• Friday, 31. January 2025 07:40

Sitzung 96

Tueddelig
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Nun, zumindest Garret hielt sich zurück. Ralkarion hingegen brachte hingegen genau jene Punkte vor, die ich erwartet hatte, was es allerdings nicht weniger erträglich machte. Im Gegenteil, zeigte es doch, wie wenig er aus der Vergangenheit gelernt hatte – er hielt es zum Beispiel noch immer für völlig richtig, bei Ostracitoren alleine losgezogen zu sein, ohne uns – mir – auch nur einen Hauch von Mitsprache einzuräumen. Warf mir und Krathus obendrein noch vor, sich nicht an den Plan gehalten zu haben. Der Kerl hatte Nerven! Machte ständig Pläne, ohne andere einzuweihen und war dann beleidigt, wenn man seinen Bullshit kritisierte. Was das Fass endgültig zum Überlaufen brachte (nun, besser gesagt, einmal mehr) war, als er mir Egoismus vorwarf. Mir, die jeden Scheiß mitgemacht hatte, trotz meiner Einwände. Die im Gegensatz zu ihm Kompromisse und Zugeständnisse gemacht hatte. Die dafür bislang nichts als Anfeindungen von dem Tiefling und Garret bekommen hatte und trotzdem noch hier war. Ich hatte mich vorher schon nicht eben zurückgehalten, jetzt war es endgültig vorbei mit dem letzten bisschen Selbstbeherrschung. Der Rest des Streits verschwamm irgendwo in den eskalierenden Vorwürfen beider. Ich wollte gerade zur nächsten Tirade ansetzen, als mein Blick von etwas hinter uns angezogen wurde. Dort hatte sich ein Schatten geformt, der mich auf eine bestimmte Art an Gudden erinnerte. Kurz darauf trat irgendeine leuchtende Gestalt aus dem Schatten heraus. Nein, nicht irgendeine Gestalt … ICH trat heraus? Was hatte das zu bedeuten? Ein Impuls war, dass es irgendein fauler Zauber des Gehörnten war, doch der Gedanke verschwand sofort wieder, nicht zuletzt, weil er mir vor dem Gesicht herumschnippte und gar nicht wahrnahm, was dort geschah. Ich hingegen fühlte mich davon so sehr in den Bann geschlagen, dass ich dagegen die Gruppe kaum noch bemerkte.

Die leuchtende Gestalt – ein leuchtendes Ich – kam auf mich zu, lächelnd. Was mich nur noch mehr verwirrte. Ich wollte gleichzeitig zurückschrecken wie auf sie zugehen und bemerkte erst jetzt, dass ich ihr meinen Arm in einer fast flehenden Geste entgegenstreckte. Ein Teil von mir erhoffte sich Antworten, ein anderer Teil verachtete die Schwäche, die ich zeigte. Es war verwirrend.

Die Gestalt ignorierte meine ausgestreckte Hand und strich mir stattdessen durchs Gesicht, bevor sie dann doch mit der Hand den Arm herabfuhr und kurz meine Hand drückte. Die daraufhin mit einem bekannten Schmerz explodierte. Goldene Fäden zogen meinen Arm herauf, glühend heiß, erreichten meinen Kopf und durchzogen von dort meine Haare. Ich schrie einmal kurz auf, doch als ich aufblickte, war die Gestalt, war ich, verschwunden. Ich hatte jeden Anschein von Fassung verloren. Was war passiert? Und warum hatte ich mich gleichzeitig so schwach und so … vollständig gespürt?

