Tagebücher
Die Tagebucheinträge sind nach der Gesamtzahl der Sitzungen beider Gruppen strukturiert. Jedes Buch erzählt eine durchgehende Geschichte aus der jeweiligen Sichtweise des Charakters, der es geschrieben hat.
Gemeinsam ergeben diese Bücher die Zusammenfassung aller Ereignisse der Kampagne.
Sitzung 84
Ihr Fall war zum Glück nicht so tief. Aber meine Überraschung so groß, dass ich nicht mal instinktiv reagieren konnte ihnen den Aufprall zu ersparen. Juntos sofortige Reaktion zu ihrem Auftauchen war geprägt von Missfallen über die, aus seiner Sicht, körperlichen Unzulänglichkeiten meiner Freude. Krathus landete stumpf auf seinem Hintern, wohingegen sich Garret sauber abzurollen wusste. Ava hingegen klatschte wie ein nasser Sack einfach auf den Boden, ohne jede Regung. Was war hier geschehen? Die Fragen türmten sich in meinem Kopf. Zwei von dreien ging es offenbar soweit gut. So versuchte ich herauszufinden was mit Ava passiert war und machte es ihr derweil etwas bequemer. Kann nicht sagen, dass die beiden eine große Hilfe bei der Aufklärung gewesen wären. Garret’s Gesichtsausdruck sprach dieselbe ahnungslose Sprache wie sonst auch. Angeblich war alles ok gewesen. Zumindest freute sich Krathus darüber Juntos zu sehen. Eine weitestgehend belanglose Erkenntnis.
Da von unserer Begleiterin erst einmal keine Reaktion zu erwarten war spielte ich den Ball nun zu den beiden anderen hinüber. Ich wollte genau wissen was sich ereignet hatte. Sie erzählten eine skurrile Geschichte. Der von Taya erwähnte Bugbear spielte eine nicht unerhebliche Rolle darin. Sie seien in einer parallelen Welt gefangen gewesen. Dieser hier sehr ähnlich und doch mit bedeutenden Unterschieden. Trafen dort allerlei bekannte und unbekannte Personen. Wohl unter Anderem Zerrbilder von Al’chara und Layara, sowie auch einen Mann Namens Monta Kren – der wohl ein Dreh- und Angelpunkt ihrer Unternehmungen wurde. Sie hatten sogar einen Nexus gefunden. Krathus’ Banner sog sich gar mit dessen Energie voll. Erklärte zumindest den grünen Bommel der da kreiste. Ihr Bugbear Begleiter war wohl zurück geblieben. Hatte aber irgendwie eine Nexuskugel ergattert und sie damit zurück nach Hause geschickt. Die Erkenntnis, dass dieses Geschöpf für einen Loganar arbeitete und dies ein Abkömmling von Shadar war machte dies alles noch verwunderlicher. Das musste erstmal alles verdaut und in Relation gesetzt werden.
Mein Kommentar zu den Ereignissen des alternativen Sylvanar betreffend und wie sich manche Dinge wohl überall gleichen würden ließ Juntos hingegen unerwartet allergisch reagieren. Erst brachte er nur kryptisch etwas raus, aber ich ließ nicht locker. Und siehe da. Die Passivität Sylvanar’s, während Ark’Therion vor Jahrzehnten seinen Untergang durch die Hextor erlitt, war auf einen gleichzeitig geführten Krieg mit den Echsenmenschen zurückzuführen. Als ich ihn wissen ließ, dass ein angeblicher Dämon aus deren Region gerade auf dem Weg nach Sylvanar sei bekam ich dafür einen Stein an den Kopf. Herzallerliebst. War ja nicht so, als hätte er zuletzt mit Informationen um sich geschmissen.
Doch das Gespräch mit den beiden anderen war noch nicht vorbei. Offenbar hatte Krathus sich in der Abwesenheit dieser Welt recht viel an der Vorgehensweise Garret’s orientiert. Obgleich keine Revolution, dann doch eine Art Erstürmung des geltenden Herrscheranwesens war seine Lösung für ihr Problem zum Ende hin. Für einen Moment schrie eine warnende Stimme in meinem Inneren ganz laut auf. Nun ja, sie hatten es zumindest wieder zurück geschafft. Mit mehr Glück als Verstand, so schien es. Irgendwie vermutete ich, dass Ava die Dinge nicht so simpel betrachtet hatte, wie es die beiden halben Portionen taten. Doch sie war trotz der langen Erzählung noch immer bewusstlos. Was zum Einen Fragen unmöglich machte, mich aber zum Anderen extrem besorgte.
