Sitzung 129

Anarath
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Der Schock über Gorok’s plötzlichen Tod saß tief. Ich konnte meine Gedanken und Emotionen kaum beherrschen. Was war hier geschehen? Was lief schief? Wie hatte uns dieser Mistkerl von Bargle so ins offene Messer laufen lassen können?

Noch drehten sich meine Gedanken wild umher. Dann durchbrach Fin sie. Er erinnerte uns an die Nexuskugel und den letzten Wunsch, den sie beherbergte. Hoffnung brach durch, Gorok könnte ins Leben zurückgeholt werden. Der zu zahlende Preis war aber nicht klar. Schließlich lag noch einiges vor uns und nicht zuletzt hoffte Fin gegebenenfalls mit ihrer Hilfe seine Freunde finden zu können.

In mir schrie alles sie zu verwenden. Egal was es kostete. Diese Entscheidung lag aber nicht bei mir. Mit Tränen in den Augen blickt ich hilflos zu dem Halbelfen, der uns erst seit kurzem begleitete. Er hielt die Macht in den Händen uns Fremden helfen zu können … wieder einmal.

Die Zeit kann manchmal ein unangenehmer Begleiter sein. Sogleich zieht sie vorbei und Erlebtes verfällt, wird zu einer weit entfernten Erinnerung. Doch dann, ganz plötzlich, scheint sie sich endlos zu ziehen. Sie lockt mit einem absehbaren Ende, einem greifbaren Ziel. Wobei sie die Pein einer Ewigkeit zu erzeugen fähig ist.

Ich war nicht bereit erneut einen Freund zu verlieren. Nicht jetzt, nicht so. Blicke wurden ausgetauscht, Worte gewechselt. Nichts davon bekam ich wirklich mit. Stimmen verzerrten sich zu wirren dauerhaften Tönen.

Schließlich durchbrach meine Starre, als meine Sinne sich wieder mit dem regulären Verlauf der Existenz zu synchronisieren schienen. Fin nickte. Er lächelte schmal. Dann sprach er die Worte.

Wie immer diese merkwürdige Kugel imstande war dies zu bewerkstelligen … es war egal. Mit einem Mal stand dort lebendig und gesund dieser Berg von einem Halbork. Erst irritiert, dann sicher ob seines nie angezweifelten Sieges über das eben noch bekämpfte Monstrum. So war Gorok halt.

Wie ein Schiff auf stürmischer See schwangen meine Emotionen von hoch zu tief und zurück. Ich bemerkte wie jede Spitze eine Reaktion meiner Magie verursachte. Der Unterschied zwischen brennen vor Freude und verbrennen vor Trauer oder Wut hätte größer nicht sein können.

Ich hauchte Fin ein durch Tränen ersticktes „Danke“ im Vorbeigehen zu, bevor ich den völlig euphorischen Gorok umarmte. Für ihn war es ein typischer Mittwoch Nachmittag …

Wir setzten unsere Reise fort und erreichten bald schon das Lager der Orks. Bargle war erfreut die Krone zu sehen. Dieses dumme Stück Metall hatte uns so viel gekostet. Und wofür? Damit dieses feige Miststück seine Machtposition erhalten konnte? Er war aus guten Grund nicht selber gegangen. Doch eigentlich sahen die Riten vor, dass die Krone sich verdient werden musste.

Als wir uns weigerten sie einfach abzugeben, wollte er uns weiß machen sie ja gar nicht zu brauchen. Doch weder wir, noch seine anwesende Gefährtin sahen das so. Und sicher auch der restliche Stamm nicht. Gorok stellte ihn zur Wahl. Freiwillig den Platz räumen oder sich die Krone verdienen.

Er wählte letzteres, ganz wie ich gehofft hatte. Bargle war längt zu einem dekadenten Herrscher geworden. Faul und müßig. Sicherlich in gewisser Hinsicht gefährlich, aber keinesfalls mächtiger als Gorok. Zumindest wollte ich dies glauben. Es bedeutete, dass sein Kopf rollen würde. Und genau in dem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher.

Es hätte mich wohl erschrocken so zu denken, wenn ich meine Gefühle reflektiert hätte. Aber ich tat es nicht. In mir loderte es und auch jetzt noch hatte ich Mühe es zu kontrollieren.

