Tagebücher
Die Tagebucheinträge sind nach der Gesamtzahl der Sitzungen beider Gruppen strukturiert. Jedes Buch erzählt eine durchgehende Geschichte aus der jeweiligen Sichtweise des Charakters, der es geschrieben hat.
Gemeinsam ergeben diese Bücher die Zusammenfassung aller Ereignisse der Kampagne.
Sitzung 104
Eine Feststellung, die Lia in Schockstarre fallen ließ, war doch der Grund, aus dem sie ihre eigene Stadt in Schutt und Asche legen ließ, ihr eigener Vater gewesen. Was war es nur in letzter Zeit mit den dysfunktionalen Familien? Den grauen Mann - Cenereth - schien das weniger zu berühren, vielmehr schlug er ein kleines Spielchen vor - der Gewinner dürfte die erste Frage stellen, dann der Verlierer - wir müssten jedoch wahrheitsgemäß antworten. Die genauen Regeln wollte er jedoch nicht verraten, was uns misstrauisch stimmte, doch nach kurzer Beratung willigten wir ein.
Irgendwie gewannen wir das erste Spiel, wenn auch knapp. Die Entwicklung hatte meine Schützlinge und zugegeben auch mich jedoch kalt erwischt, so dass die Fragen etwas holprig kamen. Die Frage, die wir stellten, war letzten Endes zu unklar formuliert, doch fanden wir immerhin heraus, dass er dem Roten zwar diente, allerdings weniger aus Überzeugung als aus Überlebenswille und Abscheu gegenüber Arcalys. Ich hatte nicht viel von ihm mitbekommen, als ich noch in Ferozoica gelebt hatte, doch auf Grund der Erzählungen konnte ich das sogar nachvollziehen. Wenngleich jede Sympathie daran verpuffte, dass er nun dem Drachen diente, der meine Heimatstadt nahezu zerstört hatte. Doch ich biss mir auf die Zunge. Brauchte ihn ja noch für einen Gefallen.
Seine Frage hingegen schien von größerer Reichweite - er fragte nach dem Ort eines bestimmten Nexus. Auch wenn ich nicht alles diesbezüglich verstand, so hatte Ralkarion doch deutlich gemacht, dass die Nexi nicht erwähnt werden sollten. Ich preschte daher vor und sagte, dass ich es nicht wüsste - wahrheitsgemäß, im Gegensatz zu den anderen. Unglücklicherweise spezifizierte Krathus die Antwort und sagte es ihm. Hoffte, das würde kein Problem werden - nun erschien es mir wichtig, die Motivation des Silbernen herauszufinden. Die Frage wurde jedoch abgelehnt, stattdessen fragten die anderen nach seiner Rolle im Gefüge. Offenbar hatte er für den Roten die Nexi gebaut und diesbezüglich nachgeforscht - aufbauend auf den Studien von Blutmagie von Mundi. Ich stutzte. Ausgerechnet Mundi, der angeblich kein Blut sehen konnte, hatte zu Blutmagie geforscht? Hatte er uns und Lia hinters Licht geführt oder waren diese Studien der Auslöser, warum er kein Blut sehen könnte? Seltsam allemal.
Die Antwort würde jedoch auf sich warten lassen müssen. Cenereth stellte die eher merkwürdige Frage, ob wir einschreiten würden, wenn er die derzeitige Herrscherin von Zoica töten würde. Sie sei ein Abkömmling des Roten und es Goldenen und damit unausweichlich böse. Mir gefiel, dass meine Schützlinge das ablehnten… sie konnte schlussendlich nichts für ihre Familie und verdiente eine Chance. Cenereth hingegen schien wenig glücklich darüber.
Letzten Endes fragten wir nach Beratung dennoch, was er sich von alldem erhoffte, doch durch eine unglückliche Formulierung wich der der Frage größtenteils aus. In Zusammenhang mit der vorhergehenden Antwort ließ sich jedoch vermuten, dass er zumindest die Erschaffung weiterer Nexi verhindern wollte. Ob das gut oder schlecht war, vermochte ich schlicht nicht einzuschätzen. Wir versuchten, mehr aus ihm herauszulocken, was jedoch nur zum Tel gelang - gleichzeitig wurde er immer ungeduldiger, der Rote würde ihn rufen. Wie wir wenig später feststellten, schien der Rote diesbezüglich Verzögerungen nicht zu dulden. Dennoch musste ich einfach darum bitten, dass er Craich lokalisieren würde. Seine Reaktion jedoch war niederschmetternd - er bestätigte, dass er es ohne Probleme könne, aber keinen Grund sähe, es zu tun. Es war wie ein Schlag in die Magenkuhle - noch nie war ich so nah dran gewesen, die Zerschlagung des Traums fühlte ich umso härter. Ich sackte in mir zusammen, besiegt, doch hörte immerhin noch, wie Ralkarion sich für mich einsetzte. Unerwartet, doch ich war ihm in diesem Moment unendlich dankbar dafür.
