Tagebuch: Calas
Sitzung 104
Eine Feststellung, die Lia in Schockstarre fallen ließ, war doch der Grund, aus dem sie ihre eigene Stadt in Schutt und Asche legen ließ, ihr eigener Vater gewesen. Was war es nur in letzter Zeit mit den dysfunktionalen Familien? Den grauen Mann - Cenereth - schien das weniger zu berühren, vielmehr schlug er ein kleines Spielchen vor - der Gewinner dürfte die erste Frage stellen, dann der Verlierer - wir müssten jedoch wahrheitsgemäß antworten. Die genauen Regeln wollte er jedoch nicht verraten, was uns misstrauisch stimmte, doch nach kurzer Beratung willigten wir ein.
Irgendwie gewannen wir das erste Spiel, wenn auch knapp. Die Entwicklung hatte meine Schützlinge und zugegeben auch mich jedoch kalt erwischt, so dass die Fragen etwas holprig kamen. Die Frage, die wir stellten, war letzten Endes zu unklar formuliert, doch fanden wir immerhin heraus, dass er dem Roten zwar diente, allerdings weniger aus Überzeugung als aus Überlebenswille und Abscheu gegenüber Arcalys. Ich hatte nicht viel von ihm mitbekommen, als ich noch in Ferozoica gelebt hatte, doch auf Grund der Erzählungen konnte ich das sogar nachvollziehen. Wenngleich jede Sympathie daran verpuffte, dass er nun dem Drachen diente, der meine Heimatstadt nahezu zerstört hatte. Doch ich biss mir auf die Zunge. Brauchte ihn ja noch für einen Gefallen.
Seine Frage hingegen schien von größerer Reichweite - er fragte nach dem Ort eines bestimmten Nexus. Auch wenn ich nicht alles diesbezüglich verstand, so hatte Ralkarion doch deutlich gemacht, dass die Nexi nicht erwähnt werden sollten. Ich preschte daher vor und sagte, dass ich es nicht wüsste - wahrheitsgemäß, im Gegensatz zu den anderen. Unglücklicherweise spezifizierte Krathus die Antwort und sagte es ihm. Hoffte, das würde kein Problem werden - nun erschien es mir wichtig, die Motivation des Silbernen herauszufinden. Die Frage wurde jedoch abgelehnt, stattdessen fragten die anderen nach seiner Rolle im Gefüge. Offenbar hatte er für den Roten die Nexi gebaut und diesbezüglich nachgeforscht - aufbauend auf den Studien von Blutmagie von Mundi. Ich stutzte. Ausgerechnet Mundi, der angeblich kein Blut sehen konnte, hatte zu Blutmagie geforscht? Hatte er uns und Lia hinters Licht geführt oder waren diese Studien der Auslöser, warum er kein Blut sehen könnte? Seltsam allemal.
Die Antwort würde jedoch auf sich warten lassen müssen. Cenereth stellte die eher merkwürdige Frage, ob wir einschreiten würden, wenn er die derzeitige Herrscherin von Zoica töten würde. Sie sei ein Abkömmling des Roten und es Goldenen und damit unausweichlich böse. Mir gefiel, dass meine Schützlinge das ablehnten… sie konnte schlussendlich nichts für ihre Familie und verdiente eine Chance. Cenereth hingegen schien wenig glücklich darüber.
Letzten Endes fragten wir nach Beratung dennoch, was er sich von alldem erhoffte, doch durch eine unglückliche Formulierung wich der der Frage größtenteils aus. In Zusammenhang mit der vorhergehenden Antwort ließ sich jedoch vermuten, dass er zumindest die Erschaffung weiterer Nexi verhindern wollte. Ob das gut oder schlecht war, vermochte ich schlicht nicht einzuschätzen. Wir versuchten, mehr aus ihm herauszulocken, was jedoch nur zum Tel gelang - gleichzeitig wurde er immer ungeduldiger, der Rote würde ihn rufen. Wie wir wenig später feststellten, schien der Rote diesbezüglich Verzögerungen nicht zu dulden. Dennoch musste ich einfach darum bitten, dass er Craich lokalisieren würde. Seine Reaktion jedoch war niederschmetternd - er bestätigte, dass er es ohne Probleme könne, aber keinen Grund sähe, es zu tun. Es war wie ein Schlag in die Magenkuhle - noch nie war ich so nah dran gewesen, die Zerschlagung des Traums fühlte ich umso härter. Ich sackte in mir zusammen, besiegt, doch hörte immerhin noch, wie Ralkarion sich für mich einsetzte. Unerwartet, doch ich war ihm in diesem Moment unendlich dankbar dafür.