Schnell hatte sich rumgesprochen, dass es einen Kampf um die Führerschaft geben würde. Der Andrang war groß und die Kontrahenten bereit.

Ein wilder Schlagabtausch brach aus, wobei Bargle verzweifelt versuchte die Oberhand zu gewinnen. Doch war er unserem Halbork nicht gewachsen. Gorok blühte in dieser Arenasituation geradezu auf. Dafür war er geschaffen, das war es wofür er lebte.

Ich erinnerte mich an die Erzählung seiner Vergangenheit. Damals vermochte ich nur das Traurige zu sehen. In Armut erwachsen, von den Eltern verkauft und zum Kämpfer gezwungen. Nun sah ich welche Stärke es ihm gegeben hatte. Welche Leidenschaft in ihm brannte. Und den ungezügelten Willen zum Sieg. Dies war er. Vollumfänglich. Und ich ließ mich mitreißen.

Als Bargle schlussendlich unterlag vermochte Gorok aber zu tun, was ich in der Situation nicht gekonnt hätte. Tatsächlich bot er dem Verlierer an das Leben zu wählen, ihn gar zu seiner rechten Hand zu machen. Ich war weit von solchen Gedanken entfernt. Diese Made mit seinen Taten davonkommen zu lassen war keine Option. Meine Wut brach sich Bahnen und ich spürte die ersten Funken in meiner Hand entzünden.

Hier und jetzt reichte eine Geste und Bargle wäre nie mehr in der Lage gewesen Unheil anzurichten. Doch dann spürte ich eine Hand auf meinem Unterarm und eine Weitere auf meiner Schulter. Fin und Astreth hatten mitbekommen was in mir vorging. Es rüttelte an meinen Gedanken, es ließ mich zur Besinnung kommen. Was war ich im Begriff zu tun gewesen? Der Halbelf schüttelte nur seicht den Kopf, die Goliath blickte von oben mahnend und stoisch hinunter.

Mich auf diese Weise in den Zweikampf einzumischen hätte fatale Folgen gehabt. Ganz zu schweigen von dieser unsäglichen Wut, die mich versuchte zu verzehren. Verwirrung packte mich und wurde jäh unterbrochen durch den Jubel der Maßen, als Bargle einwilligte und Gorok zum neuen Führer gekürt wurde.

Danach ebbte alles ein wenig ab. Wir feierten lange und ausgelassen. Auch wenn sich ein Gedanke nagend in meinem Hinterkopf festsetze, ob es eine kluge Entscheidung gewesen war diesem hinterhältigen Ork eine zweite Chance zu offerieren.

Bald schon hieß es dann Abschied nehmen. Gorok würde nun hier bleiben müssen und wir ohne ihn weiterziehen. Es war ein zwiespältiges Gefühl sich Lebewohl zu sagen. Aber ich wusste, dass es nötig war Verbündete gefunden zu haben für das, was auch immer uns in der Zukunft mit Shadar Logoth erwartete. Dass auch Astreth verblieb, machte es nicht leichter. Basierend auf dem, was ihre Visionen ihr gezeigt hatten sah sie ihre Aufgabe allerdings weiterhin an Goroks Seite.

So zogen wir weiter. In Notherhall hörten Joni und die Herrscherin Isteria nur zu gern von unserem Erfolg. Das große Missverständnis um die „Angriffe“ war aufgeklärt. Und von Gorok ausrichtend konnten wir klarstellen, dass wenn künftig mal ein Ork hierher kommen sollte, dann wäre er keine Gefahr für den Ort. Er würde dann lediglich das Portal aufsuchen wollen.

Wir erhielten unsere Belohnung. Neben den neuen Emotionen, hallten noch einige Alte mit. In diesem Fall meine Abscheu gegenüber den Vollblutelfen. Es war mir einfach nicht möglich dies abzuschütteln. Gleichermaßen war es aber auch angenehm ein bekanntes Gefühl zu haben, von dem ich wusste woher es kam und wie ich mit ihm umgehen konnte.

Auf jeden Fall war es Zeit diese Enklave zu verlassen. Wir hatten uns lang genug von dem Plan Fin beim Finden seiner Freunde zu helfen ablenken lassen. Unser Weg war klar: Es sollte nach Ailamere gehen.