Als wir uns dann doch hastig auf den Weg machten, war es bereits zu spät - rote Drachenschwingen hatten den Himmel verdeckt, wie uns Krathus nach einer Erkundung berichtete. Wir suchten hektisch nach einem Versteck, doch auf der engen Treppe gab es keine auch wenn Ralkarion die Lady Lia in eine Maus verwandelte und in seinem Rucksack verstaute. Ich konnte nur hoffen, dass es nutzen würde. So standen wir wenig später dem Roten in menschlicher Gestalt sowie einem weiteren, mir unbekannten Mann gegenüber, dessen Ausstrahlung jedoch verriet, dass man sich mit ihm besser nicht einfach so anlegte.
Zu unserem Glück (oder zumindest etwas, was ich zu diesem Zeitpunkt dafür hielt) schien der Rote nicht auf einen Kampf aus. Dennoch hätten ihn die Bemühungen meiner Schützlinge bisher zwar amüsiert, nun jedoch wären sie zu einer echten Gefahr für seine Pläne geworden. Er gab uns daher die „Wahl” zu sterben, was er laut eigener Aussage noch nicht tun wollte) oder in eine schwarze Box, die er zu Tage förderte, gesogen zu werden. Jedem von uns war noch im Kopf, was er in Westerfell angerichtet hatte - wir wählten die Box. Nach und nach berührten wir sie und wurden hineingesogen - ich hoffte, dass es hier nicht enden würde.
Als nächstes landeten wir in einem quadratischen Raum, interessant waren einzig allein der grüne Nebel in den Ecken - und der uralte Mann, der in der Mitte des Raums lag und kaum noch atmete, aber am Leben war. Auf Ansprache reagierte er nicht, jedoch fand Ralkarion einen Brief an seinem Körper, in dem er sich als Tanaos Ayumu identifizierte und - und hier wurde es interessant - genau vorhersagen hatte, was passiert war. Ralkarion schien davon etwas frustriert zu sein, doch der Brief hatte auch ergeben, dass sich der Magier für uns hier eingeschlossen hatte und den kürzesten Weg für uns herausgesucht hatte - 12 Räume. Wir befänden uns im ersten Raum, wir sollten Kraft im grünen Nebel tanken und den Wächter besiegen, der nicht mehr da wäre, wenn er tot sei. Mich beschlich ein ungutes Gefühl und auch meine Schützlinge dachten dasselbe: Wir würden ihn töten müssen. Alles in mir strebte sich dagegen, einen hilflosen alten Mann, der sich unseretwegen geopfert hatte, einfach zu töten. Als wir feststellten, dass der grüne Nebel verjüngte, schleppte ich ihn hinein, offenbar hatte er es jedoch wohl schon zu oft in Anspruch genommen, es gab nur einen sehr kleinen Effekt. Schlussendlich tat Ralkarion das Undenkbare und erstickte den alten Mann - erstaunlicherweise auch eine rührende Geste, da er es tat, damit Krathus nicht morden musste. Ich war tief beeindruckt von seiner Hingabe. Hatte ihn definitiv falsch eingeschätzt…
Halb erleichtert stellte ich fest, dass es die richtige Entscheidung gewesen war… diverse Portale öffneten sich. Geleitet von einer gefunden Münze sprang Krathus durch eines hindurch. Ich wollte folgen, doch zunächst galt es etwas zu erledigen. Der alte Mann hatte sich unseretwegen geopfert. Wir würden ihn nicht mitnehmen können, aber er hatte ein würdevolles Ende verdient. Also drehte ich ihn auf den Rücken und vollzog die viel zu gewohnten Riten, bevor ich seinen Körper verbrannte, statt ihn hier verrotten zu lassen.
Mit einem letzten Blick zurück betrat ich das Portal und fand mich im nächsten Raum wieder. Dieser unterschied sich in einigem vom ersten - der Nebel war lila, in der Mitte lag ein Podest, in der Ecke ein großer Edelstein - alles bewacht von einem gewaltigen Riesen. Die Aufgabe hier war klar, doch es wurde deutlich, dass es nicht leicht werden würde - nachdem Garret Ralkarion das Artefakt zuwarf, nutzte der Riese seine Keule, um den Edelstein zurückzuschlagen. Es musste etwas passieren, so kämen wir nicht weiter. Seine Bewegung nutzend gelang es mir, die Keule aus seiner Hand zu schlagen und in die Ecke des Raums zu treten. Während er seiner Waffe hinterher rannte und ich und Krathus ihm zwecks Ablenkung weiter zusetzten, gelang es Garret, den Edelstein auf das Podest zu stellen. Der Riese hatte vor, es zu verhindern, doch schnell reagierend unterdrückte ich seine aufgestaute Energie und der Edelstein blieb an Ort und Stelle. Im nächsten Moment hatte der Riese jedes Interesse an uns verloren, als erneut Portale entstanden. Krathus folgend betraten wir das nächste Portal. unsicher, was uns dort erwarten würde…
Sitzung 104
Hier standen wir nun im Gewölbe unter Ark’Therion. Vor uns befand sich scheinbar der graue Mann und mit Lia seine Tochter … noch eine dysfunktionale Familie, welch Überraschung.