Derweil erläuterte ich den beiden meine Beweggründe für die damalige überhastete Abreise. Und nicht zuletzt was auf dem Weg passiert war. Bei weitem nicht so viel dramatisches wie bei ihnen, aber ausreichend.
Irgendwann gegen Abend ertönte dann Ava’s Stimme aus dem Nichts. Sie war endlich erwacht. Ich war heilfroh. Doch die Art wie sie sprach war milde gesagt irritierend. Rational, aber kalt. Natürlich erwartete ich keine freudestrahlende Umarmung oder so … eher einen Tadel. Beides blieb aus. Sie freute sich angeblich mich zu sehen, sagte sie. Doch hatte sie dabei etwa so viel Ausdruck im Gesicht, wie eine Steinwand. Mein verwirrter Blick traf auf den von Garret, welcher hingegen wieder Ahnungslosigkeit zur Schau stellte.
Wir waren gerade dabei einen Plan zu entwickeln die Höhle zu durchqueren, als sie die Stimme erhob. Und dort setzte sie dann auch nach der sehr kurz gehaltenen Begrüßung direkt an. Es kam ein verbaler Wasserfall an Gedanken aus ihr, der trockener in der Art ihrer Tonlage nicht sein konnte. Mit nicht zuletzt beunruhigenden Inhalten, die darauf hindeuten, dass sie ein Opferlamm in Verkörperung von Snurba zu wünschen schien, um den Durchgang testen zu können. Es war grotesk. Das war doch nicht dieselbe Ava, die ich vor etwas länger als einer Woche mit den beiden Torfnasen hatte ziehen lassen. Wir waren zwar nicht unbedingt einer Meinung gewesen, aber ich hatte den Eindruck, dass wir langsam auf einen gemeinsamen Nenner kamen. Uns annäherten.
Nachdem wir rudimentäre Ideen ausgetauscht hatten wie wir uns der Höhle annehmen sollten, rotierte es in meinem Kopf. Alles was von ihr kam war so fremd. Wer war diese Person!? Was verdammt nochmal war da drüben mit ihr geschehen!? Hatten sie ein Zerrbild von ihr mitgebracht, statt des Originals? Ich griff mir Garret und verlangte mehr zu erfahren. Dabei war ich kaum freundlich. Auf irgendeine naive, oder gar nutzlose Antwort konnte ich gerade überhaupt nicht. Hätte es besser wissen müssen … natürlich behauptete er keine Ahnung zu haben. Doch es kam raus, dass sie wohl schon länger emotional am Driften war. Krathus kannte sie nicht so gut, aber Garret hätte darauf reagieren müssen. Wieso er das nicht tat war mich völlig unverständlich. Er dachte wohl es sei alles okay, die fängt sich schon. TICKTE DER NOCH GANZ SAUBER!?
Bevor ich drohte zu zerplatzen folgte ein Schubs in Ava’s Richtung und die klare Anweisung an ihn herauszufinden was mit ihr nicht stimmte. Diesem Kerl folgte das Chaos überall hin und hinterließ nur verbrannte Erde. Sogar in den Köpfen seiner Mitreisenden. Unglaublich.
Derweil wechselte ich noch einmal ein paar Worte mit Krathus. Ich musste sicherstellen zu verstehen auf wessen Seite er stehen würde. Was seine Pläne waren und ob wir Gebrauch von den Kräften des Banners machen konnten. Es war allerdings ernüchternd. Wir konnten uns dem Ritual anschließen, damit die Macht des Banners zunutze machen, aber eine Unterbrechung des täglichen Rituals würde auf Kurz oder Lang die Aufmerksamkeit Shadar’s auf denjenigen ziehen. Und was den Kobold selbst betraf hatte er nur das Ziel Razora zu befreien. Danach wollte er fliehen. Mir blieb unklar wohin er fliehen wollte. Zumal Razora kaum so denken würde, dachte ich in mich hinein. Alles bisher erzählte plus diese letzte Aussage ließ kein anderes Ergebnis zu … wir würden fortan mit zwei Garret’s reisen. Vor meinem geistigen Auge malte ich mir aus was das bedeuten würde. Hätte schwören können, dass ich für einen Moment eine einsetzende Hirnblutung spürte.
Garret hatte anscheinend keinen Erfolg gehabt irgendwas herauszufinden. Laut Ava selbst ginge es ihr gut. Sie hätte wohl einfach nur „dazugelernt“. Nicht zuletzt wegen seiner Handlungen. Das ließ wohl auch ihn zweifeln, hatte ich den Eindruck. Wäre zumindest ein Fortschritt.
