Doch zu dem Gespräch kam es nicht, denn die anderen hielten es für wichtiger, zunächst einmal Melody aufzusuchen und nachzusehen, ob es geklappt hatte und um Ral’s Versprechen einzulösen, ihr Angstrum vorzustellen. Also machte ich gute Miene zum idiotischen Spiel und sagte nichts. Wer weiß, vielleicht würde ja zumindest ein wenig Amüsantes herauskommen. Und immerhin hatte ich mittlerweile gelernt, dass Melody eine wohl nicht ganz untalentierte Divination Magierin war, das mochte noch wichtig werden. Gleichzeitig ärgerte ich mich, dass man mir das nicht gleich gesagt hatte und stattdessen bei dem vagen “mächtige Magierin” belassen hatten. Warum musste man hier eigentlich jedem immer alles aus der Nase ziehen? Außer Krathus vielleicht, der dagegen schon wieder zu offenherzig mit seinen Informationen war … nun, jedenfalls brachten wir Angstrum ein wenig Etikette im Umgang mit Frauen bei, wovon ich allerdings bezweifelte, dass er die wirklich verstehen würde.
Ral ging zuerst hinein, um mit Melody zu sprechen. Wenig später kam er heraus, mit einer tatsächlich wiederhergestellten Melody im Schlepptau. Nun, mit der Variation, dass ihre Flügel nun strahlend weiß, schon fast engelsartig waren. Das Aufeinandertreffen zwischen Angstrum und Melody war tatsächlich recht amüsant, zumal Melody sich erst einmal überschwänglich bei „ihrem Schüler” Garret bedankte, was Angstrums Gesicht ausgesprochen lang werden ließ. Nicht zuletzt wegen einiger doch sehr dick aufgetragener Geschichten von Ralkarion zog aber letzten Endes der Bugbear mit Melody in die Nacht. Ich sah den beiden kopfschüttelnd hinterher. Für eine mächtige Magierin war sie doch reichlich naiv, auf so etwas hereinzufallen …
Obgleich es schon recht spät war, wurde beschlossen, noch bei Lafayette vorbeizuschauen. Ich hatte nichts dagegen, den Tag mit etwas Produktiven zu beenden. Das hieß natürlich zunächst bei Birch vorbeizuschauen, um das Tor öffnen zu lassen. Einmal mehr war dieser sturzbetrunken und natürlich sofort wieder mit anzüglichen Kommentaren bei der Sache. Kaum zu glauben, dass ich mich vor gar nicht so langer Zeit selbst mit diesem Ekel betrunken hatte … aber er war nunmal ein notwendiges Übel. Nach ein wenig Überzeugungsarbeit, in deren Zuge wir feststellten, dass Garrets Rücktritt wohl schon die Runde gemacht hatte, ließ er uns hinein. Obwohl wir mit ihm rechneten, erwischte Bing Ralkarion dann doch unerwartet, er war einmal mehr zum spielen aufgelegt. Von seinen Launen wissend beachteten wir ihn nicht weiter, doch Krathus schien dem Tier zu misstrauen, was in Rachegelüste umschlug, als der Panther seine Duftmarke an seiner Rüstung setzte. Ralkarion bereinigte sie mit einem Zauber, den ich schon öfter bei ihm gesehen hatte, doch auch das schien Krathus nicht recht zu sein, so dass er sich sofort wieder etwas Dreck auf die Rüstung schaufelte. Einer inneren Eigebung folgend streckte ich die Hand aus und wiederholte die Bewegungen, die ich schon öfter bei Ral gesehen hatte. Sehr zu meinem Vergnügen funktionierte es auch bei mir. Das lange Gesicht des Kobolds war ein Bonus.
Instinktiv steuerten wir auf den Nebeneingang zu, wo uns ein sichtlich unbegeisterter Lafayette in Empfang nahm. Ich genoss sein Missfallen, er hatte es sich redlich verdient, achtete aber darauf, dass nicht zu offen zu zeigen – ein dankbarer Lafayette war wichtiger als meine persönlichen Vorlieben. Leider hielt sich seine Dankbarkeit in Grenzen – die Nachricht, dass sein Hausarrest beendet war sorgte gerade einmal dafür, dass er uns nicht herauswarf und anhörte, was wir von ihm wollten. Der erste Teil des Gesprächs bestand mehr oder weniger darin, dass er sich über die neuen Machtverhältnisse in Zoica beschwerte. Das letzte Mal, dass Zoica unter der Herrschaft eines Drachen stand, hatte es nicht gut geendet und war schon währenddessen nicht all zu gut gewesen. Nahm man Posetine’s bisherigen Regierungsstil und Al’Charas Einstellung, so hatte er damit vermutlich Recht – auch diesmal würde die Bevölkerung wohl nicht unbedingt gut davonkommen. Nur bezweifelte ich, dass es ihm darum ging, statt um die Erweiterung seiner eigenen Machtfülle. Letzten Endes war es mir egal – keinen von beiden wollte ich auf dem Thron von Zoica sehen, aber Garret war nunmal abgetreten, Arem war wohl kaum der Typ für einen Putsch und weitere akzeptable Kandidaten waren mir nicht bekannt. Also würden wir mit den Karten spielen müssen, die uns gegeben waren. Durchaus eine Herausforderung. Ich mochte Herausforderungen.
Ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen, als Lafayette sich Krathus Rüstung zu wand und das Mithril als in Mon Mithral geschmiedet identifizierte. Interessant. Kannten wir damit einen Lieferanten und weiteren Verbündeten des Großen Roten? Aber laut Krathus Aussage war diese leichte Rüstung etwas Besonderes gewesen, also konnte sie genau so gut gestohlen sein. Also wohl ein weiterer Punkt auf unserer sich rapide erweiterten Reiseroute. Dennoch, die Aussicht, entweder einen Mithrillieferanten für die Stadt zu gewinnen oder aber einen Verbündeten Shadars zu entlarven und wenn möglich zu eliminieren war eine gute. Im Zuge dessen kam auch die Frage auf, ob die Zahlungen, die Cuu getätigt hatte, weitergeführt worden waren. Ich wusste nicht, wovon er redete, doch offenbar hatte es mannigfaltige Zahlungen von Cuu an diverse Orte gegeben. Ich seufzte innerlich. Mit einem etwas organisierterem Umsturz hätten wir davon vermutlich längst gewusst. Auf die Frage, wohin sie genau gingen, wusste Lafayette jedoch keine Antwort – alle seine Agenten, die er darauf angesetzt hatte, waren tot aufgefunden werden und er wollte daher nicht noch mehr schicken. Ich konnte mir den Kommentar nicht verkneifen, dass ich dann froh war, dass ich nie darauf angesetzt worden war. Seine Reaktion war recht aussagekräftig: Die Agenten wüssten, worauf sie sich einließen, Berufsrisiko halt. Was bedeutete, dass er sie nicht aus reiner Menschenliebe zurückhielt, sondern weil seine Ressourcen das nicht hergaben. Was ihn wiederum weniger hilfreich machte.
Dieser Eindruck verstärkte sich nur, als wir uns darum bemühten, Kapital aus seiner Befreiung zu schlagen. Ral wollte, dass er seine Kontakte dazu nutzte, nach Lia Ausschau zu halten. Auf Grund der eher vagen Hinweise, die wir hatten, stimmte er zu, einen einzelnen Agenten an den wahrscheinlichsten Aufenthaltsort zu schicken, doch mehrere Agenten loszuschicken blockte er vehement ab. Also waren seine Ressourcen tatsächlich stark reduziert oder aber er hatte damit anderes vor. Vermutlich Selbstsüchtigeres. Da im Verlauf des Gesprächs herausgekommen war, dass er auch in seiner Haft wohl durchaus Kontakte nach außen gepflegt hatte, versuchte ich mit einer Drohung nachzuhelfen – die Königin wäre wohl kaum erfreut darüber, zu erfahren, dass er ihren Hausarrest unterwandert hatte. Da das aber eher nach hinten losging, „entschuldigte” ich mich – immerhin ein Agent, auch wenn ich wenig Hoffnung hatte, dass er damit irgendetwas ausrichten würde. Das Wissen, ein Druckmittel gegen ihn in der Hand zu haben, war den Besuch immerhin bereits wert gewesen.
Im Zuge der Diskussion ob der Informationsbeschaffung kam das Gespräch noch auf Marco, an dem Lafayette wie üblich kein gutes Haar ließ. Er hielte sich Kindersklaven, wäre gegen Arkanisten, aber schickte sie jetzt selber auf die Akademie und so weiter und so fort. Innerlich gähnte ich. Natürlich vertraute ich Marco keinen Deut weiter als Lafayette, ich hielt ihn sogar für gefährlicher – das aber vor allem deshalb, weil er cleverer war. Im Vergleich der beiden Männer kam mir Lafayette immer wieder wie ein kleines Kind vor, dass versuchte, mit dem Spielzeug des erwachsenen Marco zu spielen und sich dabei regelmäßig die Finger klemmte.