Cenereth hielt auch nicht hinter dem Berg mit seiner Beteiligung an den Geschehnissen. Lia war fassungslos. Das konnte ich ihr kaum verdenken. Sie hatte ihre ganze Stadt dem Erdboden gleich machen lassen um, wie jetzt klar wurde, zu versuchen ihren Vater aufzuhalten. Ein Vorgehen, welches ich verurteilte und sie auch hatte spüren lassen.
Ihr alter Herr wollte Informationen, so wie wir. Statt uns auf einen Dialog zu einigen wollte er jedoch Spielchen spielen. Dabei konnten wir aber nur verlieren. Eine Frage für eine Frage, und nur wahrheitsgemäße Antworten waren erlaubt. Die anderen schienen das daraus resultierende Ungleichgewicht und potentiell gefährliche Situationen nicht zu erkennen. Schon die erste Frage könnte fatal enden. Doch wie schon damals im Dreadspire überwog die Mehrheit.
So stellten die Parteien ihre Fragen …
Um zu ermitteln inwieweit Al’Chara in die Vorgänge rund um Cenereth und Shadar involviert war, sowie zu klären wieso ersterer ihr nicht half fragten wir nach seiner Beteiligung an ihrer Einkerkerung. Er machte diese aktiv möglich, um sie zu schützen.
Wie befürchtet war seine erste Frage auch direkt auf den fehlenden Nexus ausgerichtet, dessen Standort wir unter meinem heftigen Zähneknirschen dann auch bekannt gaben. Das würde uns ganz sicher noch in den Hintern beißen.
Auf die Frage was unser Bestreben sei antworteten wir, dass wir Shadar’s Aufstieg zu einer Gottheit aufhalten wollten.
Im Gegenzug erfragten wir Cenereth’s Rolle in der Geschichte. Er war das teuflische Genie, dass die Nexi kreiert hatte.
Er hatte deutlich gemacht, dass Posetine – durch die Mischung aus Shadar’s und Arcalis’ Blutlinie – das ultimativ Böse sei. Seine Frage richtete sich dabei daran, was wir mit dem potentiellen Mörder von ihr tun würden. Angesichts der Tatsache, dass sie unschuldig und nur ein Opfer der Umstände war, würden wir, mit Ausnahme von Krathus, demjenigen Gerechtigkeit zukommen lassen.
Wir fragten nach seinen Absichten beziehungsweise Plänen. Ihm ging es primär darum das Dacra-Blut loszuwerden.
Angeblich war die einzige Option dieses Ziel greifbar zu halten nur dadurch möglich das Spiel von Shadar mitzuspielen. Doch ich misstraute der Gesamtsituation.
Wir erfuhren darüber hinaus, dass erst Mundi’s Forschung Posetine’s Existenz möglich gemacht hatte. Gleichermaßen könnte angeblich nicht mal die Macht der Nexi sie von ihrem Schicksal befreien.
Cenereth hatte seinerseits die Blutmagie Mundi’s studiert. Zu diesem Zweck hatte er seine eigene Tochter zum Tausch angeboten. Was dabei verstörender war wusste ich nicht direkt zu ermitteln. Wie ein Vater seine Tochter verkaufen konnte, oder dass der beim Anblick von Blut erstarrende Untote die Grundlagen für all dies mit Blutmagie geschaffen hatte. Arcalis jedenfalls stahl diese Forschungen und über Umwege verschaffte sich später Shadar dadurch Zugang.
Im Bestreben das Blut der Dacra Familie aus der Welt zu tilgen sorgte Cenereth auch für Yonci’s Tode, nachdem diese den geschützten Bereich ihres Kerkers verlassen hatte. Leider war dies nun auch der Zeitpunkt, an dem sich die Weitergabe von Informationen erschöpfte. Der alte Drache hatte darauf verwiesen, dass er von Shadar gerufen würde. Ausgehend davon, dass er bisher keine Antwort übermittelte, war jener nun auf dem Weg. Schwerlich eine gute Nachricht. Und der Teleportzirkel war ein Stück entfernt.