Als wir uns dann doch hastig auf den Weg machten, war es bereits zu spät - rote Drachenschwingen hatten den Himmel verdeckt, wie uns Krathus nach einer Erkundung berichtete. Wir suchten hektisch nach einem Versteck, doch auf der engen Treppe gab es keine auch wenn Ralkarion die Lady Lia in eine Maus verwandelte und in seinem Rucksack verstaute. Ich konnte nur hoffen, dass es nutzen würde. So standen wir wenig später dem Roten in menschlicher Gestalt sowie einem weiteren, mir unbekannten Mann gegenüber, dessen Ausstrahlung jedoch verriet, dass man sich mit ihm besser nicht einfach so anlegte.
Zu unserem Glück (oder zumindest etwas, was ich zu diesem Zeitpunkt dafür hielt) schien der Rote nicht auf einen Kampf aus. Dennoch hätten ihn die Bemühungen meiner Schützlinge bisher zwar amüsiert, nun jedoch wären sie zu einer echten Gefahr für seine Pläne geworden. Er gab uns daher die „Wahl” zu sterben, was er laut eigener Aussage noch nicht tun wollte) oder in eine schwarze Box, die er zu Tage förderte, gesogen zu werden. Jedem von uns war noch im Kopf, was er in Westerfell angerichtet hatte - wir wählten die Box. Nach und nach berührten wir sie und wurden hineingesogen - ich hoffte, dass es hier nicht enden würde.
Als nächstes landeten wir in einem quadratischen Raum, interessant waren einzig allein der grüne Nebel in den Ecken - und der uralte Mann, der in der Mitte des Raums lag und kaum noch atmete, aber am Leben war. Auf Ansprache reagierte er nicht, jedoch fand Ralkarion einen Brief an seinem Körper, in dem er sich als Tanaos Ayumu identifizierte und - und hier wurde es interessant - genau vorhersagen hatte, was passiert war. Ralkarion schien davon etwas frustriert zu sein, doch der Brief hatte auch ergeben, dass sich der Magier für uns hier eingeschlossen hatte und den kürzesten Weg für uns herausgesucht hatte - 12 Räume. Wir befänden uns im ersten Raum, wir sollten Kraft im grünen Nebel tanken und den Wächter besiegen, der nicht mehr da wäre, wenn er tot sei. Mich beschlich ein ungutes Gefühl und auch meine Schützlinge dachten dasselbe: Wir würden ihn töten müssen. Alles in mir strebte sich dagegen, einen hilflosen alten Mann, der sich unseretwegen geopfert hatte, einfach zu töten. Als wir feststellten, dass der grüne Nebel verjüngte, schleppte ich ihn hinein, offenbar hatte er es jedoch wohl schon zu oft in Anspruch genommen, es gab nur einen sehr kleinen Effekt. Schlussendlich tat Ralkarion das Undenkbare und erstickte den alten Mann - erstaunlicherweise auch eine rührende Geste, da er es tat, damit Krathus nicht morden musste. Ich war tief beeindruckt von seiner Hingabe. Hatte ihn definitiv falsch eingeschätzt…
Halb erleichtert stellte ich fest, dass es die richtige Entscheidung gewesen war… diverse Portale öffneten sich. Geleitet von einer gefunden Münze sprang Krathus durch eines hindurch. Ich wollte folgen, doch zunächst galt es etwas zu erledigen. Der alte Mann hatte sich unseretwegen geopfert. Wir würden ihn nicht mitnehmen können, aber er hatte ein würdevolles Ende verdient. Also drehte ich ihn auf den Rücken und vollzog die viel zu gewohnten Riten, bevor ich seinen Körper verbrannte, statt ihn hier verrotten zu lassen.