Auf dem Weg hatten wir Zeit über viele mögliche Dinge zu sprechen. Wo gäbe es wohl noch weitere Kugeln? Welche weiteren Verbündeten vermochten wir gegebenenfalls aufzutun? Valaria hielt es für denkbar, dass Sylvanar noch nicht abgeschrieben werden sollte. Fin sah dies als aussichtslos an. Sie jedoch insistierte und wollte dem eine Chance geben. Ihr musste klar gewesen sein, dass wir keinesfalls dorthin mitkommen könnten oder willens waren zu gehen, denn sie nahm unsere Entscheidung verständnisvoll auf.

In Höhe der Waldregion um Sylvanar trennten sich somit auch unsere Wege. Zurück blieben lediglich Fin und ich. Einerseits fühlte es sich eigenartig an plötzlich mit ihm alleine zu reisen. Wie lange kannten wir uns? Aber wenn ich ihn anblickte, in seine Augen sah, dann machte sich dort andererseits eine merkwürdige Vertrautheit und ein Gefühl der Sicherheit breit.

Nach ein paar Wochen bestärkte sich dies, als er sich mir bezüglich seiner eigenen Vergangenheit anvertraute. Dass jeder von uns Geheimnisse haben mochte war mir durchaus klar. Dass er bereit war diese mit mir zu teilen überraschte mich jedoch. Es war verständlich, wieso er einiges für sich behalten hatte.

Zuletzt hatte ich den Eindruck gehabt, dass Fin mehr im Sinn hatte was uns anging. Ob es nun richtig interpretiert war oder nicht. Ich war immer auf Abstand gegangen, was ein paar Momente unangenehmer Stille nach sich zog. Mir wurde klar, dass dies weder fair war, noch so weitergehen konnte. So entschloss ich mich zu erzählen, was es damit auf sich hatte.

Einen großen Teil meiner Vergangenheit kannte er ja bereits. Aber meine Erlebnisse mit Malek und den anderen … das war etwas, was mich stark geprägt hatte und ich nur ungern preisgab. Es kostete einige Überwindung, doch löste das Verständnis darum die angespannten Situationen auf. Eigenartigerweise fühlte ich mich danach geradezu geborgen in seiner Präsenz. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich dieses Gefühl das letzte Mal gehabt hatte, ausgenommen bei meinem Vater.

Irgendwann erreichten wir Road’s End und schließlich Ailamere. Ailamere und ich hatten ein gemischtes Verhältnis. So ähnlich schien es auch Fin zu gehen. Wir nutzten die Gelegenheit bei der Suche nach einer Überfahrt in die Points, um nebenher Erkundigungen zu Vronwe einzuholen. Er hatte uns unfreiwillig nach Notherhall teleportiert und war vermeintlich auch für Leeroy’s Verschwinden verantwortlich gewesen.

Zwar sträubte sich alles in mir sich mit ihm auseinanderzusetzen, aber ich hatte bisher vergeblich versucht Leeroy über seinen magischen Stein zu kontaktieren. Es blieben kaum Optionen übrig.

Statt Vronwe fanden wir Hinweise auf die anderen beiden seiner Gruppe. Kroft und Grimmalk. Fin gab zu bedenken, dass die eine selten ohne eine Andenken in Form eines Körperteils ging und der andere ein unbändiger Schlägertyp war. Ich überließ es seiner Einschätzung und so suchten wir letzteren auf.

In einer Bar trafen wir ihn samt zwei seiner Bekannten. Zwei Männer, die auf die Namen Horst und Axell hörten. Nach den mir gegenüber immer wieder gezeigten Reaktionen hielt ich es für sinnvoll mich auf weibliche Art anzubiedern. Was scheinbar durchaus bei den beiden auf Anklang stieß, jedoch nicht bei dem Zwerg Grimmalk, der offenbar bei seinen Frauen mehr Bart bevorzugte.

Es kam zu einer absurden Situation, in der die zwei dem Zwerg intellektuell Unterlegenen stets zu Zahlungen gegenüber einander oder uns aufgefordert wurden. Auch Fin traf dies von Zeit zu Zeit. Es ergab keinen Sinn. Zumal Grimmalk auch klarstellte, dass weder die Avancen, noch die offenkundig als Provokation gemeinten Verletzungen seiner Ehre eine Wirkung hätten. Zu durchschaubar waren sie gewesen. Offenbar etwas, an dem ich arbeiten musste, wollte ich davon noch einmal Gebrauch machen.