Calas versuchte noch einen Hinweis auf den Verbleib seiner Familie zu erhalten. Wir wussten ja, dass Cenereth in der Lage war weitreichende Ortungen vorzunehmen. Doch er lehnte ab. Es wäre eine Kleinigkeit gewesen uns zu helfen. Drachen …
Mein Versprechend an den Drachengeborenen ehrend versuchte ich es mit ein wenig Überzeugungsarbeit, scheiterte aber schlussendlich.
Krathus legte derweil etwas zu viel Wert auf sein Seil, dass ihm Cenereth zuvor abgenommen hatte. Bedachte man wie er sich selber gerne mal Dinge unrechtmäßig aneignete, war seine Reaktion gegenüber Diebstahl an seiner Person von fragwürdiger Doppelmoral. Doch das wäre ein Thema für später. Eilig brachen wir auf. Lia war regelrecht erstarrt und blickte an die Decke des Gewölbes. Glücklicherweise war Calas kräftig genug sie einfach über die Schulter zu werfen.
Obwohl wir nun mehr wussten als zuvor stellten sich so viele weitere Fragen, besonders Posetine betreffend. Und was war eigentlich Shadar’s Motivation? Auch wenn er gleich hier eintreffen mochte, wollte ich ihm diese Frage nicht persönlich stellen können.
Der Weg nach oben gestaltete sich fast federleicht. Nahezu schwebend glitten wir die Treppen hinauf. Irgendetwas hatte scheinbar immensen Einfluss auf diese Gegend und dieses Etwas würde uns vermutlich mit einem Happs vertilgen. Damit wir nicht unvorbereitet aus der Ruine traten schlich Krathus todesmutig voran, um einen Blick nach draußen zu erhaschen. Zwar wurde er nicht entdeckt, doch war unsere Zeit abgelaufen. Jemand kam uns entgegen und Krathus vernahm zwei Stimmen. Die einzige Option war wieder nach unten zu gehen, hoffentlich einen Zugang zu den anderen versteckten Räumen zu entdecken.
Es war völlig unklar was passieren würde, wenn Shadar erneut auf Lia traf. In einer Kurzschlusshandlung verwandelte ich die immer noch beinahe starre junge Frau in eine Maus und steckte sie in den magischen Beutel. Abseits dieser Ebene der Existenz wäre sie vorläufig wohl sicherer, auch wenn irgendwann die Luft ausginge. Aber darum könnte ich mich hoffentlich später kümmern.
Das Schicksal war jedoch nicht auf unserer Seite. Plötzlich schwebte eine Gestalt von oben direkt durch das Gemäuer in geisterhafter Form hinab vor unsere Füße. Shadar Logoth in humanoider Form. Er hatte schwarze lange Haare und war gänzlich in rotem Samt sowie goldenen Verzierungen gehüllt. Instinktiv warf sich Krathus auf die Knie und sprach seine Anrufung an ihn. Zumindest das erste taten wir ihm gleich. Wenn es eine Chance geben sollte diesen Kontakt zu überleben, dann definitiv nicht mit dem Schwert.
Shadar machte keinen Hehl darum, dass er die Taten der Gruppe verfolgt hatte. So sprach er auch Garret direkt auf seine Revolution an und etwas Hohn klang in dem Kommentar wieder, als er ihn „Töter von Cuu“ nannte. Fast schon verspottend rief er dann nach Cenereth, welcher keine Anstalten machte sich zu zeigen. Bei genauerer Betrachtung von Krathus und der um das Banner schwebenden grünen Kugel konnte man aber echte Überraschung im Gesicht des Drachen ausmachen. Wenngleich er nicht weiter darauf einging. Dann erschien ein Mensch hinter uns. Er war groß, blond und hatte ein Auge verloren.
In völliger Überlegenheit badend ließ uns der große Rote wissen, dass er uns bisher in Ruhe gelassen habe. Es sei amüsant die sterblichen zu beobachten und sie würden ihn stets mit ihrer kreativen Art unterhalten. In unserem Fall jedoch seien wir inzwischen dabei eine Grenze zu überschreiten. Wir konnten also entweder den Freitod wählen oder uns zu seinem Amüsement freiwillig einer Herausforderung stellen, die nur eventuell mit unserem Tod endete. So stellte er einen schwarzen Kubus vor sich hin. Seine Erwartung war, dass wir diesen „betraten“. Viel nachzudenken gab es eigentlich nicht. So sah das auch Krathus, der direkt den Kubus berührte und in diesen eingesogen wurde. Wir folgten einer nach dem anderen.