Es war spät. Kopfschmerzen plagten mich ob der Geschehnisse. Und morgen würden wir gemeinsam weiterreisen, um nach Iris zu gelangen. So vieles war ungeklärt, fühlte sich falsch an und zeitgleich notwendig. Als ich mich schlafen legte, durchfuhr mich ein besonders kalter Schauer. Er ging durch Mark und Bein. „Grabeskälte“ im Volksmund. Ein Omen dafür, dass der Weg vor einem das Ende markierte. Im Versuch es als Aberglauben abzutun und das hier herrschende Klima dafür verantwortlich zu machen schlief ich irgendwann tatsächlich ein.
Gegen Morgen weckte uns Ava. Diese Augenviecher hatten uns erspäht und führten eine Diskussion darum, was sie nun tun sollten. Doch mein Blick verharrte auf Ava. Über Nacht hatte sie sich eine neue Optik verpasst. Ein martialischeres Auftreten durch Bemalung und Frisur. Sie beschwor magisch ihren Bogen, ich sah es im Augenwinkel, worüber sie selbst kurz aber bloß marginal erstaunt war. Dann wies sie mich an nach oben zu blicken. Für wie lange mein Blick wirklich auf ihr blieb wusste ich nicht. Aber was ich dort vor mir sah war ein Warnzeichen, dass es nicht zu unterschätzen galt. Und mich in Untiefen von Verwirrung stürzte. Beiläufig rief ich hoch, dass wir Pilger seien. Erst danach löste sich mein Blick von ihr. Darauf reagierten die Mehräugigen mit Unmut.
Die Viecher verschwanden. Ava machte sofort klar, dass ich mich als Herold des Pilgers ausgeben sollte. Krathus sollte in Zukunft auf mich und nicht Garret hören. Fest umwoben in meiner Irritation stand ich einfach nur da. Kurz darauf tauchte ein größeres Wesen dieser Art auf. Es hatte so etwas wie eine Gondel bei sich und ließ sie einfach vor unsere Füße knallen. Als das große Vieh Krathus dann aber fragte wer wir anderen seien und „Sklaven“ zur Auswahl stellte, hatte der Kobold schon wieder vergessen, was ihm soeben gesagt wurde. Antwortete er doch glatt mit einem „ja“. Ich unterdrückte den Impuls meine Handfläche gegen den Kopf zu schlagen. Zumindest sorgte er dafür, dass wir im Nachgang alle eine Mitfluggelegenheit bekamen. Auch wenn dies nicht im Interesse dieses fliegenden Auges war.
Wir überflogen das Gebirge in kürzester Zeit und kamen schon bald an einem Ort an, der uns als Iris vorgestellt wurde. Es gab unzählige Gänge und Höhlen in der primären Gebirgswand. Auf ihr thronte ein riesiges einer Arena ähnelndes Gebäude. Beim Herflug hatten wir hingegen gesehen, wo die Höhle ihren Ausgang zu haben schien. Ein Stück weiter gab es einen übergroßen Haufen voller steinerner Statuen, die alle nach etwas zu greifen schienen. Ich bekam Erinnerungsschübe aus Rachwood. Und schließlich wurden wir direkt vor einem Wesen abgesetzt, dass ich noch nie zuvor gesehen hatte. Doch seine Beschreibung kam Snurba’s Erzählung verdächtig nahe. Eine Schlange mit vielen Augen. War dies etwa der Sphärenmeister Tiago … ? „Grabeskälte“ dachte ich nur und erstarrte.
Pre-Sitzung 84
Lange warteten Juntos und ich auf die Rückkehr von Mithpione. Die Anspannung in meinem Reisegefährten war sichtlich zu spüren, oder war es meine eigene? Je länger dies dauern würde, desto größer der Vorsprung des Gefangenentransports … und nicht zuletzt meiner Freunde. Mit vielen Worten versuchte ich Juntos begreiflich zu machen, das wir letztere als erstes zu finden hatten. Es würde hilfreich sein mehr Kampfkraft aufbieten zu können. Nicht zuletzt war ja auch sein „Neffe“ Krathus bei ihnen. Irgendwann drangen diese Worte dann doch zu ihm durch. Und noch später, beim Durchsehen des Buches, erhielten wir auch die Antwort auf das Fehlen unserer Bärenreiterin durch den Zinnsoldaten. Sie hatte die Sicherheit gewährleisten wollen und war selbst mit nach Zoica gereist. Es gab nunmehr nichts, was uns hier noch hielt. So setzten wir die Reise fort – den Spuren folgend.