Schließlich gelang es Fin allerdings in dem Gespräch auszumachen, dass Axell der Kapitän eines Schiffes war und bereit war uns in die Points zu bringen. Dies war ein unverhofftes Ergebnis. Danach gelang es ihm auch den Zwerg zum Reden zu bewegen, wenngleich dieser mehr den Eindruck vermittelte uns damit loswerden zu wollen. Doch konnte oder wollte er uns nicht sagen wo Vronwe zu finden war. Er gab uns aber den Hinweis, dass Vronwe nur an zwei Orte teleportieren zu vermochte: Notherhall und Ravengrove.

Somit konnte Leroy eigentlich nur dort sein. Und wie es der Zufall wollte, kannte ich jemanden, der uns hier weiterhelfen könnte. Sobald möglich wollte ich Ava kontaktieren.

Für jetzt galt es eine Unterkunft zu finden und am nächsten Tag in die Points aufzubrechen. Das Schiff legte pünktlich hab, doch der Kapitän machte einen wenig vertrauenserweckenden Eindruck. Bereits am Vortag schien es, als habe er keine Ahnung was er tat. Und dieser Gedanke manifestierte sich umso mehr, als wir den Schreibfehler am Schiffsrumpf sahen … „Winnd of Gold“. Doch wir konnten nicht wählerisch sein, da sich niemand sonst auf diese Reise hatte einlassen wollen.

Wir fuhren einige Tage umher. Fin vermutete eigentlich, dass wir längst hätten am Rande der Points ankommen müssen. Eines Abends bemerkten wir einen Seemann die Karte manipulieren. Fin war schnell darin ihn auf frischer Tat zu ertappen und mit seinen Messern in eine verlegene Situation zu bringen. Wir hatten vermutet, dass dieser unsere Route manipulierte, doch stattdessen zeigte sich, dass er sie gar korrigierte, da der Kapitän in der Tat keinerlei Talente in der Navigation hatte.

Kurze Zeit später schienen wir dann Fortschritte zu machen. Die Points waren erreicht, doch nun bestand die Frage auf welcher der vielen Inseln wir suchen sollten. Angeblich trieb auch der berühmte Pirat Mad Dog Maddoc sein Unwesen in diesen Gewässern. Er konnte aber auch potentiell hilfreich beim Auffinden der Gesuchten sein.

Die erste Insel ansteuernd wurde Fin klar, dass es einen Personalwechsel brauchte. Er verleitete den Kapitän dazu mit einem Ruderboot die Insel zu erkunden, während der hilfreiche Seemann von neulich das Kommando übernehmen sollte. Auch wenn ich nicht viel von dem geschwätzigen Kapitän hielt, so versicherte ich mich doch, dass wir ihn hier nicht auf ewig stranden ließen. Auf dem Rückweg wollten wir ihn dann wieder aufsammeln.

Unsere weitere Suche verlief nicht unbedingt herausragend. Wir waren schon eine Woche auf See in den Points und gebracht hatte es uns nur schwindende Nahrungsmittel und ein defektes Ruder. Der Nebel und die Riffe waren lebensgefährlich und unser neuer Kapitän zwar insgesamt kompetenter, aber auch ahnungslos was die Region anging.

Dann jedoch trat ein anderes Schiff aus dem Nebel und ging längsseits. Es musste sich um ein Schiff der Piraten handeln, so vermuteten wir. Sie erkundigten sich was wir hier taten und ich nutzte die Gelegenheit noch einmal weibliche Reize einzusetzen. Erneut ohne großen Erfolg, worauf ein plumper Kommentar von der Reling des anderen Schiffs meine Laune von jetzt auf gleich kippen ließ.

Ich wandelte einen eigentlich harmloser Zauber ein wenig ab und ließ ihn potentiell bedrohlich wirken. Dies zündete jedoch ebenso wenig, da mein Gegenüber sich scheinbar mit Magie auskannte. Es war ein frustrierendes Erlebnis. Fin löste die Situation zuletzt auf und brachte eine produktivere Konversation zustande. Er gab an mit Maddoc sprechen zu wollen, weil er auf der Suche nach einigen Leuten war. Man warf ihm ein Objekt herüber und sagte, dass sich in einigen Tagen jemand bei uns melden würde.

