Tagebuch: Ava
Sitzung 108
Ich war zu früh… das Treffen war für Mitternacht vereinbart, die anderen waren noch nicht eingetroffen. Allerdings hatten sich in der Zwischenzeit einige… interessante Gäste eingefunden. Eine Truppe Yuan-Ti, die ein Schauspiel aufführten. Ich war misstrauisch - von dem was die anderen über Harkis erzählt hatten, waren Yuan-Ti zwar möglicherweise begnadete Schauspieler, aber sicher nicht am Theater interessiert. Steckte mehr dahinter? Da ich gemeinsam mit Arem eingeladen war, konnte ich die Gelegenheit genauso nutzen, ein Auge auf sie zu werfen. Ein angenehmer Abend dürfte es so oder so werden.
Mitten im Spiel hörte ich plötzlich Garrets Stimme an meinem Ohr - offenbar waren sie eingetroffen. Ich gab Arem ein Zeichen, er nickte verstehend und ich machte mich auf den Weg. Wie ich zugeben muss, etwas nervös. Ich war in letzter Zeit nicht die umgänglichste Person gewesen. Nicht ganz bei mir, wie ich mit einer Mischung aus Grinsen und Lächeln dachte. Wie die anderen mich empfangen würden, blieb ungewiss, aber die Nachrichten von Ralkarion waren zu beunruhigend, um weiter meditierend bei Arem und seinem Volk zu bleiben. In Gedanken daran rückte ich die neue Rüstung zurecht. Sie war hervorragend gearbeitet und dürfte deutlich mehr Schutz bieten als die unförmige Lederrüstung aus Cindercrest, aber die zusätzlichen Platten waren gewöhnungsbedürftig - es dürfte noch ein wenig dauern, bis ich meine gewohnte Agilität wieder ausspielen konnte. Dann richtete ich meine Gedanken wieder auf das vor mir liegende Zusammentreffen.
Das deutlich herzlicher ausfiel, als ich mir das gedacht hätte. Natürlich war Ralkarion zurückhaltend, das konnte man ihm kaum verübeln, aber Garret freute sich, mich wiederzusehen und Krathus war schon fast euphorisch. Ich muss zugeben, die naive Art des Kobolds hatte mir besonders gefehlt. Der Fleischberg war nicht mehr bei ihnen, offenbar hatte er seinen Auftrag als erledigt gesehen und war losgezogen. Typisch Söldner halt, aber wenigstens waren alle heile zurück.
Die fünfte Person im Raum hingegen umschwebte eine Aura der Arroganz. Angesichts der Herkunft wenig überraschend, handelte es sich doch um Lia Therion selbst. Ihre Blasiertheit war jedoch mit einem Schlag weggeblasen, als Al’Chara, von Garret geholt, hinter uns den Raum betrat und wir Zeuge werden durften, was es bedeutete, einen leibhaftigen Drachen als Mutter zu haben. Und das war noch nicht einmal das Ende des Vergnügens, dass mich heute erwartete - Lia schlug ein Buch auf, murmelte etwas davon, dass dort der Tesserakt zu finden sei und wir hineinmüssten. Innerlich schrillten die Alarmglocken. Hatte Ralkarion nicht im Buch von einem Kubus erzählt, in den sie gesperrt wurden? Da aber Al’Chara und Lia selbst ebenfalls ins Buch gehen wollten, war es wohl kaum vergleichbar und so ließ ich mich darauf ein.
Ich wäre vermutlich traurig gewesen, hätte ich es nicht getan. Ein Regenbogenland voller Zuckerträume und Märchengestalten erwartete uns, wohl der Traum einer jeden Prinzessin, die als Kind nicht genug umarmt wurde. Lias knallrotes Gesicht war unbezahlbar. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte ich vermutlich begonnen, laut zu lachen. Es zu unterdrücken wurde nicht einfacher, als Lia uns murmelnd vom Hai „Bitey” erzählte, den jemand kraulen müsse. Durch diese kunterbunte Wunderwelt begaben wir uns zu dem Turm in der Ferne, der Lias Zimmer darstellte und der noch immer die Aufschrift trug, dass ihre Mutter nicht hereindürfe. Dort befand sich auch der Eingang - einige winzige Tür hinter einer Kommode. Einen (natürlich pappsüßen) Trank später hatten wir die richtige Größe für die Tür und schritten hindurch, direkt in eine gewaltige, schwebende Bibliothek. Ein Alptraum für Krathus und Garret, ein Nostalgietrip für mich. Lange war es her… wir nahmen zunächst ziellos ein paar Bücher aus den Regalen, die allerdings nur eine Art Koordinaten enthielten. Es dauerte einen Moment, bis ich mich daran erinnerte, dass im Buch der Blutmagie ähnliches stand. Damit als Ausgangspunkt verlief die Recherche deutlich erfolgreicher. Versunken in die Bücher entdeckten wir Hinweis um Hinweis. Krathus schien schon nach kurzer Zeit jede Geduld verloren zu haben, selbst das Kartenspiel mit Garret konnte ihn nicht mehr aufheitern. Zum einen aus Mitleid, zum anderen, um seine permanenten Seufzer nicht hören zu müssen schickte ich ihn nach draußen. Er solle einmal sehen, wie die Zeit dort verging, was er nur zu gerne tat.