Wo immer wir nun waren, der Platz war begrenzt und es war dunkel. Kaum ein Problem für mich, aber Garret sorgte sofort für Licht. Es gab zwei Stellen im Raum mit einer wabernden grünlichen Energie. In der Mitte des Raumes lag ein unglaublich alter Mann. Irgendwas an ihm kam mir bekannt vor, doch ich konnte es nicht genau einordnen. Derweil spielte Krathus mit der Energiesäule rum, wohl aber ohne Konsequenzen.
Bei genauerer Untersuchung fand sich eine Schriftrolle im Besitz des Mannes. Jetzt ging uns ein anderes Licht auf. Sie beschrieb, dass es sich bei der Person um Tanaos Ayumu handelte. Er hatte sich absichtlich hierherbringen lassen, um uns benachrichtigen zu können, gleichzeitig verdammte er uns. Konnte nicht sagen, dass ich glücklich darüber gewesen war erneut in einer seiner Prophezeiungen gelandet zu sein. War die Aussicht hier lebend rauszukommen noch so positiv, gleichermaßen schienen unsere Leben einem fixen Pfad zu folgen. Das gefiel mir gar nicht. Bewundernswert hingegen war, dass sich der alte Mann wohl über viele Jahrzehnte durch dieses „Labyrinth“ bewegt hatte, um den kürzesten Weg ausfindig zu machen.
In der grünen Energie sollten wir uns „aufladen“, wie er es nannte, bevor wir uns auf den Weg machten. Was Krathus sogleich erneut ausprobierte, sich reinstellte und vor unseren Augen jünger zu werden schien. Doch es stand noch mehr in der Rolle.
Wir kämen erst dann weiter, wenn wir den Wächter dieses Raumes getötet hätten. Ausgehend davon hier niemanden sonst gesehen zu haben vermutete ich, dass er damit wohl sich selbst meinen könnte. Calas fand diese Perspektive nicht wünschenswert und versuchte hingegen Tanaos zu verjüngen. Hoffend, dass wir in ihm einen Verbündeten an unserer Seite hatten. Ich hielt es für fahrlässig einem potentiell mächtigen Magienutzer auf die Beine zu helfen, wenn dieser sich hier anschließend als unser Feind erweisen könnte. Viel konnte ich aber gegen den Muskelberg nicht ausrichten. Gleichermaßen richtete aber auch die Energie nicht viel aus. Wie oft Tanaos davon wohl selbst schon Gebrauch gemacht hatte …
Es war aber kein aktives Leben in ihn zurückzubekommen. Es blieb uns wohl nichts anderes übrig als ihn von seinem vegetativen Zustand zu erlösen und unseren Weg fortzusetzen, so wie er es wollte. Ehrlicherweise hielt ich es aber für genauso falsch, wie Calas es tat. Doch andernfalls würden wir hier drin nichts erreichen können. Krathus machte deutlich, dass ihm der Alte nichts bedeutete und kein Problem damit hätte sich seiner zu entledigen. Im Begriff diesen Worten Taten folgen zu lassen stellte ich mich aber in seinen Weg. Ich machte mir keine falschen Vorstellungen davon was Krathus in der Vergangenheit getan oder was er in Rachwood erlebt hatte, aber ich bezweifelte, dass Razora ihm erlaubte unschuldige wehrlose Personen umzubringen. Und ich würde ihm diese Schuld auch nicht aufbürden wollen.
Verunsichert griff ich zu meinem Dolch, bevor Garret auf weniger blutige Optionen hinwies. Das stimmte … was war nur mit mir los, ohne nachzudenken ausgerechnet zum Dolch zu greifen. Mit großem Widerwillen meinerseits und gleichermaßen ohne Gegenwehr seinerseits entschwand das Leben des Magiers mangels Sauerstoffs. Vor einigen Wochen wollte ich ihm noch den Hals umdrehen. Jetzt bekam ich wonach ich verlangt hatte. Es stellte mich keineswegs zufrieden.
Nachdem sein Herz aufhörte zu schlagen erschienen an allen vier Seiten dieses Raumes rot glühende Öffnungen. Scheinbar war dies unser Ausweg, zumindest in einen der nächsten von mindestens elf weiteren Räume. So lautete jedenfalls Tanaos’ Aussage. Während ich noch über die absurde Situation nachdachte, schoss mir in den Kopf, dass Lia bald auch Luft bräuchte. Ich griff in den Beutel doch fand sie nicht. Wie konnte das sein? Ich spürte noch immer eine Verbindung, da der Verwandlungszauber meine Konzentration erforderte. Wenn sie bei Shadar verblieben war, könnte dies ihr Ende bedeutet haben. Ich hoffte mich zu irren.
