draus machen …
Sitzung 87
Nachdem das Essen abgeliefert war, verschwanden die beiden Hextorkrieger wieder in der Nacht. Ausgehend davon, dass wir Qwe irgendwo herumschieben hatten war dies mehr als wünschenswert. Unsere Begleiter waren sichtlich erfreut über das reichliche Nahrungsangebot.
Qwe war neugierig was passiert war. Er dachte glatt wir hätten die Vorräte aus dem Lager gestohlen. Gratulierte uns zu dieser Tat. Es war befremdlich für ihn zu hören, dass wir schlicht um Hilfe gebeten hatten. Kulturell konnten wir kaum weiter voneinander entfernt sein. Indes erfuhren wir auch, dass Oclusar erst kürzlich überrannt wurde. Die „Pyramide“ voller Versteinerter waren alles Oclusarbewohner. Wer nicht in der Stadt dem Angriff zum Opfer fiel, oder verspeist wurde, der hatte noch die Option an dem widerwärtigen Unterhaltungsspielchen teilzunehmen. Ich war nur froh, dass wir Razora hatten davor bewahren können.
Auch war Qwe gerade einmal drei Jahre alt. Offenbar war er aus eine oder Albträume Ocanar’s entstanden. Hatte wohl was mit Shadar zu tun, daher Qwe’s Schuppen. Allerdings erwies sich der Test, ob sie auch brauchbar gegen Feuer schützten als negativ. Obgleich es etwas amüsantes hatte, wie er sich vor Schmerzen wand und so tat, als ob alles ok sei.
Auf unsere Planungsvorschläge für den kommenden Tag mischte er sich aber auch ein. Oclusar sei ja viel näher und es gäbe dort ja einen Teleportationszirkel. Richtig. Aber dieser war extrem unsicher, wie Garret vor einiger Zeit in Erfahrung bringen konnte. Mein Verlangen durch eine Geisterstadt mit lauter versteinerter Bewohner zu laufen hielt sich auch in Grenzen. Wir hatten die Ringe von Tanaos, doch konnten wir der Bevölkerung in Gänze nicht helfen. Die Stadt war nunmehr bloß eine einzige Grabstätte. Die allgemeine Meinung plus Qwe’s Beteuerungen er könnte den Turm, auf welchem der Zirkel sei, stabilisieren ließ mich dann aber doch einknicken. Immerhin ersparten wir uns ein paar Reisetage. Ehrlicherweise wollte ich so viel Abstand zwischen mich und diese verfluchte Gegend bringen. So willigte ich ein.
Ich entschied es dabei zu belassen. Es war spät. Alle waren wir erschöpft. Krathus plapperte noch etwas von einer Kampfkombination, als ich bereits am Weggehen war. Innerlich schüttelte ich nur den Kopf. Wer würde denn allen ernstes jetzt noch mit Übungen beginnen wollen.
Der nächste Morgen brach an. Alle bereiteten sich auf die Abreise vor. Als der Aufbruch nahte, sich unser Zug in Bewegung setzte, da fing Krathus wieder an Unfug zu bauen. Er übernahm einfach einen der Karren mit Nahrung, was nahezu direkt dazu führte, dass die Pferde durchgingen. So raste er unkontrolliert davon. Ich überlegte etwas zu tun, verwarf den Gedanken aber wieder. Weiß gar nicht wieso. Ava hingegen schickte Garret hinterher. Der sei ja so schnell und müsste den Karren einholen und Krathus dann zur Seite stehen können. Mein Blick ging zu Razora. Etwas sarkastisch meinte ich wie stolz sie auf ihn sein musste. Sie nahm es locker. Kinder müssten ihre eigenen Erfahrungen machen. Was irgendwie komplette Zustimmung bei Ava fand, die dann nachsetzte und die Beziehung zwischen Razora und mir definiert haben wollte. Seit sie zurück war hatte sie dieses morbide Bedürfnis mich stetig in unangenehme Situationen zu bringen. Glückwunsch, es war ihr wieder gelungen. Auch wenn ich mir meiner Gefühle im Klaren war, so konnte ich kaum erwarten, dass sie erwidert würden. Doch es gab keine Ablehnung von Razora. Sie reagierte genauso ahnungslos wie ich. Es war überraschend.