Mit einem letzten Blick zurück betrat ich das Portal und fand mich im nächsten Raum wieder. Dieser unterschied sich in einigem vom ersten - der Nebel war lila, in der Mitte lag ein Podest, in der Ecke ein großer Edelstein - alles bewacht von einem gewaltigen Riesen. Die Aufgabe hier war klar, doch es wurde deutlich, dass es nicht leicht werden würde - nachdem Garret Ralkarion das Artefakt zuwarf, nutzte der Riese seine Keule, um den Edelstein zurückzuschlagen. Es musste etwas passieren, so kämen wir nicht weiter. Seine Bewegung nutzend gelang es mir, die Keule aus seiner Hand zu schlagen und in die Ecke des Raums zu treten. Während er seiner Waffe hinterher rannte und ich und Krathus ihm zwecks Ablenkung weiter zusetzten, gelang es Garret, den Edelstein auf das Podest zu stellen. Der Riese hatte vor, es zu verhindern, doch schnell reagierend unterdrückte ich seine aufgestaute Energie und der Edelstein blieb an Ort und Stelle. Im nächsten Moment hatte der Riese jedes Interesse an uns verloren, als erneut Portale entstanden. Krathus folgend betraten wir das nächste Portal. unsicher, was uns dort erwarten würde…
Sitzung 103
Als sie einige Sekunden später erwachte, sprühte ihr die Dankbarkeit nicht eben aus allen Poren. Na, egal. War unser Auftrag, wir hatten höflich zu sein, niemand verlangte das von ihr. Wäre auch nicht die Erste, die den Einsatz anderer nicht wertschätzte, man lernte, das recht gleichgültig zu sehen. Ralkarion und Krathus hingegen zeigten, wie jung sie noch waren und waren sichtlich beleidigt. Der Fairness halber sei gesagt, dass mich Ralkarions Art der verklausulierten „Antworten” ebenfalls nicht gerade fröhlich gestimmt hätte, weshalb ich nach ihrer dritten Nachfrage einwarf, dass wir von Mundi geschickt waren. Mochte Ral gar nicht. War amüsierend leicht, ihn aus der Fassung zu bringen.
Das Herz hatte er aber am rechten Fleck, wie sich zeigte, als wir Lia nach ihrer Geschichte befragten. Offenbar war sie auf der Suche nach einem grauen Mann, eine Entität, die den anderen bekannt vorkam. Während sie praktisch nichts über ihn wusste, wusste sie jedoch, dass er in den Plänen des Großen Roten eine große Rolle spielte, eine Gottheit zu werden. Das musste ich erstmal verdauen, die anderen schienen von diesen Plänen bereits zu wissen. Steigerte meinen Respekt enorm… nicht jeder hätte den Mumm, sich so etwas entgegenzustellen. Jedenfalls war Lia der Meinung, dass alle Fäden beim Grauen Mann in Ak’therion zusammenliefen und ihre Schlussfolgerung war, dass ganz Ark’therion inklusive der Zivilbevölkerung abgeschlachtet werden musste. Was für eine… die Professionalität verbot es mir, zu sagen, was ich davon hielt, doch wie bereits erwähnt, waren die anderen weniger zurückhaltend. War schon dankbar dafür. Trotzdem erstaunlich, dass jemand mit einem solchen Überlebensinstinkt wie Ralkarion offenbar Spaß daran hatte, einen leibhaftigen Drachen zu reizen.
Dennoch war dies wohl das Signal, alle Zurückhaltung aufzugeben. Es interessierte sie wenig, dass wir von Mundi geschickt waren oder die Absichten, die damit verbunden waren. Mehr noch erfuhren wir, dass Mundi offenbar panische Angst vor Blut hatte und seine zur Schau gestellte Gefährlichkeit eben nur das war - zur Schau gestellt. Fast schon amüsant. Wesentlich interessanter für sie und Kopfschmerzen auslösend für mich waren die anschließenden Erzählungen von Nexi, die dem Roten bei seinen Plänen helfen könnten. Zu hundert Prozent verstand ich es nicht, offenbar waren es magische Speicher? Lia war vor allem an der Tatsache interessiert, dass der Rote sie nicht persönlich kontrollierte, sondern Untergebene von ihm - die man töten und ihren Platz einnehmen konnte. Offenbar waren aber nicht alle unbedingt angetan von dem Roten. Es war der Moment, in dem ich aufgab, dass alles jetzt verstehen zu wollen, ich würde mir das später nochmal durch den Kopf gehen lassen.
Eher ungläubig reagierte die junge Lady Therion auf den Bericht des silbernen Drachen, der uns angegriffen hatte. Wir müssten uns verguckt haben, es gäbe keine silbernen mehr, vielleicht wäre es ja ein weißer gewesen. Ich schwieg, dachte mir aber meinen Teil, schließlich hatte sie bis vor kurzem auch nicht gewusst, dass ihre Mutter noch am Leben war. Immerhin lieferte sie eine höchst interessante Erklärung dafür, warum der Drache uns so leicht aufspüren konnte: Offenbar besaßen einige die Fähigkeit, anhand von Gegenständen Leute aufzuspüren, die damit in Kontakt gewesen waren oder denen sie gehörten. Krathus erinnerte sich an seine Flugstunde, untersuchte hektisch seine Ausrüstung und tatsächlich - sein Seil fehlte. Mit einem Geistesblitz stellte der Kleine daraufhin fest, dass er nun den Drachen aufspüren könnte, denn er konnte umgekehrt sein Seil magisch finden. Praktische Fähigkeit, gerade in meinem Beruf! Irgendwie war ich über seine Cleverness nichtmal überrascht, seit unserem Aufeinandertreffen vor einer Woche hatte er mich schon oft überrascht - er hatte Potential. Erinnerte mich an meinen Sohn, was mich gerade jetzt nicht überraschte.