Die Stimmen der anderen drangen nur wie durch einen Vorhang aus Wasser an mein Ohr. Als ich mich zumindest ein bisschen gefangen hatte und einzelne Wortfetzen auffing, planten sie bereits das weitere Vorgehen im Hort. Typisch. Wie ich es mir dachte, von ihnen würde ich kaum Unterstützung zu erwarten haben (was ausgerechnet Ralkarion später bestätigte, als er kundtat, es wäre ihm lieber, wenn die andere Ava da bliebe – doch ich greife vor). Allerdings war das auch nichts Neues. In einem Versuch, meine Gedanken zu ordnen, murmelte ich, dass es das Klügste wäre, wenn Garret zuerst mit Foamwave sprach. Wenn der Gehörnte hier tatsächlich so gesucht war, würde eine Assoziierung mit ihm Foamwave vermutlich in Gefahr bringen. Ralkarion stimmte überraschenderweise zu, wenn auch aus seinem üblichen Misstrauen – er wollte erstmal wissen, ob man seiner Schwester überhaupt vertrauen konnte. Ausgerechnet er, der niemandem vertraute. Was mich jedoch noch mehr überraschte war, dass er vorschlug, ich solle mit Garret gehen. Ein Ölzweig? Ein Ansatz von Vertrauen? Ich bezweifelte es, hoffte fast, dass seine Vorstellung eines Ölzweiges nicht war, mir eine Rolle in einem Vorhaben zuzuweisen, dem ich nichtmal viel abgewinnen konnte. Aber ich war ohnehin nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, also stimmte ich widerwillig zu. Mit Leuten zu reden war nicht meine Stärke. Ohnehin hielt ich es nun für deutlich wahrscheinlicher, dass der Tiefling in seinem unendlichen Misstrauen einfach nur jemanden dabei haben wollte, der ein Auge auf Garret hatte. Das hingegen konnte ich nur all zu gut nachvollziehen, Garret hatte sich wegen vielem einen Namen gemacht, doch umsichtiges und kluges Handeln gehörte eher nicht dazu.

Wir setzten den Weg fort. Die anderen sprachen noch weiter, doch ich hörte nicht so recht zu und war in Gedanken wieder bei der Lichtgestalt. Nachdem sich meine Gedanken nach und nach klärten, war mir ein Verdacht gekommen. Der Schmerz war derselbe gewesen, wie ich ihn schon beim Übertritt aus der Parallelwelt gespürt hatte. War ein Teil von mir in der anderen Welt verblieben? Der jetzt versuchte, mit mir in Kontakt zu treten? Das würde das Gefühl gleichzeitiger Schwäche wie Vollständigkeit erklären. Doch wie? Und viel wichtiger: Wollte ich überhaupt, dass dieser Teil zurückkehrte? Seit dem Tag, an dem wir zurückgekehrt waren, hatte ich mich vor allem 

eins gefühlt: frei. Was war, wenn dieser andere Teil zurückkam und mir diese Freiheit wieder nahm?

Weitere Überlegungen mussten warten. Wir waren am Hort angekommen und ich hatte eine Rolle zu spielen. Garret und ich stiegen vom Pferd, der sich daraufhin in einen klapprigen, alten Klepper zurückverwandelte. Offenbar hatten Ralkarion und Garret das Geschäft ihres Lebens abgeschlossen. Geschah ihnen recht. Wir betraten das Gebäude und wurden dort von einem recht komischen Vogel begrüßt – wortwörtlich. Er hielt uns für ein Ehepaar, was wir einem Impuls folgend bestätigten. Erst als wir in Richtung Büro gingen, um die Details des Aufenthalts zu besprechen, kam mir in den Sinn, dass diese Tarnung suboptimal war, wenn Garret mit Foamwave in Kontakt treten sollte. Eine Lösung dafür kam mir allerdings direkt in den Sinn und so ließ ich durchblicken, dass unsere „Ehe” möglicherweise nicht die glücklichste war. Mein Interesse an der Scharade stieg hingegen, als klar wurde, dass hier ein tatsächlich lebender Drache hauste. Ein Gedanke drängte sich mir auf … Drachen lebten noch länger als Elfen und offenbar waren viele von ihnen magisch begabt. Möglicherweise konnte dieser mir dabei helfen, das Mysterium der Lichtgestalt zu ergründen – und mir ihr in Kotakt zu treten? Nur für den Fall, natürlich. Ich überzeugte Garret daher, die Luxusvariante inklusive Tour zu buchen, dann verließen wir das Büro in Richtung Restaurant.