Garret war gerade im vollen Sprint und setzte zu einem durchaus beeindruckenden Sprung an. Doch Krathus bekam den Wagen plötzlich unter Kontrolle, was den Halbling hart gegen diesen donnern ließ. Sicherlich war dies erheiternd, aber gleichzeitig auch bedenklich. Wollten sie Shadar mit einem Lachkrampf zu Fall bringen? Unsere arg mitgenommenen Verbündeten musternd dachte ich an all jene, die uns bisher zur Seite stehen würden. Es war schwer zu glauben, dass wir auch nur den Hauch einer Chance hatten. Besonders da dieser Drache über eine Fülle von Nexuskugeln verfügte. Ein Wunsch reichte, um den Großteil - wenn nicht sogar alle - von uns aus dem Spiel zu nehmen. Es gab nur Hoffnung, wenn wir es schaffen würden einen Ausgleich zu erzielen. Ab wann wurde es eigentlich zu meinem Kampf … ? Meine Irritation ignorierend setzte ich noch eine Nachricht über unser Kommen in das Kommunikationsbuch ab, wobei der Mittag des nächsten Tages angepeilt wurde. So reisten wir den Tag unbehelligt weiter bis nach Oclusar inklusive einer unbedeutenden Nacht.
Da lag es nun vor uns: Oclusar, in seiner ganzen steinernen Pracht. Ein riesiger Schutthaufen, gefüllt mit Statuen jedweder humanoiden Sorte begrüßte uns. Ocanar hatte keine halben Sachen gemacht, so viel stand mal fest. Bis zum Mittag würden wir noch einige Stunden Zeit haben, was dazu einlud sich einmal genauer umzuschauen. Auch wenn es sich anfühlte auf einem Friedhof zu wandeln. Kurz nach unserem Eintreten stießen wir schon auf die erste Anomalie. Eigentlich war es bloß ein Haufen Steine. Doch ihre Anordnung ließ den Eindruck entstehen, als wäre es ein Gesicht. Zu allem Überfluss ein uns bekanntes noch dazu. Ausgehend von dem Gemälde in seinem Turm war dies das Antlitz von Tanaos Ayumu … wer hatte dies getan und wieso? War es das Zeichen dafür, dass wir weiterhin seiner vermaledeiten Prophezeiung unserer Zukunft folge leisteten? Oder spielte hier jemand Spielchen mit uns? Ocanar vermutlich? Er hätte durch seine ihm vom Nexus verliehene Macht von Tanaos wissen und seine Beholder dazu anleiten lassen können diese „Skulptur“ für uns zu hinterlassen. Spekulationen. Manchmal fragte ich mich, ob ich anfing paranoid zu werden.
Ava wollte unbedingt einen der Bewohner zu den Ereignissen hier befragen. Qwe war diesbezüglich keine Hilfe gewesen, das schien sie zu … frustrieren? Die Idee Antworten zu erhalten war gut, keine Frage. Doch wer würde hier schon etwas dazu wissen können? Sie bestand darauf. Nachdem sie das Rathaus ausfindig machte suchte sie sich eine arme versteinerte Seele, die offiziell gekleidet aussah und entsteinerte sie. Erst jetzt fiel uns auf, dass sich die Ladungen der Ringe nicht wieder aufgefrischt hatten. Verdammt noch eins. Vier von zehn waren bereits weg. Ich verstand nicht wieso dem so war. Meine magische Identifikation der Ringe war einwandfrei gewesen, ihre Natur lag mir offen. Aber sie verweigerten sich in dieser Hinsicht. Und zu allem Überfluss standen wir vor einer als Informationsquelle vollkommen nutzlosen Person. Obgleich er der Assistent des Bürgermeisters war, so hatte er dennoch so ziemlich gar nichts mitbekommen. Von irgendwas in dieser Stadt. Man stelle sich das vor. Dennoch musste es ein Schock gewesen sein erst den Angriff, dann den Verlust der Körperkontrolle durch die Versteinerung und im nächsten Moment diese unfreundliche Elfe vor sich stehen zu haben. Ava hatte wirklich kein Gespür mit einer traumatisierten Person umzugehen. Ich versuchte sodann das Zusammentreffen etwas zu mildern.