Krathus war es auch, der jetzt bei Lady Lias arroganter Art der Kragen platzte und etwas Dankbarkeit verlangte. Mutig - und nachvollziehbar. Während Lady Therion davon gar nicht amüsiert war, stapfte sie dennoch los und holte eine Truhe aus dem Gebäude, schließlich wäre Geld ja alles, was uns Sterbliche interessieren würde. Das nun nicht gerade, aber für einen erledigten Job bezahlt zu werden war völlig normal. Ralkarion schien diese Einstellung zwar nicht zu gefallen, aber ich teilte da Krathus Einstellung, wenngleich er mehr Vergnügen daraus zu ziehen schien als ich.
Im weiteren Verlauf wurden Pläne geschmiedet, konkret: In Ark’Therion sollte nach Hinweisen auf den Grauen Mann gesucht werden. Das würde mehr oder weniger sicher bedeuten, dass wir auch wieder auf den Drachen stießen. Um die Gefahr abzulindern, bestimmte Lady Therion, dass wir erst in zwei Tagen aufbrechen würden und sie den morgigen Tag für diverse Schutzzauber verwenden würde. Konnte nicht sagen, dass ich dem abgeneigt wäre, so willigten wir ein.
Nachdem nun alles wichtige besprochen war, wagte ich es, meine Bitte an die Gruppe zu richten: Den anderen Drachen wenn irgend möglich am Leben zu lassen. Seine Fähigkeiten, andere anhand von Objekten aufzuspüren, war die beste Chance seit Jahren, Craich und vielleicht auch Gwen zu finden. Im Zuge dessen erzählte ich der Gruppe von den Ereignissen in den Shales. Es schmerzet immer noch, davon zu erzählen, besonders mit Craichs Feder in der Hand, doch sie verdienten eine Erklärung. Ich machte mir keine Illusionen darüber, dass wir eventuell gezwungen wären, den anderen Drachen zu töten - sofern er uns nicht zuerst tötete. Aber wenn auch nur eine Chance bestünde…
Der nächste Tag verlief recht ereignislos, Lia webte ihre Zauber und stritt mit Ralkarion über den Wert von Büchern. Ich führte währenddessen mit Krathus Waffenübungen durch, in Vorbereitung auf den morgigen Tag. Nach dem, was ich bisher von ihm gesehen hatte, war es auch Zeit, jede Zurückhaltung in den Übungen zu beenden. Er hatte viel zu lernen, sicher, aber seine beachtlichen Fähigkeiten verdienten Respekt. Wenn er jetzt noch etwas Disziplin zeigen könnte, wenn gefordert - nun, das würde noch etwas dauern und bis dahin war seine mangelnde Disziplin Quell von Amusement: Wenig später, fand sich Ralkarion plötzlich hoch in der Luft, schreiend auf einem rasenden Yak reitend, dorthin teleportiert von Krathus als Rache für den Dunkelheitszauber von vor ein paar Tagen. Ich konnte nicht anders und brach in schallendes Gelächter aus. Das Bild würde ich noch lange vor Augen haben.
Nach einer weiteren ungestörten Nachtruhe wurde es Zeit, den Plan in die Tat umzusetzen. Zu meiner Erleichterung konnte ich mit Krathus auf seinem fliegenden Yak reiten - die ganze Verwandlerei von Lia insbesondere weckte unangenehme Erinnerungen. Ralkarion trieb seine Provokationen Lady Therion gegenüber diesmal offenbar auf die Spitze, als er etwas vor sich hinmurmelte und kurz darauf am plötzlich rutschigen Drachenrücken den Halt verlor, ganz offenbar durch Lady Therion verursacht. Ich hätte schwören können, ich hätte die Drachin lachen hören.
Abgesehen von der unglaublichen Geschwindigkeit, mit der wir durch die Lüfte jagten, verlief die Reise ereignislos. Ich begann schon zu befürchten, wir hätten den Drachen vollständig umgangen, und sowohl Ralkarion als auch ich begannen, unsere magische Sicht vorzubereiten, während Krathus sein Seil tief unter der Stadt lokalisierte.