Die Tage vergingen, während wir versuchten das Ruder zu reparieren. Und dann, eine knappe Woche später, hörte ich Fin lautstark in seiner Kajüte sprechen. Es stellte sich heraus, dass sich tatsächlich jemand gemeldet hatte. Vielmehr sogar direkt einer seiner gesuchten Freunde. Alle drei waren unlängst frei und lebten auf Inseln in den Points. Mithilfe einer eigenartigen Vorrichtung vermochten sie über angrenzende Spiegel visuell und verbal mit ihm zu kommunizieren.

Die vier brachten sich gegenseitig auf den neuesten Stand. Gondri hatte inzwischen geheiratet und lebte in einer ehemaligen Region von Mocny. Allein den Namen zu hören, ließ mich wieder an meine Mutter denken und welchen Zusammenhang dieser Ort zu ihr hatte. Rohana und Horus aber konnten überzeugt werden, dass sie nach Zoica kamen, um dort zu unterstützen. Es würde nur einige Tage dauern, bis sie auf einem Versorgungsschiff mitfahren konnten. Schließlich sollten wir uns in Road’s End treffen.

Fin war außer sich vor Freude und wir beide ebenso konsterniert, dass scheinbar Foamwave für die Ergreifung der drei, sowie deren Freilassung verantwortlich gewesen war. Foamwave eine Piratin? War dies in Zusammenhang mit ihrer Nähe zu Belaxarim eine gute Sache? Und mehr noch hatten seine Freunde versucht ausgerechnet über Narchessa eine Nachricht an Fin übermitteln zu lassen. Ich verstand seine Irritation darüber nur zu gut.

Von hier aus reisten wir weiter. Auf dem Rückweg griffen wir den eilig im Ruderboot Kreise fahrenden Kapitän Axell auf und einige Zeit später trafen wir dann Rohana und Horus wie besprochen in Road’s End.

Unser Weg führte uns nun weiter nach Zoica. Von dort aus wollte ich unbedingt eine unerledigte Sache angehen und endlich einen Abstecher in meine alte Heimat machen. Mir ging die Vision nicht aus dem Kopf, die mir Narchessa in den Kopf gesetzt hatte. Ich musste wissen, ob etwas an ihr dran war und ich war froh zu hören, dass Fin mich begleiten wollte.

Die Tage vergingen auf dem Weg zum Orden. Gleichwohl Westerfell völlig zerstört gewesen war, galt dies nicht für meine alte Enklave. Abseits der regulären Wege inmitten des Waldes und weitestgehend isoliert vom normalen Geschehen der Region. Doch auch sie müssten sich dem stellen, was geschehen würde, sollte Shadar Logoth über das Land herfallen. Ich glaubte hingegen nicht, dass sie an einer Warnung interessiert gewesen wären oder sie auch nur im Geringsten ernst genommen hätten.

Vermutlich hätte ich diese Gedanke weiter erforscht, wenn mich nicht die Nervosität fest in ihrem Griff gehalten hätte. Schließlich gab es viele Magiebegabte unter ihnen, welche sicherlich eine sinnvolle Ergänzung in unserem Bestreben gewesen wären. Aber je näher wir kamen, desto mehr zog sich mein Magen zusammen.

Ein zurückkehrender Exilant war kaum das, was sie sehen wollten. Am Wenigsten mich. Und mir ging es da nicht anders. All die mir hier zugefügten Schmerzen, körperlich wie seelisch, die ich verdrängt hatte oder zumindest es stets versuchte … alles davon barst Schritt um Schritt an die Oberfläche. Der Aufprall eines jeden Stiefels auf dem ausgetretenen Trampelpfad zum Eingangstor hallte so heftig nach, wie ein Kanonenschuss der Ailamereflotte. Stets gefolgt von einem weiteren in meinem Kopf aufblitzenden Ereignis oder einem Eindruck meiner hier erlebten Vergangenheit. Es war quälend.

Ich beruhigte mich mit dem einen verbleibenden Hoffnungsschimmer, das ich endlich meinen Vater wiedersehen würde. Der einzigen Person, von der ich mit absoluter Sicherheit hatte sagen konnte, dass sie immer für mich da gewesen war.