Calas wollte den alten Mann noch ad hoc beerdigen und strebte danach ein Feuer zu entzünden. Ich durchforstete noch schnell seine Taschen und fand dabei eine Kupfermünze, welche in der Schriftrolle angemerkt wurde für Krathus zu sein. Danach verbrannte Tanaos in kürzester Zeit. Die Tore jedoch begannen sich langsam wieder zu schließen. Da wir uns nicht einigen konnten welcher Durchgang der richtige sei stapfte Krathus stumpf auf einen zu. Kurz bevor er das rote Licht berührte, sprang die Münze aus seiner Tasche und ließ uns so wissen, dass dies der falsche Zugang sei. Wir probierten jeden Zugang, bis die Münze keine Reaktion zeigte.
So gelangten wir in den zweiten Raum. Vor uns erhob sich ein Riese, der auch sogleich mit Gewalt klarmachte, wie er zu uns stand. Die hier lila wabernde Energie umgingen wir weiträumig. Ein rundlicher Kristall lag in einer Ecke des Raumes, eine Art Altar mit entsprechend rundlichem Einlass in einer anderen. Schnellstmöglich sorgte Garret dafür, dass die Kugel an ihren vermeintlichen Platz kam. Glücklicherweise konnten wir so den Kontakt mit dem Riesen auf ein Minimum reduzieren. Jener verschwand vor unseren Augen als die Kugel einen Moment in dem Altar geruht hatte. Erneut gingen Zugänge auf. Doch diesmal reagierte die Münze bei keinem Durchgang. So entschieden wir uns spontan für einen, hoffend nicht von Tanaos’ ersonnenem Weg abzuweichen …
Sitzung 103
Als sie einige Sekunden später erwachte, sprühte ihr die Dankbarkeit nicht eben aus allen Poren. Na, egal. War unser Auftrag, wir hatten höflich zu sein, niemand verlangte das von ihr. Wäre auch nicht die Erste, die den Einsatz anderer nicht wertschätzte, man lernte, das recht gleichgültig zu sehen. Ralkarion und Krathus hingegen zeigten, wie jung sie noch waren und waren sichtlich beleidigt. Der Fairness halber sei gesagt, dass mich Ralkarions Art der verklausulierten „Antworten” ebenfalls nicht gerade fröhlich gestimmt hätte, weshalb ich nach ihrer dritten Nachfrage einwarf, dass wir von Mundi geschickt waren. Mochte Ral gar nicht. War amüsierend leicht, ihn aus der Fassung zu bringen.
Das Herz hatte er aber am rechten Fleck, wie sich zeigte, als wir Lia nach ihrer Geschichte befragten. Offenbar war sie auf der Suche nach einem grauen Mann, eine Entität, die den anderen bekannt vorkam. Während sie praktisch nichts über ihn wusste, wusste sie jedoch, dass er in den Plänen des Großen Roten eine große Rolle spielte, eine Gottheit zu werden. Das musste ich erstmal verdauen, die anderen schienen von diesen Plänen bereits zu wissen. Steigerte meinen Respekt enorm… nicht jeder hätte den Mumm, sich so etwas entgegenzustellen. Jedenfalls war Lia der Meinung, dass alle Fäden beim Grauen Mann in Ak’therion zusammenliefen und ihre Schlussfolgerung war, dass ganz Ark’therion inklusive der Zivilbevölkerung abgeschlachtet werden musste. Was für eine… die Professionalität verbot es mir, zu sagen, was ich davon hielt, doch wie bereits erwähnt, waren die anderen weniger zurückhaltend. War schon dankbar dafür. Trotzdem erstaunlich, dass jemand mit einem solchen Überlebensinstinkt wie Ralkarion offenbar Spaß daran hatte, einen leibhaftigen Drachen zu reizen.
Dennoch war dies wohl das Signal, alle Zurückhaltung aufzugeben. Es interessierte sie wenig, dass wir von Mundi geschickt waren oder die Absichten, die damit verbunden waren. Mehr noch erfuhren wir, dass Mundi offenbar panische Angst vor Blut hatte und seine zur Schau gestellte Gefährlichkeit eben nur das war - zur Schau gestellt. Fast schon amüsant. Wesentlich interessanter für sie und Kopfschmerzen auslösend für mich waren die anschließenden Erzählungen von Nexi, die dem Roten bei seinen Plänen helfen könnten. Zu hundert Prozent verstand ich es nicht, offenbar waren es magische Speicher? Lia war vor allem an der Tatsache interessiert, dass der Rote sie nicht persönlich kontrollierte, sondern Untergebene von ihm - die man töten und ihren Platz einnehmen konnte. Offenbar waren aber nicht alle unbedingt angetan von dem Roten. Es war der Moment, in dem ich aufgab, dass alles jetzt verstehen zu wollen, ich würde mir das später nochmal durch den Kopf gehen lassen.