So abgelenkt bemerkten wir nicht, wie der Drache plötzlich wieder auftauchte und auf uns niederstieß, eine Gaswolke ausstoßend, die uns einen kurzen Moment lang paralysierte. Als diese gebrochen war, analysierte ich kurz die Situation. Lia war damit beschäftigt, die anderen aus der Luft zu fischen und Krathus damit, ihren Sturz abzubremsen. Währenddessen war das andere Vieh in einen Sturzflug gegangen und drohte, wieder zu verschwinden. Das konnten wir nicht riskieren, diese Überraschungsangriffe hatten uns schon letztes Mal fast umgebracht. Als ich einen Entschluss fasste, grinste ich innerlich. Das hatte ich schon lang nicht mehr getan… ich rief den anderen zu, dass ich mich an seine Fersen heften würde um zu sehen, wohin der Drache gehen wollte. Dann legte ich die Arme an, drehte mich - und stürzte dem Drachen hinterher. Dessen Flügel bremsten seinen Sturz, so dass ich sogar Boden gewann, doch der Drache wirkte einen Zauber, der ihn unsichtbar werden ließ - nicht aber, bevor ich gesehen hatte, in welche Richtung er verschwand. Meinen eigenen Zauber wirkend setzte ich sanft aus dem Boden auf und begann laut zu lachen, als die Mischung aus Adrenalin und Endorphinen meinen Körper flutete. So fanden mich die anderen, Ralkarion war natürlich eher entsetzt. Der Kerl musste sich mal locker machen, es war so selten, dass Arbeit und Vergnügen sich dermaßen miteinander vereinbaren ließen.
Ich zeigte den anderen, in welche Richtung der Drache entschwunden war - dieselbe Richtung, in der laut Lady Therion auch das Labor ihres Vaters lag. Mich beschlich das Gefühl, dass wir den Drachen dort wiedersehen würden und wir machten uns auf den Weg - direkt zum Palast.
Zielsicher führte uns Lady Therion in das Gemach ihres Vaters und drückte dort einige Steine, woraufhin sich ein Geheimgang öffnete. Auch wenn sie nie dort unten gewesen war, wusste sie doch, wie man dorthin gelangte. Ich konnte kaum glauben, dass sie nie versucht hatte, selbst dorthin zu gelangen - Kinder waren neugierig. Tatsächlich hatte sie es wohl einmal versucht, doch hatte einen Alarm ausgelöst. Die Tür begutachtend stellte sich heraus, dass sie tatsächlich mit einem solchen Zauber versehen war. Nun, das ließ sich beheben, wir wollten uns ja nicht zu früh ankündigen… ich konzentrierte mich, ließ meine Magie in meine Waffe fließen und beseitigte ihn mit einem gezielten Schlag.
Lia zierte sich etwas, herunterzukommen. Ob es kindlicher Reflex oder Angst war, vermochte ich nicht zu sagen. Immerhin war der andere Drache deutlich größer als sie gewesen und auch dieser Ort war nicht ohne magische Verteidigung, wie sich beim Abstieg feststellen ließ - ein paar Schritte später hörte meine magische Sicht plötzlich auf zu wirken, genau wie die von Ralkarion. Beunruhigend, doch wie Garret feststellte, blockte der Schutz immerhin nicht Magie als Ganzes.
Der Raum, indem wir ankamen, war in keinster Weise, wie man ihn sich vorgestellt hätte. Er sah mehr wie eine gemütliche, kleine Stube mit einer Menge Büchern aus statt nach Labor. Wohl wissend, dass es noch mehr geben musste als das untersuchten wir den Raum nach weiteren Ausgängen, doch erfolglos. Lady Therion ließ sich auf einen der Sessel fallen und machte ihrer Enttäuschung Luft.
Und im selben Moment erschien im Sessel daneben ein grauer Mann, der bestätigte, dass er ebenfalls stets von Lia enttäuscht gewesen worden sei - seiner Tochter…
Sitzung 102
Ralkarion war nicht wohl bei der Sache, er wäre lieber sofort weitergezogen. Der Plan, den er vorschlug, war durchaus gut durchdacht: Eine falsche Fährte legen, eine Lagerattrappe aufstellen und sich dann auf anderem Weg, magisch getarnt, aus dem Staub machen. Doch nun aus Panik weiterzuziehen, ohne sich ein wenig Ruhe zu nehmen schien töricht. Uns stand noch ein langer Weg bevor, wir würden alle Kräfte brauchen und die Gelegenheit war günstig - bisher hatte das Biest einen offenen Angriff gescheut. Wenngleich es früher oder später diese Zurückhaltung aufgeben würde, noch schien die Gelegenheit günstig, solange wir wenigstens freie Sicht hatten. Ralkarion schaffte es unabsichtlich, mich zu triggern, als er vorschlug, mich zu verwandeln, um uns länger durchhalten zu lassen. Nie wieder! In deutlichen Worten machte ich ihm klar, dass ich das niemals zulassen würde - lieber starb ich. Gemeinsam überzeugten ich und Krathus Ralkarion letzten Endes davon, die Rast zu beenden, beschlossen jedoch auch, nach dem Ende unserer Rast seinen Plan umzusetzen.