Was wir erfuhren war, dass es hier auch Magier gegen hatte. Offenbar widmeten sie sich dem Studium der Sterne. Hier gab es also auch so eine Sternwarte, wie jene weit im Südwesten. Deren Teleportzirkel nutzten wir damals, um Melody nach Zoica zu bringen. Scheinbar hatte aber auch keiner der besagten Magier irgendetwas nutzbringendes gegen den Angriff getan. Wo sie geblieben waren schein unklar. Tot oder geflohen? Mein Kopf kramte die Bilder aus Bolgmor’s Höhle hervor. Dieses Magiertrio, welches wir dort in einem Versteck vorfanden und sich sofort nach ihrer Entdeckung wegteleportierten. Standen diese irgendwie im Zusammenhang hiermit, oder irgendeiner der vielen anderen obskuren Dinge in dieser Region? Fraglich war, ob wir sie jemals wiedersehen würden um sie dahingehend zu befragen. Der Befreite jedenfalls brachte uns nun erst einmal zu den Überresten des Observatorium. Wir hofften auf Hinweise oder Überreste, die uns brauchbare Informationen liefern konnten.
Qwe war dabei erstaunlich hilfreich. Er räumte für uns mit Bedacht die Trümmer beiseite und nutzte diese gleich dazu den Turm zu stabilisieren, auf welchem der Zirkel sich befand. Es war schon eigentümlich, dass alles dem Erdboden gleichgemacht wurde, doch der Turm selbst noch … na ja, vor sich hin wankte. Was unter den Trümmern zum Vorschein kam erinnerte zudem sehr an das Fundament in Zoica. Dort wo einst die Akademie gestanden hatte. Nachdem wir einige Zeit damit verbrachten Qwe zuzuschauen, um im Anschluss in den Schuttmassen auf die Suche zu gehen, fanden wir dann auch tatsächlich etwas. Ein Brief von Ethelbald, dem einstigen Bewohners des alten Observatoriums, wo auch Melody lebte. Scheinbar nahm er einigen Studenten Bücher ab, die den Eindruck erweckten aus der Bibliothek von Zoica zu stammen. Doch dort wusste man nicht von fehlenden Büchern. Stattdessen sandte er sie dann nach Oclusar. Tatsächlich dauerte es nach diesem Fund auch nicht lange die besagten Stücke unter dem Schutt hervorzukramen.
Der Inhalt war erstaunlich. Sie berichteten von dem Fund des Ethereal Nexus. Dem ersten Nexus wie es schien, auf dem alle anderen basierten. Die Expedition, die ihn fand, verkaufte die Information über seinen Standort an den Meistbietenden – einen jungen Drachenlord namens Shadar Logoth. Zu meinem Erstaunen stand dieser Nexus in Mocny. Ich kannte nur vage Geschichten über dieses Reich. Hier wurde nun berichtet, dass er durch die von dem Drachen gemachten Experimente ausgelöscht wurde. Diese Zerstörung war … unfassbar. Das ganze Gebiet ist seither nur selten betreten worden, zumindest soweit mir bekannt war. Gefährlich sollte es dort sein. Nun wurde mir klar in welchem Ausmaß.
Doch ein weiterer Eintrag brachte noch mehr Informationen ans Tageslicht. Arcalis Dacra erfuhr von dem Nexus und fürchtete eine fundamentale Veränderung der Machtverhältnisse. Darum begann er seinen eigenen nExus zu entwickeln. An jeden alliierten trat er dabei eine Teilaufgabe ab, nur er kannte das große Ganze. Und Azoicstrum’s Errichtung war bloß ein Tarnmaneuver, um hier diesen Nexus schlussendlich zu verbergen. Eine ganze Bevölkerungsgruppe auszumerzen als „Tarnung“ … Mir schwante, dass Ava sicher wieder das größere Wohl als Argument auf den Lippen hätte. Logothil war groß, jeder andere Ort hätte es auch getan. Oder eine Verständigung mit den Bugbears wäre möglich gewesen. Beide Drachen hatten ihrerseits parallel eine Gesellschaft vernichtet im Bestreben den jeweils anderen zu übertrumpfen, oder gleichzuziehen. Mit dem Unterschied, dass Arcalis trotz allem schließlich von Shadar vernichtet wurde. Ein Übel merzte das Andere aus. Besser wäre gewesen sie wären beide verreckt …
Vielmehr konnten wir nun nicht mehr aus den Trümmern bergen. Qwe war weiter damit beschäftigt den Turm hinzubiegen. So ließen wir nochmal alle durch die Stadt ziehen und nach brauchbarem Material suchen. Einige Kleinigkeiten und Gold kamen dabei zusammen. Zumindest würden unsere Rachwood’ler nicht verarmt nach Zoica gehen. Und hier hatte sowieso keiner mehr Verwendung für irgendwelche Besitztümer. Vorerst.