Nach unserer Visite war es Zeit, zum Compound zurückzukehren. Ein kurzer Zwischenstop bei Gereon, um wegen der Zahlungen nachzufragen, brachte nur wenig Nutzbares – auch er wusste nicht, wohin die Zahlungen gingen, er hatte immer nur den Wagen mit Gold bereitgestellt, der dann abgeholt worden war. Einmal hatte er aber immerhin eine kleine Gestalt gesehen, die um den Wagen herumgeschlichen war. Ein geringer Anhaltspunkt, aber immerhin – ich beschloss, die Wachen am nächsten Morgen zu befragen, ob sie mehr dazu wussten, dann begab ich mich zur Ruhe.
Leider war die Befragung am nächsten Morgen nicht von Erfolg gekrönt, keine hatte etwas gesehen. Ich stattete dem Quartiermeister noch einen kurzen Besuch ab, um meine Rüstung abzuholen. Die Färbung war gelungen, doch beim Anpassen hatte er geschlampt, sie saß immer noch nicht richtig. Vermutlich würde ich erst wieder eine gut sitzende Rüstung haben, wenn wir nach Ravengrove kommen sollten … nun ja, zumindest schränkte sie die Bewegungsfreiheit nicht mehr so ein wie vorher.
Ich setzte mich an den Frühstückstisch, wo wenig später die anderen hinzustießen. Krathus war sichtlich verstört und stank nach faulem Ei, während Ralkarion dazu erklärte, er habe Krathus gestern Nacht aufgeklärt. Krathus hatte allerdings wohl noch immer nichts verstanden, was mich nicht wunderte, aber enorm amüsierte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie Ralkarion wortreich um den heißen Brei herumgeredet hatte und Krathus jedes einzelne Wort für sich aufgenommen hatte, ohne den Sinn zu verstehen. Nachdem ich den Teller magisch auffing, den Ralkarion an die Wand donnern wollte, bemühte ich mich meinerseits um Aufklärung, wenn auch auf die knappe Tour. Letzten Endes war es unwichtig, ob Krathus das Prinzip der Fortpflanzung verstand, aber es konnte für Erheiterung sorgen, sollten wir einmal auf einen ihm zugetanen weiblichen Kobold treffen und ich würde mich nicht wieder mit Fragen zu Stelzen herumärgern müssen. Oder vielleicht doch, man würde sehen.
Erst danach wurde das Gespräch wieder wirklich interessant. Ralkarion deutete etwas von einem Plan mit den Spinnen an. Er zierte sich ein wenig, doch ich hatte wenig Lust auf weitere Geheimnisse und auf sanften Druck rückte er schließlich damit heraus, dass er Kontakt mit den Spinnen aufgenommen hatte und am kommenden Tag mit ihnen darüber verhandeln wollte, uns in Bezug auf die pilgernden Kobolde zu unterstützen. Ein guter Plan, doch er wollte es bei der Informationsbeschaffung belassen – eine vertane Chance. Was nützte uns die Information, dass Kobolde den Nexus entdeckt hatten, wenn diese Kobolde die Information frei weitergeben konnten? Nein, es war sicherer die Spinnen als Attentäter einsetzen zu lassen. Verfressen, wie sie waren würde das wohl kaum Verdacht erregen. Auch der Zeitpunkt war gut gewählt, die Spinnen hatten sich vorerst aus Zoica’s Umland zurückgezogen und suchten neue Gebiete. Und selbst gesetzt den Fall, dass die Spinnen ein zu großes Ärgernis würden: Sie waren mehr ein in Schach gehaltener Feind denn ein Verbündeter. Wenn die Kobolde und Spinnen sich gegenseitig ausmerzten, wäre dies für uns ein Gewinn – beide Seiten würden geschwächt und die Gefahr der Entdeckung des Nexus in Azoicstrum wäre um ein vielfaches geringer.
Doch natürlich passte das Ralkarion und Garret nicht. Garret schlug vor, man könne die Spinnen ja nur auf die Kobolde ansetzen, die in Richtung Azoicstrum zögen. Während ich es begrüßte, dass er die Möglichkeit eines gewaltsamen Einsatzes der Spinnen nicht gänzlich ausschloss, so war dies keine Option. Früher oder später würde jemand bemerken, dass immer nur Kobolde verschwänden, die in eine bestimmte Richtung unterwegs waren und eins und eins zusammenzählen. Nein, wenn das Manöver Erfolg haben wollte, musste es sich gegen alle Kobolde richten. Da Krathus meiner Sichtweise zustimmte, waren wir mal wieder in einer Pattsituation angelangt. Nun, wir würden sehen. Das Treffen war erst morgen. Ich würde beobachten, wie die Spinnen reagierten – und im Zweifelsfall war Ralkarion ja nicht der Einzige, der mit ihnen sprechen konnte.