Gesagt, getan, und tatsächlich: unser Plan gelang. Wenngleich der Wachzauber vermeldete, dass der Drache unser falsches Camp mit seinem Eisatem überzog, schien er dennoch unsere Fährte verloren zu haben, während wir unsichtbar (wenn auch nicht unbedingt leise, das Schleichen lag mir nicht im Blut) weiterzogen. Dennoch hielten wir nicht vor dem Abend des nächsten Tages an, das Risiko erschien zu groß. Und ich hatte nicht vor, in meinem Auftrag zu versagen. Glücklicherweise erwachte Garret irgendwann aus seiner Bewusstlosigkeit, so dass ich ihn nicht mehr tragen musste - die durchwachte Nacht steckte mir in den Knochen. Ich war halt nicht mehr der Jüngste, zog allerdings etwas heimlichen Trost daraus, dass es den anderen ähnlich zu ergehen schien.
Gegen Abend errichteten wir unser Lager. Obgleich wir hofften, nun ausreichend Abstand zwischen uns und den Drachen gebracht zu haben, schliefen wir unruhig, doch mit der Zeit entspannten wir uns - unsere Hoffnung schien sich zu bestätigen. Erfrischt wachten wir am nächsten Morgen auf. Tat gut. Am Abend darauf hatten wir sogar das Glück, eine in den Felsen führende Höhle zu finden. Eine erstaunlich tiefe Höhle. Die in einem Gang mündete. Es erschien uns daher ratsam, die Höhle zuvor noch etwas zu erkunden, bevor wir hier unser Nachtlager aufschlugen. Ralkarion war da offenbar anders veranlagt, er fürchtete, wir würden direkt in unser Verderben rennen. Ich verstand nicht ganz, wie jemand, der nach Drachendamen suchte, das Risiko derart scheuen konnte, aber es stand mir wohl kaum zu, darüber zu urteilen. War nun beim besten Willen selbst kein Heiliger. Dennoch beschlossen wir nach einiger Erkundung, dort unser Lager aufzuschlagen, war es doch vor Drachenangriffen bestens geschützt. Ja, wir fanden Fußspuren, doch die waren derart groß, dass sich die dazugehörige Person kaum lautlos nähern konnte.
Wie sich herausstellte, hatte er daran auch gar kein Interesse. Gegen Ende der Nacht wurden wir von lautem Gesang und Stampfen geweckt. Während Garret sich sofort versteckte und Ralkarion ebenfalls auf das Verstecken drängte, blieb ich recht gelassen - jemand, der uns angreifen wollte oder auch nur erwartete, dass es hier Feinde geben könnte, würde nicht laut singend durch die Gegend ziehen, ich bezweifelte daher, dass wir in Gefahr schwebten. Es schadete nicht, vorsichtig zu sein, sicher, daher legte ich meine Rüstung an, aber die Erfahrung lehrte, dass es wenig Sinn ergab, vor jedem Schatten zu flüchten. Kurz darauf kam der Sänger in Sicht - ein gewaltig großes Wesen, ein Steinriese, wenn ich es richtig deutete. Verstand leider kein Wort von dem, was er sagte, Ralkarion hingegen schien sich prächtig mit ihm zu verstehen, nachdem er seinen initialen Schrecken überwunden und einen Zauber gewirkt hatte. Ich war nicht so talentiert wie er, aber zumindest bis zu einem gewissen Grad konnte ich ihn nachahmen, so dass ich mittels Zauber zumindest verstand, was der Riese wollte. War schon früher hilfreich gewesen, war es wieder. Der Riese stellte sich als recht friedfertig heraus, war wohl nur ein Späher seines Stammes, der aber vor allem aufpassen sollte, dass keine Drachen hier entlang kamen. Nun, unsere Neugier war geweckt und Ralkarion fragte ihn, was er über Drachen in dieser Gegend wusste. Bevor er uns das beantwortete, gab es jedoch eine recht amüsante Episode - der gute Riese verspürte zunächst das dringende Bedürfnis, sich zu erleichtern und wählte dazu gerade die Felsformation aus, hinter der sich Garret versteckte. Als dieser erschrocken und triefnass aus seinem Versteck hervorsprang, trat ihm der Riese in einem verfehlten Versuch, ein Ungeziefer zu beseitigen, auf den Fuß, was dem armen Halbling sichtlich schmerzte. Ralkarion beruhigte die Lage recht schnell, doch ich musste zugeben, dass die Situation einer gewissen Komik nicht entbehrte. Hey, es war ja nicht gerade so, als wäre Garret wirklich in Gefahr gewesen.