Eher ungläubig reagierte die junge Lady Therion auf den Bericht des silbernen Drachen, der uns angegriffen hatte. Wir müssten uns verguckt haben, es gäbe keine silbernen mehr, vielleicht wäre es ja ein weißer gewesen. Ich schwieg, dachte mir aber meinen Teil, schließlich hatte sie bis vor kurzem auch nicht gewusst, dass ihre Mutter noch am Leben war. Immerhin lieferte sie eine höchst interessante Erklärung dafür, warum der Drache uns so leicht aufspüren konnte: Offenbar besaßen einige die Fähigkeit, anhand von Gegenständen Leute aufzuspüren, die damit in Kontakt gewesen waren oder denen sie gehörten. Krathus erinnerte sich an seine Flugstunde, untersuchte hektisch seine Ausrüstung und tatsächlich - sein Seil fehlte. Mit einem Geistesblitz stellte der Kleine daraufhin fest, dass er nun den Drachen aufspüren könnte, denn er konnte umgekehrt sein Seil magisch finden. Praktische Fähigkeit, gerade in meinem Beruf! Irgendwie war ich über seine Cleverness nichtmal überrascht, seit unserem Aufeinandertreffen vor einer Woche hatte er mich schon oft überrascht - er hatte Potential. Erinnerte mich an meinen Sohn, was mich gerade jetzt nicht überraschte.
Krathus war es auch, der jetzt bei Lady Lias arroganter Art der Kragen platzte und etwas Dankbarkeit verlangte. Mutig - und nachvollziehbar. Während Lady Therion davon gar nicht amüsiert war, stapfte sie dennoch los und holte eine Truhe aus dem Gebäude, schließlich wäre Geld ja alles, was uns Sterbliche interessieren würde. Das nun nicht gerade, aber für einen erledigten Job bezahlt zu werden war völlig normal. Ralkarion schien diese Einstellung zwar nicht zu gefallen, aber ich teilte da Krathus Einstellung, wenngleich er mehr Vergnügen daraus zu ziehen schien als ich.
Im weiteren Verlauf wurden Pläne geschmiedet, konkret: In Ark’Therion sollte nach Hinweisen auf den Grauen Mann gesucht werden. Das würde mehr oder weniger sicher bedeuten, dass wir auch wieder auf den Drachen stießen. Um die Gefahr abzulindern, bestimmte Lady Therion, dass wir erst in zwei Tagen aufbrechen würden und sie den morgigen Tag für diverse Schutzzauber verwenden würde. Konnte nicht sagen, dass ich dem abgeneigt wäre, so willigten wir ein.
Nachdem nun alles wichtige besprochen war, wagte ich es, meine Bitte an die Gruppe zu richten: Den anderen Drachen wenn irgend möglich am Leben zu lassen. Seine Fähigkeiten, andere anhand von Objekten aufzuspüren, war die beste Chance seit Jahren, Craich und vielleicht auch Gwen zu finden. Im Zuge dessen erzählte ich der Gruppe von den Ereignissen in den Shales. Es schmerzet immer noch, davon zu erzählen, besonders mit Craichs Feder in der Hand, doch sie verdienten eine Erklärung. Ich machte mir keine Illusionen darüber, dass wir eventuell gezwungen wären, den anderen Drachen zu töten - sofern er uns nicht zuerst tötete. Aber wenn auch nur eine Chance bestünde…
Der nächste Tag verlief recht ereignislos, Lia webte ihre Zauber und stritt mit Ralkarion über den Wert von Büchern. Ich führte währenddessen mit Krathus Waffenübungen durch, in Vorbereitung auf den morgigen Tag. Nach dem, was ich bisher von ihm gesehen hatte, war es auch Zeit, jede Zurückhaltung in den Übungen zu beenden. Er hatte viel zu lernen, sicher, aber seine beachtlichen Fähigkeiten verdienten Respekt. Wenn er jetzt noch etwas Disziplin zeigen könnte, wenn gefordert - nun, das würde noch etwas dauern und bis dahin war seine mangelnde Disziplin Quell von Amusement: Wenig später, fand sich Ralkarion plötzlich hoch in der Luft, schreiend auf einem rasenden Yak reitend, dorthin teleportiert von Krathus als Rache für den Dunkelheitszauber von vor ein paar Tagen. Ich konnte nicht anders und brach in schallendes Gelächter aus. Das Bild würde ich noch lange vor Augen haben.