Bereits einen Tag später kamen wir an eine Verteidigungsanlage die wohl zu Oclusar gehörte. Zu unserer Überraschung fanden sich hier einige tote Augenviecher und ein großes Graffiti. „KAG“. Juntos war es unbekannt. Er freute sich aber sichtlich über die Leichen der Eindringlinge, obgleich er sie wohl lieber selbst erschlagen hätte. Ich ahnte, dass es ein Hinweis auf Garret und die anderen sein könnte. Da es hier nicht viel von Wert gab hielten wir uns auch nicht lange auf. Die Reise ging weiter.
Ein merkwürdiges Etwas war in der Entfernung zu sehen. Es wirkte, als sei es humanoid aber irgendwas stimmte nicht. Möglicherweise hatte es gar vier Arme!? Instinktiv machten wir einen weiten Bogen um es. Dieser Bogen führte uns zum Abend hin dann zu einer Hütte. Lamas wurden hier gezüchtet. Der Besitzer war nirgends zu sehen. Zumindest hatten wir eine gute Unterkunft für die Nacht gefunden.
Juntos war nicht unbedingt ein spaßiger Reisebegleiter. Die meiste Zeit schwieg er. Immer wieder versuchte ich ihm etwas zu entlocken, doch er war auf einem Kriegspfad und sein Fokus entsprechend. Muss gestehen, dass es ein wenig lästig war mit meinen Gedanken allein zu sein. Garret hätte konstant für Ablenkung gesorgt. Ob nun zum Guten oder Schlechten. Was aber zumindest verhindert hätte, dass meine Sorgen immer weiter wuchsen. Die Situation hier und jetzt war es dabei gar nicht. Das schien Alltag geworden zu sein. Jedoch ließen mich die Informationen über meine Familie nicht los. Mein Vater, ein eigennütziger Massenmörder. Wie er seine Kinder „magisch aufwertete“ durch seine grausamen Methoden. Meine Schwester … ich war gar nicht so allein, wie ich immer dachte. Wie sie wohl war? Hoffentlich nicht wie er. Sie zu finden wäre auf jeden Fall ziemlich weit oben auf meiner Agenda. Nach Razora, nach meinen Freunden.
Mitunter verloren wir die Spur der Wagenkolonne, doch Juntos war sichtlich ein Experte in dem was er tat. Oder er hatte nur gut geraten. Als wir sie weiterverfolgten stießen wir etwas überraschend auf Reisende. Es kostete einige Mühe Juntos davon zu überzeugen dem Kobold nicht direkt den Kopf von den Schultern zu trennen. Und das junge Mädchen tat ihrerseits alles, um dies zu verhindern. Ein merkwürdiges Gespann. Als sich die Situation beruhigte stellte sich heraus, dass wir Ava und den anderen direkt auf der Spur waren. Das Mädchen, Taya, erzählte wie sie gemeinsam einige Zeit verbracht hatten. Scheinbar kam sie aus der gleichen Region, in der Garret sein Kampftraining absolviert hatte. Auf ihn angesprochen schien sie aber etwas verunsichert ob ihrer Meinung zu ihm. Das Gefühl war mir nur zu bekannt. Der Wunde Punkt hingegen kam noch, als die beiden berichteten, wie ein Bugbear auf die Gruppe traf und sie kurz danach in einem grellen Blitz verschwand. Sie selbst hatten noch eine Weile vor Ort versucht herauszufinden was geschehen war, aber gaben schließlich auf. Bei den neun Höllen … die Nachrichten wurden einfach nicht besser.
Waren sie tot, oder teleportiert? Verflucht. Wir brauchten Antworten. Es gab auch noch einige mehr. Dieser Kobold namens Snurba ließ sich mit Taya’s Hilfe dazu überreden noch ein par Details auszuspucken. Seine Frage, ob wir nun auch Freunde seien irritierte Juntos und mich immens. Es war der Einzige Moment, in dem wir beide nur mit einem Blick kommunizierten und völlig einer Meinung waren. Nein! Etwas geknickt ließ er sich dann von Taya gut zureden, dass es nicht immer einfach sei Freunde zu gewinnen. Was war nur mit diesen Leuten los?