Ein kurzer Blick reichte aus, um festzustellen, dass Ralkarion’s Schwester nicht hier war. Zeit also, den Plan neu zu evaluieren – währenddessen konnte man dann ja auch gleich die Vorzüge des all–inklusive Tickets genießen. Vielleicht würde es mich endlich mal auf andere Gedanken bringen, es missfiel mir, wieviele davon auf die Lichtgestalt entfielen. Bei einem kurzen Besuch an der Bar scannte ich den Raum. Etwa 20 Leute, eher gut gelaunt, ein Junggesellinnenabschied erweckte besondere Aufmerksamkeit. Betrunkene waren meist leichte Ziele für die Extraktion von Informationen. Mittlerweile hatten auch Ralkarion und Krathus die Terrasse betreten und hätten mir ein Kopfschütteln abgenötigt, wenn der Plan nicht vorgesehen hätte, sie nicht zu kennen. Krathus kam auf seinen Stelzen herein und stritt sich erstmal mit dem anderen Kobold – Snek – um das Buffet während Ralkarion sich vermummt in eine Ecke abseits von allem setzte und damit genau so gut ein großes Schild „Seht mal her, ich hab was zu verbergen” mit sich herumtragen hätte können. Sei es drum, es war Teil für Akt 2 des Schauspiels. Um der etablierten Geschichte der kaputten Ehe etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen, kippte ich Garret meinen Wein ins Gesicht (von dem dieser bemerkenswert viel aufsog), brüllte ihn kurz an und verließ dann mit zur Schau gestellter Wut die Terrasse. Hinter der Tür wartete ich allerdings. Ich hoffte, Garret würde etwas draus machen, allerdings wäre ich lieber in Reichweite, wenn es schief ginge.

Außerdem verschaffte es mir Zeit, mich mit meinem eigenen Dilemma zu beschäftigen. Ich hatte den anderen auf dem Rückweg mehr oder weniger instinktiv erzählt, die Lichtgestalt wäre ein Teil von mir, der mich jahrelang unterdrückt hätte (was ihnen selbstverständlich egal gewesen war). Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wusste ich, dass ich die Wahrheit gesprochen hatte. Was mich jedoch zutiefst verwirrte war, dass ich sie nicht dafür hasste. Ich versuchte es, aber es gelang mir nicht. Ich wollte um keinen Preis in jenen Käfig zurück, unfähig, mehr als kleine Gedanken hervorzubringen, aber gleichzeitig verlangte es mich nach diesem Gefühl der Vollständigkeit. Eine vertrackte Situation, zumal ich derzeit noch keine Ahnung hatte, wie sich eine Wiedervereinigung bewerkstelligen ließe – geschweige denn eine, bei der ich weiterhin frei sein konnte. Ich hoffte, dass der Drache mir dort weiterhelfen konnte.

Garret ließ auf sich warten – ein gutes Zeichen? Zunächst erschien allerdings Krathus, der aufgrund von Fleischdiebstahl mit magischen Mitteln der Terrasse verwiesen worden war. Sein Mangel an Selbstdisziplin war wirklich enorm … Garret erschien einige Zeit später und hatte tatsächlich einiges in Erfahrung bringen können. Am wichtigsten: Foamwave war derzeit im Hort, es gäbe entweder die Möglichkeit, sie morgen anzutreffen, oder gegen eine weitere Goldzahlung direkt jetzt in den Hort zu gehen. Der kurz darauf hinzustoßende Ralkarion sprach sich für diese Möglichkeit aus, woraufhin ich und Garret uns von Meister Ravel eine entsprechende Erlaubnis holten und uns auf den Weg machten. Diesmal war ich deutlich williger, Garret zu begleiten – auch für mich konnte einiges auf dem Spiel stehen.