Die Informationen über den Drachen waren in der Tat sehr interessant. Offenbar waren zwei bei Westerfell, unserem Ziel gesehen worden - Westerfell hatte das wohl nicht überstanden und war niedergebrannt worden. Nicht weniger beunruhigend war, dass einer der Drachen von silberner Färbung war und damit möglicherweise die gesuchte Lia oder (und?) unser Freund der vergangenen Tage sein könnte. Beunruhigend vor allem deshalb, weil der andere Drache als weitaus größer beschrieben wurde und von roter Färbung war. Ich kannte genau einen großen, roten Drachen - der, der Ferozoica niedergebrannt hatte. Sollte er hier gewesen sein, wäre das eine enorme Verkomplizierung des Vorhabens. Der Riese war nicht persönlich beim Angriff anwesend gewesen, daher konnte er keine Details nennen, wodurch eine weitere, unangenehme Frage aufkam - was war, wenn Lia und der Rote gemeinsame Sache gemacht hatten? Natürlich war das reine Spekulation, aber die Frage musste gestellt werden.
Nach den Informationen wollte der Riese noch Bezahlung dafür haben, dass wir in „seiner” Höhle und Zugang zu den Gargant Rises lagerten. Ich war mir recht sicher, dass er lediglich etwas… Geschäftstüchtigkeit an den Tag legte, doch ich sah kein Problem darin, er hatte uns durchaus weitergeholfen. Krathus war wohl etwas geizig und gab hm nur ein Kupfer, doch der Riese schien ohnehin eher daran interessiert sein, wie unsere Münzen mit Steinen zusammen klangen. Zu gerne hätte er dazu auch Krathus Helm zum schütteln gehabt, doch der gab ihn nicht her. So gab ich dem Riesen meinen - ich würde ihn ohnehin zurückholen können. Ralkarion fragte mich später, wie ich das machen würde, doch da konnte ich ihm nicht großartig weiterhelfen - wie das meiste, was ich an Zaubern konnte, war es eher etwas Instinktives. Hatte ne Bindung aufgebaut und nutzte diese.
Nachdem der Riese abgezogen war, berieten wir die neue Lage. Der Gedanke kam auf, die Suche abzubrechen und zurückzukehren, wo doch in Westerfell nichts mehr zu holen war, doch auch wenn ich nur zum Schutz abgestellt war, musste ich hier doch deutlich widersprechen - es gab die Möglichkeit, dass jemand überlebt hatte und uns weiterhelfen konnte, wenn wir jetzt abbrachen, würden wir wieder bei null starten. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich wusste, was Aufgeben mit Individuen machen konnte… Glücklicherweise war die Idee damit auch recht schnell vom Tisch und wir würden unseren Weg fortsetzen, lediglich mit größerer Vorsicht. In diesem Kontext erfuhr ich auch, dass die Gruppe es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den Roten aufzuhalten. Sympathisch, gab mir aber noch mehr Rätsel in Bezug auf Ralkarion auf, es passte so gar nicht zu seiner Scheu vor dem Risiko. Andererseits hatte ich auch Krathus anfangs unterschätzt, möglicherweise ging es mir mit dem Tiefling genauso?
Wie wir am nächsten Tag bemerkten, war die Verwüstung wirklich enorm. Schon bevor wir Westerfell erreichten, verschwand der lauschige Wald, durch den wir bis dahin gewandert waren und machte einer verbannten Schneise Platz. Mich schauderte bei dem Gedanken an das oder die Wesen, die das angerichtet haben mochten. Hoffte sehr, dass sie sich nicht mehr hier herumtrieben, das würde meinen Auftrag sehr erschweren. Doch während wir uns vorsichtig den Ruinen des Ortes, der einmal Westerfell gewesen war, näherten, gab es keinen Hinweis darauf, dass die Drachen noch dort waren, also entspannte ich mich ein wenig. Der Anblick war jedoch schlimm genug. Kaum ein Stein stand noch auf dem anderen, an einigen Stellen brannte es sogar noch. Merkwürdig - der Angriff war zwar noch nicht lange her, aber doch offensichtlich lang genug, dass das Feuer mittlerweile hätte erlöschen müssen. Einem Instinkt folgend streckte ich meine Hand in das Feuer und fuhr zurück. Das Feuer selbst war harmlos, doch es gab offenbar eine zweite, wesentlich gefährlichere magische Komponente. Vom Feuer aufsehend bemerkte ich nun, dass ich ausschließlich Zeichen von Verbrennungen sah, jedoch keinerlei Vereisung, wie sie von einem silbernen Drachen hätte verursacht werden müssen. Möglicherweise hatte Lia doch keine gemeinsame Sache mit dem Roten gemacht, sondern war im Gegenteil von ihm gejagt worden? Das wären zum einen gute Neuigkeiten für meine Schützlinge, da sie dann wohl ein Alliierter wäre, gleichzeitig war es dann jedoch auch definitiv möglich, dass sie nicht länger am Leben war - immerhin war der Rote abgezogen. Nun, wir würden kaum mehr erfahren, wenn wir keine Überlebende oder weitere Hinweise fanden. Um das zu tun, begann Ralkarion mit einem Ritual, dass ich kannte. Ich schlug mir mit der Hand vor den Kopf, schnappte mir mein zerfledderte Zauberbuch von damals (das zugegeben recht wenig enthielt) und begann, es ihm gleich zu tun. Konnte meine Sauklaue von damals kaum lesen, daher las ich etwas stockend, wie ich später bemerkte sehr zur Verärgerung des Tieflings. Nun. Zunächst ließ sich nichts Besonderes feststellen, doch Krathus folgend betraten wir bald darauf ein großes Gebäude, die dem Herrschersitz in Zoica nicht unähnlich war. Kaum betreten, bemerkten ich und Ralkarion eine recht starke Quelle der Magie aus dem Keller.