Nach dem Frühstück brachen auf, um zu Marco zu gehen, jedoch nicht ohne Krathus eingeschärft zu haben, dass er dort seine Klappe zu halten habe. Wenngleich dieser ständig seinen Sitz wechselte, war es nicht all zu schwer, einem seiner Kinder diesen zu entlocken, einmal mehr ein leerstehendes Gebäude, von denen es in Zoica noch immer recht viele gab. Angesichts seiner unzweifelhaften Fähigkeiten erhoffte ich mir von ihm deutlich mehr als von Marco und wurde nicht enttäuscht. Ich hoffe nur, dass wir im Gegenzug nicht zu viel preis gaben, ich wollte diesem Mann nicht eine Information zu viel geben, die er später möglicherweise gegen uns verwenden könnte. Doch ohne ein Mindestmaß an Kooperation war er nun einmal recht verschlossen. Unpraktisch, aber nachvollziehbar.
Zunächst einmal erfuhren wir von ihm, dass es offenbar Gardis gewesen war, der Cuu’s Goldzahlungen ablieferte, recht beträchtliche Summen noch dazu. Ich musste einmal mehr an Lafayette denken und wie stümperhaft er sich im Vergleich zu Marco verhielt. Gleichzeitig ein Dilemma: Marco war zweifelsohne die wertvollere Quelle, doch Lafayette war leichter zu durchschauen und damit zu kontrollieren. Gleichzeitig standen sie in Konkurrenz zueinander und konnten sich gegenseitig nicht riechen, was Marco ebenfalls überdeutlich klar machte. Vielleicht lag hier auch eine Chance begraben.
Und dann ließ er sprichwörtlich eine Bombe platzen. Er erwähnte, dass er aus der „Alten Welt” kam – Mocny, vor seiner Zerstörung vor tausenden von Jahren. Offenbar war Marco bei dieser Explosion zwischen zwei Phasen gewesen, ein Zauber mit dem die Leute dort trotz ihrer Abneigung gegen Arkanisten experimentiert hatten, und existierte seither in einer Art eingefrorenem Zustand – er alterte nicht. Mocny hingegen beschriebe er als ein Land, indem es nur noch Schatten gab, die zwar existierten, aber nicht mehr lebten. Schatten? Moment. War es möglich, dass … ich würde es hm zeigen müssen, ein reines Nachfragen würde nicht den gewünschten Effekt haben. Marco genau beobachtend, ließ ich eine Illusion eines jener Schattenwesen entstehen, die Gudden regelmäßig beschworen hatte. Die Reaktion war umwerfend. Noch nie zuvor hatte ich Marco überrascht gesehen, doch er schien ehrlich überrascht davon und fragte sogar, was wir davon wüssten und ob wir es gesehen hätten. Ich beobachtete ihn weiter sehr genau, als Ralkarion vorsichtig von einer mächtigen, magischen Quelle berichtete, die von dem Großen Roten benutzt worden war, um Mocny zu vernichten. Er schien davon tatsächlich nichts zu wissen, doch das musste nichts heißen – Leute lesen war nie meine Stärke gewesen und jetzt noch weniger. Den Verdacht, den ich hegte, wurde damit zwar nicht bestätigt, aber ganz beiseite legen konnte ich ihn dennoch nicht.
Das weitere Gespräch verlief dann wieder in deutlich bekannteren Bahnen. Ironischerweise hatte er ähnliche Vorbehalte gegen die neue Regierung wie Lafayette, wenn auch gänzlich andere Gründe dafür. Und er wiederholte einige der Vorwürfe, die auch ich schon Garret gemacht hatte, auch wenn ich bezweifelte, dass das irgendetwas bei dem Halbling ändern würde – auch er war klug genug, Marco nicht zu vertrauen. Deutlich interessanter wurde es dann, als Ralkarion bei seiner Aussage packte, er wolle nur das Beste bei Zoica und ihn nach dem Aufenthaltsort von Lia befragte, schließlich sei es unbedingt im Interesse von Zoica, sie zu finden. Und tatsächlich – er wusste, dass sie sich erst vor kurzem eine zeitlang in Westerfell niedergelassen hatte.
Bisher ließ sich dieses Gespräch gut an. Ich begann mich zu fragen, ob auch ich ihm noch ein paar Fragen stellen sollte – in Vorbereitung darauf begann ich durchzugehen, welche Informationen ich ihm im Gegenzug weitergeben könnte und welche nicht …