Doch wenngleich die Erscheinung der Drachin Belaxarim durchaus imponierte und auch Foamwave dort angetroffen wurde, aus meiner Sicht verlief der Besuch recht enttäuschend. Nachdem sich Foamwave mit Garret etwas abseits unterhielt (es mussten ja nicht gleich alle mitbekommen, welche Fragen er stellte), stellte ich der Drachin meine Fragen, doch sie konnte mir nicht weiterhelfen. Ihrer Neugier, was ich denn vorhatte, antwortete ich eher ausweichend, dass ich die goldenen Fäden wieder loswerden wollte – dass das durch eine Wiedervereinigung mit einem Teil meiner selbst geschehen sollte, schien mir selbst ziemlich absurd. Lange Zeit zu fragen blieb ohnehin nicht, denn Garret hatte bei Foamwave offenbar ziemlich daneben gegriffen und sie gesellte sich wieder zu uns. In einem Versuch, die Situation zu retten, heuchelte ich Interesse. Ich erhoffte mir wenig davon – ich wusste, dass ich eine furchtbare Lügnerin war und hatte auch gar kein Interesse daran, es zu lernen. Doch sie schien es mir abzukaufen und wurde nahezu redselig. So behutsam, wie es mir ohne echtes Einfühlungsvermögen möglich war leitete ich zu verschiedenen Themen, die der Tiefling abgesprochen wissen wollte und erfuhr nicht nur, dass sie vor Narchessa offenbar große Angst hatte, sondern auch alles mögliche über ihre Familie. Ihre Mutter, Stonearch, lebte irgendwo in The Points, ihr Vater war der Quartiermeister von Mad Dog Maddoc gewesen. Ich war froh, als sich dann endlich eine Gelegenheit bot, das Gespräch zu beenden. Es hatte mir einmal mehr meine Unzulänglichkeit vor Augen geführt, wenn es darum ging, mit Leuten zu sprechen. Völlig darauf fokussiert, irgendwie halbwegs unauffällig Informationen zu erlangen, hatte ich den Drachen daneben völlig ignoriert, was unweigerlich zu Fragen führen musste. Gleichzeitig war ich aber auch genervt davon, dass Garret so wenig getan hatte, um mich zu unterstützen. Andererseits, das war ich ja von ihm und dem Gehörnten mittlerweile gewohnt.

Entsprechend ungeduldig war ich allerdings auch, als er in seiner verschwurbelten Weise beginnen wollte, Ralkarion alles zu unterbreiten. Nach einem kurzen Intermezzo, in dem Ralkarion und Krathus übereinstimmend davon berichteten, dass Krathus sich mal wieder nicht hatte beherrschen können, legte ich dem Gehörnten die Fakten knapp dar. Das sein initialer Kommentar dazu nur „Siehst du jetzt, warum ich dich dabeihaben wollte?” war, ließ fast wieder die Wut hochkochen – erst mir Egoismus vorwerfen, jetzt noch dieses gönnerhafte, herablassende Implizieren meiner intellektuellen Unfähigkeit? Doch ich war des ganzen überdrüssig und war mit dem Kopf ohnehin noch ganz woanders. Was mich nicht daran hinderte, aufzustöhnen als Ralkarion laut überlegte, den Aufenthaltsort seiner Mutter in Erfahrung zu bringen. Bis hierhin hatte ich alles mitgemacht, aber das Maß war voll und so machte ich ihm unmissverständlich klar, dass ich nicht für eine Kreuzfahrt durch die Points zur Verfügung stand. Immerhin schien auch er nicht sonderlich erpicht darauf, wenn auch offenbar weniger aus Kompromissbereitschaft, sondern vielmehr, weil er Angst davor hatte, durch Piratengebiet zu reisen. Ich hoffte, dass es dabei bliebe und ich keinen Entschluss fällen musste, den ich trotz allem nicht fällen wollte …