Schließlich trennten sich unsere Wege. Und schon einige Zeit später kamen Juntos und ich an der Stelle an, an der die anderen verschwunden waren. Vor uns eine Höhle. Eine verdammt gefährliche noch dazu, wie uns das junge Ding hatte wissen lassen. Juntos war nich davon überzeugt, dass die Gegend abzusuchen bzw. zu untersuchen allzu nützlich wäre. Als ich ihm klarmachte, dass seine Schwester es kaum gut finden würde, wenn er sich nicht darum bemühen würde Krathus zu finden war er hingegen etwas hilfsbereiter. Wenngleich sein Blick mir gegenüber sich kurz verfinsterte auf diesen Einwand hin. Ich hatte zumindest Zeit erkauft. Einen Tag würde er zugestehen. Nach der Nachtruhe begann ich sofort mir alles im Detail anzuschauen. Es gab merkwürdige Restenergien hier, aber kaum Hinweise. Juntos schob wenig genau hinschauend einfach große Felsbrocken von links nach rechts. Mochte ja jemand drunter liegen.
Ich war selbst kurz davor aufzugeben, als sich plötzlich etwas tat. Die Luft sprühte kurz vor magischer Energie und eine Art Riss tat sich in ein paar Metern Höhe in der Luft auf. Aus ihm fielen plötzlich Krathus, Garret und Ava …
Sitzung 83
Unterwegs verebbte die Wut zwar, doch nicht gänzlich. Offenbar schien da noch mehr an die Oberfläche zu wollen … nun, früher oder später würde ich das wohl erfahren, da machte ich mir keine Illusionen. Wir suchten uns einen Platz zum ruhen aus, doch unsere Ruhe währte nicht lang … ich hörte ein schleifendes Geräusch und ein Stöhnen. Darauf aufmerksam gemacht, schickte Gudden wieder eines seiner Ichs los. Zurück brachte er die Nachricht, dass dort ein übel zugerichteter Billy the Butcher auf uns zu kroch. Ich gebe zu, bei der Erinnerung an diesen Kerl kam mir gleich wieder die Galle hoch, doch da gab es immer noch diesen Teil meiner Heilerausbildung – er war verletzt, ich war verpflichtet zu helfen. Also machten wir uns auf den Weg zu ihm und ich begann mehr oder weniger widerwillig, ihn zu verarzten. Er war in der Tat nicht in guter Verfassung. Verschiedenste Schnitt- und Stichwunden, doch am schwersten wog die abgeschlagene Hand. Wer auch immer das getan hatte, hatte offenbar ein sadistisches Bedürfnis danach, seine Opfer leiden zu lassen. Während ich ihn verband, erzählte er, dass er, Leeroy und Carson angegriffen worden seien, eine weibliche Gestalt, die er in seiner anzüglichen Art als nicht schlecht aussehend bezeichnete, worauf ich den Verband reflexartig etwas fester anzog als nötig.
Sekunden später erfuhren dann auch wir, wer verantwortlich war, denn aus dem Wald trat eine dunkel gekleidete Gestalt, die wir als Layara identifizierten. Mein ohnehin schon gewachsenes Misstrauen wurde nicht gerade dadurch beruhigt, dass sie völlig ungerührt zugab, die anderen umgebracht zu haben und auch Billy so zugerichtet zu haben. Mehr als das erwartete sie sogar noch Dankbarkeit, den auf uns geplanten Hinterhalt verhindert zu haben. Na klasse, noch jemand, der meinte, sich einmischen zu müssen. Außerdem mochte das ja sogar sein, immerhin hatte ich selbst schon damit gerechnet, doch die schulterzuckende Art, mit der sie über die Tode der drei sprach und die … „individuell abgestimmten” Tode von ihrer Hand waren genug. Jemand, dem es nur um Schutz ging, ließ eine Kreatur nicht ewig blutend durch die Gegend kriechen und sprach dermaßen unberührt über Menschen, die man umbrachte. Noch unterdrückte ich meine Wut und Abscheu dieser Layara gegenüber noch mühsam, doch als sie auf unsere Nachfragen, was sie über Buch und Auftrag eigentlich wüsste, nur antwortete, dass es ihr nicht zustehe, Al’chara zu hinterfragen, reichte es. Und diese armselige Kreatur wagte es, mir Vorhaltungen zu machen! Das war schon fast komisch, wenn es nicht so traurig wäre. Ich merkte, dass ich begonnen hatte, leise zu lachen. Es reichte. Ich hatte keine Lust mehr, so zu tun, als würde ich sie noch irgendwie respektieren. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was ich ihr alles sagte … auf jeden Fall war dabei, dass sie doch eine gute Soldatin sei, die einfach nur blind die Befehle ihrer angebeteten Al’chara befolgte, ohne jemals zu hinterfragen, ob sie vielleicht nur ein Böses gegen ein anderes eintauschte. Möglicherweise gab ich ihr auch den sarkastischen Hinweis, sie solle mehr Leute als Elfenschlampe bezeichnen, das würde es sicher einfacher machen, Leute zu finden, die für sie die Drecksarbeit erledigen. Einem Teil von mir tat sie sogar Leid – auf eine gewisse Art war sie noch ahnungsloser als wir, was schon was heißen mochte. Aber wirklich nur ein kleiner Teil.