Das Tor war in Sichtweite gekommen. Ausgehend von allem was ich wusste würden wir jedoch kaum Einlass gewährt bekommen. Mich würden sie erkennen, doch selbst wenn nicht, dann blieben wir immer noch Halbelfen. Fin und ich wussten nur zu gut was dies in einer Vollblutgesellschaft hieß. Mit unseren Fähigkeiten konnten wir ohne Probleme einen Weg finden. Falls wir aber im Ort gesehen würden, war es besser einen zweiten Plan zu haben. So maskierte uns Fin noch, bevor wir den Weg ins Innere antraten.

Es war Nacht und die Straßen entsprechend leer. Nichts hatte sich verändert. Da war der kleine Bäckerladen, der Hufschmied, die Bücherei … das Anwesen der E’Kol Familie. Ein Schauer durchfuhr mich. Dort endlich war mein Elternhaus. Mein Herz pochte so heftig, dass ich glaubte es könnte die Nachbarschaft wecken. Ein letzter Blick zu Fin, meinen Anker in diesem Moment, auf das ein bestätigendes Nicken folgte. Ich klopfte.

Es dauerte einen Moment, bis sich etwas im Haus rührte. Um eine solche Uhrzeit war dies zu erwarten gewesen. Schritte klangen vom Holzboden der anderen Türseite, dann öffnete sich diese. Mein Vater blickte verwirrt in unsere unbekannten Gesichter. Nur ein Stammeln kam aus meiner Kehle. „Hey Paps … ich … ich bins … wir mussten … es ist nur eine Verkleidung.“ Sein Blick war musternd, dann verzog sich seine Miene. Geradezu erschrocken brach es aus ihm heraus, dass ich nicht hier sein dürfte … nicht hier sein konnte, dass ich gehen müsste. Irritation durchfloss mich und Enttäuschung. Ich versuchte zu erklären warum ich wiedergekommen war, doch er hörte gar nicht zu. Fast panisch wiederholte er was er zuvor gesagt hatte.

Mein Vater schickte mich weg. Ohne ein Wort der Grußes, ein Wort der Freude, ein Wort der Erklärung. Mein Geist konnte das nicht verstehen. Die Tür schloss sich so unvermittelt, wie sie geöffnet worden war. Auf ein zweites Klopfen folgten die gleichen Worte, nur dumpfer, da sie von hinter der Tür kamen.

Entgeistert fiel mein Blick zu Fin. Ich glaube er wusste ebensowenig, was er von der Situation zu halten hatte. Das war keinesfalls der Mann, den ich ihm auf dem Herweg beschrieben hatte. Mit Nachdruck erklärte ich, dass wir nicht gehen könnten. Nicht ohne das ich Antworten erhielt und erfuhr, was hier soeben passiert sei. Er schlug vor, dass er versuchen könnte alleine mit meinem Vater zu reden. Eventuell war es ihm möglich ihn umzustimmen oder in Erfahrung zu bringen, was der Hintergrund seines geheimnisvollen Auftretens war. Kaum hatte er meine Zustimmung, schon war das Schloss geknackt und er im Inneren verschwunden.

Die Stimmen der beiden waren zu hören, doch von hier vermochte ich sie nicht zu verstehen. Ich stand allein draußen in der Nacht, auf den Straßen wo ich einst so viel Kummer erlitten hatte. Das besorgte mich hingegen gar nicht. Ich war wie paralysiert ob der Verwirrung. Meine Schockstarre schien sich endlos in die Länge zu ziehen. Die Zeit kann manchmal ein unangenehmer Begleiter sein. Momente wie jene vermochte sie so stark zu verzerren, dass sie einer Unendlichkeit glichen. Einer betäubenden und dunklen Unendlichkeit.

Ein Schemen zog in mein Blickfeld. Es dauerte etwas, bis ich aus meiner Trance herausbrach und sich meine Augen neu fokussierten. Fin war zurück, hatte die Tür geschlossen und drinnen war es still geworden. Ich wusste nicht, was ich in seinem Gesicht lesen sollte. War er beunruhigt, aufgebracht oder war es Mitleid? Ein vorsichtiger Griff an meinem Arm war zu spüren, einhergehend mit einem leichten Druck. Passend zu seinen Worten, in denen er meinte, dass er mit mir reden müsse, jedoch nicht hier. Ich weigerte mich zunächst, wollte ich doch mit meinem Vater reden. Wieso wollte er mich nicht sehen? Eine Träne lief meine Wange hinunter.