Es wurde Mittag. Der Weg nach Zoica stand an. Garret machte den Anfang, um Chrylax schonmal vorzubereiten. Ich gestehe, dass ich mir ein Schmunzeln nur schwer verkneifen konnte. Es war recht klar wie dieses Zusammentreffen ausgehen würde. Er würde es schon wegstecken.
Nachdem der Erstkontakt mit Chrylax wie erwartet verlief sandten wir nach und nach unsere Befreiten hindurch. Besonderes Augenmerk legte ich dabei auf den Hinweis, dass gleich jemand sehr spezielles hindurch käme. Und mit diesen Worten schwebte auch schon Qwe im Raum. Chrylax war ausser sich. Nach einer kurzen Vorstellung der beiden begrüßte Qwe die alte Mumie etwas gewöhnungsbedürftig indem er sie durchschüttelte, als wäre es ein Handschlag. Chrylax Bemühungen Feuerbälle zu werfen blieben ohne Erfolg. Qwe’s Blick war schon ein echter Showstopper für den armen Chrylax. Ich lachte herzlich in mich hinein. Schade, dass Ocanar dies aufgrund des von dem Behodler ausgehenden Feldes entging. Von seiner Art her hätte ich erwartet dies höchst amüsant zu finden. Verdammt, waren wir jetzt Freunde oder sowas? Was ging mir da nur durch den Kopf …
Melody begrüßte uns wie immer herzlich. Als Qwe jedoch sich ihr näherte wurde die Sache kompliziert. Wir wussten, dass sie eine magische Energie um sich hatte. Doch ihre Wirkung war uns unbekannt. Nun wurde sie ersichtlich. Statt ihrer besonderen Optik als halber Adler/Mensch, stand nun schlicht eine Harpyie vor uns. Eine Form von dauerhafter Illusionsmagie hatte auf ihr gelegen. Auf unsere Reaktion hin war sie komplett irritiert. Erst als sie an sich herunterblickte begriff sie. Panisch und ängstlich verlangte sie, dass wir umkehren was wir ihr angetan hätten. Es dauerte eine Weile, bis sie nachvollziehen konnte, dass sie von ihrem „Vater“ – so bezeichnete sie Varion jedenfalls – über ihre Herkunft belogen wurde. Sie kam nur schwer damit klar eine lediglich wilde Harpyie zu sein, hässlich aus ihrer Sicht obendrein. Hier zerbrach ein ganzes Weltbild. Kann nicht sagen, dass ich das nicht verstehen konnte. Ava blieb so einfühlsam wie zuletzt gewohnt. Es war der Moment in dem ich hoffte sie würde niemals Kinder haben.
Ich folgte der heraus rennenden Melody zu ihrem kleinen Hort im Garten. Es gab nicht viel was ich für sie tun konnte. Den Schock musste sie selbst verarbeiten. Aber eventuell konnte es helfen, wenn sie erfuhr mit derlei Situation nicht allein zu sein. So erzählte ich ihr von dem, was meine Familie mit mir getan hatte. Ein wenig Wirkung hatte es wohl, da sie sich zu beruhigen schien. Dennoch wollte sie nicht diese Gestalt behalten. Ich versprach ihr also einen Illusionisten zu finden, der ihren Wunsch erfüllen würde. Ein bestimmter kam mir auch gleich in den Sinn, sofern wir ihn im Treiben Zoica’s wiederfinden würden. Verdammter Angstrum … wenigstens konnte er für etwas gut sein am Ende. Sowieso mussten wir sichergehen, dass er keinen Unfug mit dem Nexus trieb. So überließ ich Melody ihrer momentanen Trauer. Mehr konnte ich nicht für sie tun. Mit Ausnahme sicherzustellen, dass Chrylax keinen Unsinn machte, wenn er sie sah. Ich denke ich vermittelte es ihm ziemlich deutlich, durch die Sicherheit einer langen Treppe. Und dem Bewusstsein daran, dass Qwe von nun an ein Auge auf sie haben würde – mit etwaigen Konsequenzen für das alte Wickeltuch. Was für einen Haufen Irrer hatten wir hier nur zusammengetragen …
Draußen sammelten sich derweil die Rachwood’ler. Es dauerte auch nicht lange, bis Marco seine Fühler in Form von „Kleiner Drache“ ausstreckte. Ich konnte Krathus gerade noch davor bewahren zu viel preiszugeben. Einige Infos jedoch schienen sie bereits durch die Befreiten erfahren zu haben. Wir hätten wohl eine allgemeine Vorwarnung geben sollen. Nun war es zu spät. Ihre Begrüßung „Willkommen zu Hause“ in meine Richtung ließ mich jedoch irritiert zurück. Wann genau war Zoica mein Zuhause geworden?