Sie schien ohnehin nichts davon wirklich zu berühren. Natürlich nicht, für sie zählte nur, dass wir den Auftrag ihrer geheiligten Al’chara erfüllten. Ich hatte nur wenig Lust dazu und sagte ihr das auch. Daraufhin sagte sie nur, dass sie sich mit Eidbrechern nicht näher abgeben müsste, doch statt einfach zu gehen, hielt sie es für das Beste, Billy endgültig das Licht auszupusten. Es kostete mich alle Beherrschung, die ich noch hatte, sie mit meinem gezogenen Schwert nur zu bedrohen und nicht direkt anzugreifen. Gudden versuchte noch die Situation zu retten, indem er Layara hinterher rief, wir hätten nicht gesagt, dass wir den Auftrag nicht mehr erledigen würden, aber wie sie reagierte, wusste ich nicht und es interessierte mich auch nicht mehr sonderlich.
Auf dem Weg zurück versuchte Gudden mich zu überzeugen, den Auftrag für Al’chara noch nicht endgültig abzulehnen. Sein Gerede davon, dass ich in unterschiedlichen Realitäten ohnehin schon alles getan hätte, hinterließ zwar wenig Eindruck, dennoch sagte er etwas, was Eindruck hinterließ: Wir müssten in unsere Realität zurück, das sei wichtig und dafür müsse man alles tun. Gegen meinen Willen gab ihm ein Teil meines selbst Recht – es war ja nicht unbedingt so, als hätten wir nichts moralisch fragwürdiges getan. Begonnen damit, was wir nun vorhatten die Wiederbelebung Ellis mithilfe eines gefangenen Leerenwesens und dieses furchtbaren Buchs, weil wir nicht von Itiu stehlen wollten, der wiederum aus irgendwelchen Gründen Ellis Wiederbelebung nicht gestatten wollte … mir schwirrte der Kopf und nicht zum ersten Mal wünschte ich mir Garrets oder Krathus einfaches Gemüt, selbst wenn letzteres dazu führte, dass unsere Trumpfkarte gegenüber Al’chara – zu wissen, dass der Große Rote tot war – verpufft war.
Unbehelligt erreichten wir Oclusar. Es erschien uns wenig zielführend, in der Schlange zu warten, wir würden ohnehin erkannt werden. Stattdessen begaben wir uns geradewegs auf den Weg zu Monta Kren und übergaben ihm den Teekessel. Wenngleich er sein übliches, verwirrtes Selbst war, meinte er nach kurzer Inspektion, dass es reichen dürfte und er bis morgen Nachmittag mit der Vorbereitung des Rituals fertig sein müsse.
Als uns Monta klarmachte, dass wir hier nicht bleiben sollten, gingen wir dann doch. Verständlich, er war kurz davor, seine Tochter wiederzusehen, dass er nicht wollte, dass ihn Fremde bei der Vorbereitung störten, hielt ich für nachvollziehbar. Doch ein Rest Misstrauen blieb – wir hatten uns möglicherweise für diese Art der Wiederbelebung entschieden, doch ganz geheuer war es mir deswegen nicht. Daher hatte ich keine Einwände, als Gudden vorschlug, in der Kanalisation neben seinem Geheimeingang zu campieren, um von dort Montas Aktivitäten zu überwachen. Dort angekommen (natürlich waren wir wieder eingebrochen, da die Luke beim Burnt Eyes verschlossen war …) hörten wir zwar, dass er wieder mit irgendeiner dritten Person sprach, aber sonst nichts weiter Verdächtiges, daher verbrachten wir eine verhältnismäßig erholsame Nacht. Dass Garret mithilfe von Gudden und Butter leise die Tür aufbrach, registrierte ich schon kaum noch.