Auch Garret verschwand etwas später, während Ralkarion und ich weiter lasen. Es fühlte sich an, als würden Monate, sogar Jahre vergehen, während wir hier drin waren, doch die „Mühe” lohnte: Wir entdeckten schlussendlich Hinweise darauf, wie der Rote sich selbst zu einer Gottheit erheben wollen würde. Wenngleich die Antwort neue Fragen aufwarf. In der Hoffnung, auch darauf Antwortren zu finden suchten wir weiter, doch mussten feststellen, dass das folgende unser und ganz besonders mein Verständnis der Magie überstieg. Dennoch kehrte ich mental erfrischt und mit einem neuen Verständnis mit Ralkarion zurück in Lias Kinderzimmer.
In der offenbar praktisch keine Zeit vergangen war, was zum einen daran erkennbar war, dass ich sofort in Garret stieß, während Ralkarion mich von hinten fast umrempelte, zum anderen an der Beschwerde Al’Charas, dass wir ja kaum ein paar Sekunden drin gewesen wären. Wir machten uns auf den Rückweg, diesmal eine recht spaßige Abkürzung nehmend, indem wir den Turm schlicht heruntersprangen. Auf dem weiteren Weg teilten wir unseren Gefährten unsere Erkenntnisse mit. Während Al’Chara und Lia sich recht schnell auf den Weg nach draußen machten, gingen wir die Konsequenzen durch. Irgendwie mussten wir zumindest fürs Erste dafür sorgen, dass die Nexi sich nicht zu sehr aufluden, um das Ritual hinauszuzögern. Verschiedene Möglichkeiten gab es dafür - zwischen der permanenten Entladung der Nexi bis hin zur Evakuierung der Leute, die den Nexi aufluden, aus der Umgebung. Natürlich gab es noch eine dritte Möglichkeit, doch ich hielt es für klug, diese vorerst nicht auf den Tisch zu legen, immerhin war es auch nur die letzte Möglichkeit. Ralkarion überraschte mich wenig später allerdings mit ähnlich taktischen Überlegungen. Als gemeinsamer Nenner wurde letzten Endes festgelegt, dass wir den arkanen Nexus in Azoicström unter Kontrolle bringen müssten, eventuell auch die Akademie schließen, die ihn wieder auflud.
Daraufhin folgten wir den beiden Silberdrachen aus dem Buch heraus. Wenngleich Lia derzeit problemlos als roter Drache hätte durchgehen können. Al’Chara war der festen Überzeugung, dass Posetine eingeweiht werden müsse, doch wir waren skeptisch. Das Zusammentreffen von Cenereth hatte offenbar einen Effekt gehabt und sie begegneten der Herrscherin mit einem ähnlichen Misstrauen wie mein eigenes. Die Entscheidung wurde uns jedoch gleich darauf abgenommen, als Posetine in der Tür erschien und danach verlangte, zu wissen, was vor sich ging - und Krathus dieser Bitte nur zu gerne Folge leistete. Nun, damit würden wir umgehen müssen, Heimlichkeit war noch nie des Kobolds Stärke gewesen. Es gefiel mir trotzdem nicht, zumal Posetines Miene praktisch keinen Aufschluss darüber gab, wie sie zu dem Ganzen stand. Etwas beruhigte mich, dass Garret versicherte, sie sei ernsthaft interessiert an der Geschichte - aber nur etwas. Das sie uns befehlsgewohnt am nächsten Tag in ihren Hort bestellte, stimmte mich kaum weniger optimistisch.
Doch uns blieb kaum eine andere Wahl. So begaben wir uns am nächsten Tag zum Hort der Herrscherin, die anderen 3 unsichtbar, um die Geschichte des Verschwindens im Kubus möglichst lange aufrecht zu erhalten. Posetine erwartete uns schon und erklärte uns zu ihren Champions, was mit dem Geschenk einiger Drachenschuppen einherging. Ich behielt meine Gedanken dazu für mich, aber ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, was sie damit bezweckte - waren ihre Intentionen tatsächlich von Hilfsbereitschaft geprägt oder spielte sie ihr eigenes Spiel mit uns?
Sitzung 101
Zunächst galt es aber noch zu klären, was Mundi von Sycora wusste. Wie sich herausstellte jedoch nicht viel. Seine Reaktion war deutlich erhellender, fast schien er, als hätte er Angst von ihr. Nun, vielleicht eher Respekt vor ihrer Macht, die substantiell zu sein schien. Demzufolge also wohl ein guter Ort, um das falsche Signal für die Kobolde des Roten zu setzen.