Die Statt selber hatte sich nicht allzu sehr verändert. Die Akademie bestand primär aus Holz. Weswegen Chrylax seine Studenten auf dem Dach an der frischen Luft trainieren musste. Es hatte wohl schon ein paar mal gebrannt. Die Rachwood’ler zogen sich nun in den verlassenen Compound der Hextor zurück. Mundo’s Siegel war Gold wert gewesen. Sie hatten dem Befehl folge geleistet und so mehr als genug Platz hinterlassen. Zuvor hatte ich Juntos und Razora, aber besonders ersterem, eingebläut sich hier etwas zurückzunehmen. Diese Leute würden die Art aus Rachwood nicht verstehen. Und da war dann noch Cue’s alter Compound. Slate hatte sich echt ins Zeug gelegt. Es sah aus wie neu.
Unser Weg führte auch direkt ins Innere. Der „Herrscher“ wollte sich den aktuellen Status holen. „Oh, Garret ...“ rollte ich innerlich mit den Augen. Als Gerion unsere Anwesenheit bemerkte kam er auch sofort auf uns zu. Der Bericht fiel recht überschaubar aus. Die Steuern flossen gut. Mein Blick verharrte eine Weile auf Garret, bevor ich mich wieder Gerinn zuwandte. Mikimoto und Pashar sorgten für ausreichend Nahrung. Die Spinnen wurden mit ihrem Anteil abgespeist und verblieben ausserhalb der Grenzen Zoica’s. Die Lieferung aus Plateau wurde erwartet, doch wann genau konnte er nicht abschätzen. Ausgehend von der Trägheit einiger der dortigen Bewohner war das nun keine Überraschung. Horatio lieferte Unmengen an Holz. Nicht zuletzt brauchte die Akademie mehr als zunächst erwartet. Auch dies war kaum unerwartet. Schließlich baten wir um die Vorbereitung eines Mittagessens. Wobei erst einmal nur Al’Chara als Gast herbeigerufen werden sollte. Sie musste sich einigen Fragen stellen. Gerion befolgte die Anweisung.
Während wir uns etwas frisch machten, wurden in der Küche alle Vorbereitungen getroffen. Einige Zeit später saßen wir bereit. Die Herrin Therion ließ sich jedoch etwas Zeit, so wie Ava. Als Ava den Raum dann jedoch betrat verschlug es mir glatt die Sprache. Ein grünes Abendkleid und keine Kampfbemalung mehr? Ein geradezu aberwitziger Anblick, wenn man ihre zuletzt zur Schau gestellte Art bedachte. Für einen Moment hoffte ich auf eine ebensolche Änderung ihres Gemüts. Dies jedoch blieb mir verwehrt, wie ich schnell feststellen musste. Es blieb schwierig. Zuletzt trat Al’chara herein. Nebst der Kleinigkeit sich über das Essen zu beschweren, war sie geradezu angewidert von Ava. Genauer ihrem Geruch. Uns war nichts aufgefallen, aber sie witterte Blutmagie an ihr. Konnte es sein, dass das Buch in ihrem Besitz so abgefärbt hatte?