Fin’s Worte waren behutsam gewählt, aber Nachdruck lag jetzt in seiner Stimme. Er würde mir erklären, was hier vorging … an einem Ort mit mehr Privatsphäre. So suchten wir uns einen Platz, wo wir ungestört reden konnten. Und wie er begann zu erläutern, was mein Vater ihm gebeichtet hatte, verstummte die Welt um mich herum. Da war nur noch seine Stimme.

Er erzählte von meinen Eltern, die offenbar beide aus Mocny stammten. Davon, dass sie über Jahre hinweg erfolglos versuchten ein Kind zu bekommen. Wie sie sich in ihrem Bemühen an Heiler in Ravengrove wandten. Das diese ihnen auf magische Weise helfen konnten. Doch wie dies gleichermaßen das Schicksal der Familie veränderte. Nichts in dieser Welt kommt ohne ein Preisschild. In diesem Fall war es Blutmagie die ihren Tribut forderte. Diese zerrte an Körper und Geist sowohl der meiner Mutter, wie auch an meiner. In der Not wandten sie sich an weitere Leute, die sich mit Magie auskannten. Verzweifelt klammerten sie sich an die Hoffnung uns beide retten zu können. Doch ein Spezialist sah nur einen Ausweg und der war die Seele der Betroffenen zu stärken, sie abzuhärten gegen die Effekte der Blutmagie.

Die Tragik nahm ihren Lauf, als klar wurde, dass meine Mutter nicht gerettet werden könnte. Und um Schaden von uns abzuwenden bat sie meinen Vater sie umzubringen. Er wollte dann dafür sorgen, dass ich eine Chance bekam dem widerstehen zu können und begann einen Plan zu verfolgen die Abhärtung meiner Seele zu erreichen. So legte er den Grundstein und fügte seither Stein um Stein unaufhörlich hinzu.

Von dem ersten bewusst erlebten Hass gegen mich bis zu meinem Tag der Abreise hatte er alles inszeniert. Jedes böse Wort auf der Straße, jede Prügelei in der Schule, jedem verachtenden Blick in der Akademie, jede mir verwehrte Freude, meine Einsamkeit in der Isolation zwischen so vielen Individuen. Das war sein Werk gewesen. Und was einst Malek und die anderen mir antun wollten … auch dies geschah auf seine explizite Anleitung hin. Jeder in diesem Ort spielte die Rolle, die mein Vater ihm zugewiesen hatte, um mich Leid und Qual auszusetzen.

Er war der Urheber … der Schöpfer meines Unglücks. Mein Vater … die einzige Person, der ich je bedingungslos vertraut hatte.

Es war wie in einer Kammer zu stehen, wo jedes gesprochene Wort immer und immer von den Wänden widerhallte und mit jedem Mal verstärkt wurde. So ohrenbetäubend laut wurde – nicht von einer tatsächlichen Lautstärke ausgehend, aber dem was mit den Worten transportiert wurde –, bis es einen in die Knie zwang und schließlich vermochte den Verstand zu brechen. Wäre meine Seele ein Spiegel gewesen, so war dieser gesprungen.

Mein Körper glühte und die Tränen liefen in Strömen. Ein krampf durchzog mich. Meine Stimme brach, aber das war sowieso egal, denn es fehlten mir die Worte zu beschreiben, was ich fühlte. Die Hitze war keine Einbildung, denn manch eine Träne verdampfte förmlich. Die Verkrampfung wurde stärker je mehr das gesagte langsam tiefer sickerte. Bis sich mir schließlich der Magen umdrehte, wobei ich mich krampfhaft mit einer Hand an Fin’s Schulter festklammerte, da meine weichen Knie mich kaum zu tragen vermochten.

Funken begannen in der Luft um mich herum zu sprühen. Deren Licht spiegelte sich in meinen Augen wider und hinterließ bizarre Visionen in meinem Geist. Visionen die nicht greifbar waren, sondern vielmehr Emotionen ausdrückten. Enttäuschung, Trauer, Angst, Wut. Es brannte lichterloh in meiner Seele. Und ich würde in alledem vergehen, sollte ich hier verbleiben. So begann ich zu gehen, stolpern, rennen … Abstand zu gewinnen … weiter und immer weiter …