Nach einer weiteren ungestörten Nachtruhe wurde es Zeit, den Plan in die Tat umzusetzen. Zu meiner Erleichterung konnte ich mit Krathus auf seinem fliegenden Yak reiten - die ganze Verwandlerei von Lia insbesondere weckte unangenehme Erinnerungen. Ralkarion trieb seine Provokationen Lady Therion gegenüber diesmal offenbar auf die Spitze, als er etwas vor sich hinmurmelte und kurz darauf am plötzlich rutschigen Drachenrücken den Halt verlor, ganz offenbar durch Lady Therion verursacht. Ich hätte schwören können, ich hätte die Drachin lachen hören.
Abgesehen von der unglaublichen Geschwindigkeit, mit der wir durch die Lüfte jagten, verlief die Reise ereignislos. Ich begann schon zu befürchten, wir hätten den Drachen vollständig umgangen, und sowohl Ralkarion als auch ich begannen, unsere magische Sicht vorzubereiten, während Krathus sein Seil tief unter der Stadt lokalisierte.
So abgelenkt bemerkten wir nicht, wie der Drache plötzlich wieder auftauchte und auf uns niederstieß, eine Gaswolke ausstoßend, die uns einen kurzen Moment lang paralysierte. Als diese gebrochen war, analysierte ich kurz die Situation. Lia war damit beschäftigt, die anderen aus der Luft zu fischen und Krathus damit, ihren Sturz abzubremsen. Währenddessen war das andere Vieh in einen Sturzflug gegangen und drohte, wieder zu verschwinden. Das konnten wir nicht riskieren, diese Überraschungsangriffe hatten uns schon letztes Mal fast umgebracht. Als ich einen Entschluss fasste, grinste ich innerlich. Das hatte ich schon lang nicht mehr getan… ich rief den anderen zu, dass ich mich an seine Fersen heften würde um zu sehen, wohin der Drache gehen wollte. Dann legte ich die Arme an, drehte mich - und stürzte dem Drachen hinterher. Dessen Flügel bremsten seinen Sturz, so dass ich sogar Boden gewann, doch der Drache wirkte einen Zauber, der ihn unsichtbar werden ließ - nicht aber, bevor ich gesehen hatte, in welche Richtung er verschwand. Meinen eigenen Zauber wirkend setzte ich sanft aus dem Boden auf und begann laut zu lachen, als die Mischung aus Adrenalin und Endorphinen meinen Körper flutete. So fanden mich die anderen, Ralkarion war natürlich eher entsetzt. Der Kerl musste sich mal locker machen, es war so selten, dass Arbeit und Vergnügen sich dermaßen miteinander vereinbaren ließen.
Ich zeigte den anderen, in welche Richtung der Drache entschwunden war - dieselbe Richtung, in der laut Lady Therion auch das Labor ihres Vaters lag. Mich beschlich das Gefühl, dass wir den Drachen dort wiedersehen würden und wir machten uns auf den Weg - direkt zum Palast.
Zielsicher führte uns Lady Therion in das Gemach ihres Vaters und drückte dort einige Steine, woraufhin sich ein Geheimgang öffnete. Auch wenn sie nie dort unten gewesen war, wusste sie doch, wie man dorthin gelangte. Ich konnte kaum glauben, dass sie nie versucht hatte, selbst dorthin zu gelangen - Kinder waren neugierig. Tatsächlich hatte sie es wohl einmal versucht, doch hatte einen Alarm ausgelöst. Die Tür begutachtend stellte sich heraus, dass sie tatsächlich mit einem solchen Zauber versehen war. Nun, das ließ sich beheben, wir wollten uns ja nicht zu früh ankündigen… ich konzentrierte mich, ließ meine Magie in meine Waffe fließen und beseitigte ihn mit einem gezielten Schlag.
Lia zierte sich etwas, herunterzukommen. Ob es kindlicher Reflex oder Angst war, vermochte ich nicht zu sagen. Immerhin war der andere Drache deutlich größer als sie gewesen und auch dieser Ort war nicht ohne magische Verteidigung, wie sich beim Abstieg feststellen ließ - ein paar Schritte später hörte meine magische Sicht plötzlich auf zu wirken, genau wie die von Ralkarion. Beunruhigend, doch wie Garret feststellte, blockte der Schutz immerhin nicht Magie als Ganzes.
Der Raum, indem wir ankamen, war in keinster Weise, wie man ihn sich vorgestellt hätte. Er sah mehr wie eine gemütliche, kleine Stube mit einer Menge Büchern aus statt nach Labor. Wohl wissend, dass es noch mehr geben musste als das untersuchten wir den Raum nach weiteren Ausgängen, doch erfolglos. Lady Therion ließ sich auf einen der Sessel fallen und machte ihrer Enttäuschung Luft.
Und im selben Moment erschien im Sessel daneben ein grauer Mann, der bestätigte, dass er ebenfalls stets von Lia enttäuscht gewesen worden sei - seiner Tochter…