Am nächsten Tag gingen wir zurück zu Monta – nicht eben unauffällig, da wir diesmal den Ausgang auf dem Marktplatz nahmen, aber wir hatten ja bereits beschlossen, dass die Zeit für Heimlichkeit ohnehin vorbei war. Bei Monta angekommen, hörten wir lautes Schnarchen, doch beschlossen, ihn ausschlafen zu lassen – das kommende Ritual würde möglicherweise kräftezehrend für ihn werden. Ich forschte derweil mit Krathus in seinen Büchern, ob ich etwas zu den Therions oder Sylvanar finden würde. Tatsächlich erfuhr ich einiges Interessantes, doch das Interessanteste schien mir doch, dass Monta sich dermaßen gut auskannte, dass er Geschichtsbücher korrigierte.
Schließlich erwachte Monta und es wurde Zeit. Wir gingen nach unten, um das Ritual zu beginnen. Dort angekommen, meldeten sich sofort wieder all die Zweifel an unserem gewählten Weg – Montas blutverschmierte Hände rührten offenbar daher, dass hier alles mit aus Blut geschriebenen Runen bestand. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück, doch Guddens Worte kamen mir wieder in den Sinn … wir mussten alles tun, um zurückzukehren. Und auch wenn das hier ganz offensichtlich keine freundlich gesinnte Art der Magie war, so würde sie doch benutzt werden, um etwas Gutes zu schaffen – die Wiederbelebung eines kleinen Mädchens.
Monta begann mit dem Ritual, doch knapp eine Viertelstunde geschah erstmal nichts. Dann gab es plötzlich eine Entladung der violetten und roten Energie, die hier schon die ganze Zeit pulsierte, danach konzentrierte sie sich auf Ellis Sarg, welche in der Folge die Augen aufschlug. Es hatte tatsächlich funktioniert!
Die Freude währte jedoch nur kurz, denn es war offensichtlich, dass irgendetwas mit Elli nicht stimmte. Sie sprach mit monotoner Stimme und schirmte Monta vor uns ab, der davon sprach, dass “er” gegangen sein sollte, aber es nicht wäre. Einem schlimmen Verdacht folgend, besah ich mir die Sache mit dem magischen Blick und tatsächlich: Ellis Hand auf Montas Rücken strahlte eine Art von nekrotischer Magie aus. Was genau sie tat, konnte ich nicht ermitteln, aber ich bezweifelte, dass es etwas gutes war. Ich befahl ihr, von Monta zurückzutreten. Selbstverständlich weigerte sie sich und als Krathus auf sie zutrat, um Monta zu schützen, griff sie uns tatsächlich an.
Der entbrennende Kampf war kurz, aber vor allem für Monta Kren unheimlich schmerzhaft, denn Elli überlebte nicht. Hatten wir zunächst versucht, sie zumindest am Leben zu halten und das Problem anders zu lösen, so teilte Gudden diese Einschätzung nicht. Nachdem Monta offenbar eine nicht unerhebliche Menge seines eigenen Lebens auf Elli übertrug, tötete Gudden Elli daraufhin, wodurch auch zu Hilfe gerufene untote Hextor Skelette zu Staub zerfielen. Doch der arme Monta, gerade erst wiedervereint mit seiner Tochter, musste mit ansehen, wie sie von einem riesigen Muskelpaket nahezu gespalten wurde.
Vorsichtig trat ich auf Monta zu und legte ihm meine Hand auf seine Schulter, der daraufhin zusammenbrach, allerdings nicht, bevor er davon sprach, jetzt frei zu sein. Bedeutete das, all das wäre doch zu etwas gut gewesen? Wir brachten ihn nach oben und legten ihn auf seine Pritsche. Ich setzte mich neben ihn, um zu warten, bis er wieder aufwachte. Ich fühlte mich einfach nur leer. Mein Ziel war es gewesen, einen Vater mit seiner Tochter zu vereinen und dadurch seinen von Trauer zerfressenen Verstand zu heilen. Stattdessen war ich nun selbst verantwortlich für den endgültigen Tod seiner Tochter, mochte es auch zu seinem Schutz geschehen sein. Mehr noch – leider hatten wir Itiu gesagt, was unser Vorhaben mit der Hand gewesen war und er war wenig begeistert gewesen – wie mochte er wohl reagieren, wenn er merkte, dass die Energie verschwunden und wir es offenbar durchgeführt hatten?
Die Antwort würde schon noch kommen. Zuerst war wichtig, dass Monta wieder aufwachte und uns mit einem ungewohnt aufgeräumten, wenn auch zerbrochenen Blick anstarrte. Er erzählte uns, wie er sich nach Ellis Tod an Itiu gewendet hatte, der ihm die Wiederbelebung verweigerte. Wie er ein Angebot eines schattenhaften Wesens bekam, das ihm die Macht versprach, seine Tochter wiederzubeleben und er in seiner Verzewiflung einen Pakt mit ihm annahm. Der endgültige Tod von Elli hatte ihn vom Einfluss des Wesens befreit, doch auch alle Hoffnung in ihm vernichtet. Trotz allem versprach er uns, uns am nächsten Tag nach Hause zu bringen. Ich hätte ihn gerne noch mehr gefragt, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass es uns noch zustand.