Dort angekommen, bot sich ein erschreckendes Bild: Eine junge Frau, eingehüllt in Feuer, beides scheinbar in der Zeit eingefroren. Während die anderen begannen, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man sie dort möglichst gefahrlos herausholen konnte, starrte ich wie gebannt auf die Szenerie. Schon die verbrannte Stadt oben und die verkohlten Leichen hatten mich mehr mitgenommen, als ich es eingestehen wollte - dasselbe Schicksal hätte meine Eltern damals ereilen können, nun war es anderen so ergangen. Nun sahen wir quasi live, wie jemand bei lebendigem Leib verbrannte. Wer weiß, welche Schmerzen sie in ihrer Zeitblase erleiden mochte? Ich hatte keine Geduld für lange Überlegungen. War Zeit für eine direkte, schnelle Lösung. Ich zog mein Schwert und stapfte nach einem eher halbherzigen Versuch, mich davon abzuhalten, auf die im Zauber gefangene Frau zu. Ich gebot den anderen, sich in Sicherheit zu bringen, während ich versuchen würde, den Zauber mit Gewalt zu brechen und die Frau aus dem Feuer zu holen. Nach allem, was ich gesehen hatte, hatte ich die besten Chancen, das zu überleben. Ralkarion hielt einen Zauber bereit um die Sache zu erleichtern, aber ich hielt mich trotzdem bereit, hineinzulaufen.
Dann schlug ich zu. Der Zauber leistete enormen Widerstand, doch es gelang mir, ihn zu brechen. Sofort rollte die Feuerwelle über mich, die Frau und Ralkarion hinweg, was Ralkarion wieder aus den Latschen holte und mir zwar Schmerzen bereitete, aber nicht zu ernst schien. Die Frau hingegen brach zusammen, lebte jedoch noch. Ich schnappte sie mir und rannte zu den anderen, brüllte Krathus zu, dass er seine Heilung bereithalten solle. Garret kümmerte sich derzeit um Ralkarion. Leider musste ich feststellen, dass das Feuer sich nicht einfach so löschen ließ. Krathus gelang es, die Flammen auf Ralkarion zu löschen, woran ich jedoch scheiterte. Panik begann sich meiner zu bemächtigen, als es mir misslang, die Magie der Flammen auf der Frau zu bannen, während auch ich langsam verbrannte. In einem Akt der Verzweiflung begann ich, meinen Wasserschlauch über ihr auszuleeren, doch erst, als Krathus seine Magie auch bei ihr anwendete, gelang das auch. Meine eigene Sicherheit vernachlässigend schlug ich die Flammen aus, was meinem eigenen, geschundenen Körper den Rest gab. In dem Wissen, der Frau das Leben gerettet zu haben, ließ ich zu, dass die Dunkelheit mich umfing. Wenn wir sie retten konnten, wäre ich vielleicht auch in der Lage, meine Familie zu beschützen, wenn der Rote zurückkam.
Als ich die Augen aufschlug, schienen nur ein paar Sekunden vergangen zu sein, doch das Bild hatte sich geändert. Mein Fleisch roch noch verbrannt, doch keine Flammen tanzten mehr auf mir, ein riesiger Gorilla hatte sie ausgepanscht. Ralkarion? Ich hoffte sehr, dass er wusste, wie er sich zurückverwandelte. Und dann war da die junge Frau, die nackt, verbrannt, aber lebendig vor uns lag…