Da wir zuletzt etwas von einem „grauen Mann“ in Zusammenhang mit den Nexi erfahren hatten, befragte ich sie danach. Sie reagierte missmutig darauf. Laut ihrer Aussage war dieser für den Fall Ark’Therion’s verantwortlich. Wie genau wüsste sie aber nicht. Was sie wohl davon halten würde, wenn sie erfuhr, dass ihre Tochter die Verantwortung dafür trug … Diese Information sparte ich daher aus. Sie fixierte sich so sehr auf den Geruch, der von Ava auszugehen schien, dass wir schlussendlich übereinkamen ihr das Buch zu bringen. Sie könnte es lesen beziehungsweise für uns übersetzen. Und trotz großem Widerwillen tat sie es. Als sie es sah glaubte sie es zu erkennen. Doch woher war ihr unbekannt. In jedem Fall enthielt es offenbar die Aufzeichnungen des „grauen Mannes“. Was ein irrer Zufall, dass Garret und die anderen es in dieser anderen Welt gefunden hatten. Aber enthielt es auch die gleichen Informationen, die für diese Welt zutrafen? Es machte den Eindruck. Auch wenn sich ihre Erläuterungen über den Zustand dieser anderen Welt und der Weg dahin ganz anders darstellten als hier. Wie konnten das also sein? Und wenn der „graue Mann“ vom Nexus unter Azoicstrum wusste, wieso suchte Shadar dann noch nach ihm?
Wir erfuhren zumindest etwas über die Geschichte aller vier Nexi. Und dass die Erschaffung weiterer ihrer Art als Kernkomponente die Blutlinie der Dacra Familie brauchte. Scheinbar hate Loganar dies herausgefunden, als er die vielen Welten nach Hinweisen durchforstete. Das hieße er hätte eine unglaubliche Macht und konnte in einem Wimpernschlag das tun, was den dreien durch Zufall geschehen war. Unter der Maßgabe, dass in dieser Welt nur noch Yonci am Leben war hielt Shadar sie mittels Blutmagie am Leben und sorgte für einen unnatürlichen Nachkommen aus der Verbindung mit ihr. Posetine war das Ergebnis. Wir wussten sie hatte beide Blutlinien in sich, jetzt war auch klar wie. Der Bau des Göttlichen und Seelen Nexus war erst durch ihre Existenz möglich gemacht worden. Wie genau blieb ein Rätsel. Aber sie war lediglich ein Mittel zum Zweck gewesen. Noch eine Person, deren Leben heute auf den Kopf gestellt würde – sofern wir es ihr erzählen würden. Dass konnte nicht gut ausgehen.
Zusätzlich fanden sich diverse mächtige Zauber in dem Buch. Alle hatten etwas mit den Nexi zu tun. So zum Beispiel Sphärenerschaffung und Befüllung, aber auch Bannmagie. Es war also möglich den Auswirkungen der Nexusmagie zu widerstehen! Wir mussten diese Form der Magie irgendwie nutzbar machen. Es war endlich eine Chance diese ganze Situation vielleicht doch zu überstehen. Wenngleich ich es weiterhin für eine sehr kleine hielt. Auf die mögliche Zuversicht folgte aber dann auch schon das kalte Wasser ins Gesicht. Das Buch endete mit dem Hinweis auf ein Aufstiegsritual im Zusammenhang mit den Nexi. Shadar wollte wahrlich Göttlich werden. Und zu unserem Verdruss waren die Informationen darüber in einem zweiten Band verborgen, den wir noch zu finden hatten.
Ich wunderte mich, ob der „graue Mann“ vielleicht Loganar selbst war, oder jemand in seinen Diensten. In der Parallelwelt hatte er seinen Vater getötet. Und da die Information des Nexus von Arcalis nie bis an Shadar’s Ohren kam sprach zumindest für eine solche Theorie. Selber die Position einzunehmen wäre dann vielleicht sein Plan? Verflucht … wir hatten nun so viel in den Händen wie noch nie, aber trotzdem blieb so vieles spekulativ.
Ich erinnerte mich an ein Gespräch zur weiteren Planung unserer Reisen. Als ich von Mocny hörte war ich hin und hergerissen diesen Ort zu besuchen, den Ethereal Nexus zu finden. Die anderen hielten es für zu gefährlich. So unrecht hatte sie damit nicht, wie sich zeigt. Nun mussten wir davon ausgehen, dass dort Loganar selbst sein Unwesen trieb. Aber vielleicht war auch das eine Chance. Wenn er hier genauso den Altvorderen loswerden wollte, wäre es nicht anders als mit Ocanar. Hörte ich mir eigentlich selbst beim Denken zu!? Vermutlich suchte ich nur nach einem Grund diese Richtung einzuschlagen. Vieles ging mir durch den Kopf. Es vermischte sich zu einer breiigen Masse und langsam verlor ich den Überblick, was eigentlich meine wahren Motive waren …