Auf dem Weg zurück zum Gasthaus, in dem wir auf morgen warten wollten, war ich sehr still. Wir hatten endlich mal wieder etwas Gutes geschafft, indem wir Monta vom Einfluss dieses Wesens befreit hatten, doch der Preis dafür war unheimlich hoch gewesen. Doch vielleicht ging es nicht anders? Meine naive Entschlossenheit, niemals gegen meine Ideale zu handeln, hatte nicht unbedingt zu Besserem geführt. Dann waren da noch Guddens Worte, dass es in unserer Verantwortung läge, alles zu tun, zurückzukommen. Möglicherweise würde ein Hierbleiben im Bemühen nichts schlimmer zu machen, genau dieses Schlimmere auslösen? Mein Kopf drehte und drehte sich, doch ich kam zu keinem Ergebnis. Und dann war da noch die Sache mit Itiu, der mit Sicherheit eins und eins zusammenzählen würde, wenn wir ihm die Hand zurückgaben. Nicht zu vergessen Gudden, der, wenn wir wieder zurückkamen, auf Seiten unseres Gegners war und früher oder später unweigerlich zu unserem Feind werden müsste. In meine Gedanken verloren setzte ich mich mit den anderen in das Gasthaus und bestellte einen Krug Ale, doch mehr, um nicht aufzufallen, als um tatsächlich zu trinken.
Dann sprach Gudden den Punkt an, den ich befürchtet hatte … er würde aufbrechen, um Itiu die Hand zurückbringen, wir müssten nicht mitkommen. In diesem Moment traf ich eine Entscheidung. Keine, die mir gefiel, aber eine notwendige: Ich würde Gudden alleine dorthin gehen lassen. Garret und Krathus machten keinerlei Anstalten, mitzugehen, ich musste mir also wenigstens keine Lüge einfallen lassen, warum wir hierbleiben müssten. Es war mir nicht wohl dabei, den Bugbear möglicherweise in sein Verderben gehen zu lassen, doch ich sah keine andere Möglichkeit, und er selbst hatte gesagt, dass jemand nicht zurückkommen würde und auch, dass wir alles tun müssten, wieder zurückzukommen. Es überraschte mich kaum noch, dass ich dazu bereit war, auch wenn es mir nicht gefiel. Und so kreisten meine Gedanken fortan um Gudden – einen treuen und loyalen Gefährten, dem ich mein Leben verdankte und den ich gerade vermutlich sehenden Auges in sein Verderben hatte laufen lassen. Das Falsche tun, um das Richtige zu erreichen … ein Konzept, dass ich so gar nicht mögen wollte und das doch unbestreitbar effektiv war.
Meine Vermutungen verstärkten sich, als er nach Stunden noch immer nicht zurück war. Meine Hoffnung, dass Garret und Krathus wenigstens zum gleichen Schluss gekommen waren und ich mit meiner Schuld nicht alleine wäre, verpuffte, als Krathus zu hinterfragen begann, wo denn Gudden geblieben war und das wir nachsehen sollten. So war ich dann gezwungen, ihm all meine Gedanken dazu darzulegen, nicht eben eine angenehme Erfahrung, während der mir nun endlich die Tränen kamen. Doch während Garret mir immerhin zustimmte, wollte Krathus die Logik dahinter nicht akzeptieren – vielmehr streute er sogar noch Salz in die Wunde, als er fragte ob wir unsere Verbündeten ständig zurücklassen würden, da wir erst Ral und jetzt Gudden zurückgelassen hätten. Ich wollte wütend werden, wollte ihm erklären, dass die Situationen gänzlich unterschiedlich waren, dass es ein aus Naivität geborener Fehler gewesen war, Ral ziehen zu lassen, während das hier eine bewusste Entscheidung war, all das. Doch ich konnte es nicht. Mochte Krathus wenigstens noch ein wenig die Unschuld behalten, die ich offenbar verloren hatte.
Ich griff nun doch nach dem Bierkrug, stürzte ihn herunter und begab mich auf mein Zimmer – mehr, um allein zu sein denn als mich auszuruhen, denn irgendwie ahnte ich, dass ich der Ruhe diese Nacht wohl mal wieder vergeblich hinterherjagen würde …