Mundi schien derweil erpicht darauf, uns bei unserer Suche nach Lia Hilfe zukommen zu lassen. Was er darunter verstand, wurde direkt deutlich, als ein Koloss in Platte die Plattform betrat, dessen Äußeres dem eines Drachen auf zwei Beinen nicht unähnlich war. Mein Misstrauen war sofort geweckt - Mundi stellte uns einen Aufpasser (oder sollte ich sagen Überwacher?) an die Seite, der noch dazu Assoziationen mit dem großen Roten weckte? Das stank zum Himmel. Die anderen schienen mein initiales Misstrauen zu teilen - immerhin etwas. Schien an dem Kerl jedoch abzuprallen. Loswerden würden wir ihn wohl aber auch nicht, so fügte ich ich erstmal in unser Schicksal. Vielleicht würde er sich später als hilfreich erweisen - oder aber, es ergäbe sich eine Möglichkeit, ihn loszuwerden. Arem indes umtrieb wohl noch etwas anderes und er fragte mich, telepathisch natürlich, was ich vorhätte, wenn Lia nicht mitkommen würde. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass es manchmal nötig war, Opfer zu bringen, ob es einem gefiel oder nicht. Ich glaubte, von ihm eine gewisse Missbilligung zu spüren, doch stattdessen beglückwünschte er mich zu meinen Verhandlungen. Da war er vermutlich der Erste.
Ich hätte es bevorzugt, dass weitere Vorgehen mit der Gruppe abzusprechen, doch die veränderte Zusammensetzung erschwerte das - ich hatte kein Bedürfnis, mit diesem Calas meine Pläne zu teilen. So setzte ich mich auf dem Rückweg ein wenig mit Arem ab und unterbreitete ihm mein Vorhaben. Man konnte es drehen oder wenden, wie man wollte: Ich war in der Gruppe am entbehrlichsten. Gleichzeitig lief uns mit Lia die Zeit davon, doch die Bedrohung aus Arems Heimat erschien mir nicht als etwas, was man schlicht ignorieren konnte. Außerdem zog mich noch irgendetwas dorthin. Was jedoch… das vermochte ich selbst nicht zu sagen. Vielleicht hatte es etwas mit diesem anderen Ich zu tun? Sei es drum. Ich schob den Gedanken beiseite, darum ging es gerade nicht. Vordergründig. Arem war einverstanden, mich dorthin zu begleiten, während die anderen Lia suchten. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, sie damit alleine zu lassen, aber ich sah kenne andere Möglichkeit. Oder wollte ich keine andere sehen?
Zumindest war ich den anderen aber schuldig, mich zu erklären. Arem erklärte sich bereit, mit Garret zu sprechen, während ich mich mit Krathus unterhalten würde. Trotz seiner unbedarften und unvorsichtigen Art hatte er bisweilen einen erstaunlich klaren Blick für das, was die Situation erforderte. Als dieser rotgefärbte Fleischberg von einem Aufpasser außer Hörweite war, erklärte ich Krathus, was ich vorhatte und dass ich auf ihn zählen würde, auf die anderen aufzupassen und vor allem, auf Kurs zu halten - insbesondere Ralkarion. Ich hoffte sehr, dass er das auch tun würde. Krathus schien widerwillig - nicht unverständlich, hatte ich doch erst kürzlich die Alleingänge des Gehörnten verurteilt. Ich wusste ja selbst nicht ganz, was mich zu dieser objektiv dummen Handlung trieb, doch irgendwie konnte ich nicht anders. Dennoch sah ich mich zu einer Entschuldigung genötigt. Krathus akzeptierte und überraschte mich mal wieder auf die für ihn übliche Art, indem er mich plötzlich fragte, ob der Zweck nicht die Mittel heiligte. Eine der in ihrer Absolutheit verqueren Ansichten des Gehörnten aus ihrem Gespräch? Jedenfalls antwortete ich, dass das ganz auf den Zweck ankäme, eine Antwort, die den Kobold offenbar zufrieden stellte.
Im Anschluss sattelte ich mein Pferd und machte mich gemeinsam mit Arem auf den Weg. Über die Schultern blickend sah ich, wie die anderen sich ebenfalls in Begleitung des Söldners aufmachten und ertappte mich bei dem Gedanken, dass dies hoffentlich kein gewaltiger Fehler war…
Sitzung 99
Ralkarion verschwand im Anschluss an unser Gespräch mit Krathus auf sein Zimmer, offenbar, um ihm ein paar Dinge beizubringen. Der Gehörnte schien seine „Vaterrolle” langsam anzunehmen, wenn auch widerwillig. Der Gedanke daran, wie dieses Gespräch verlaufen würde, entlockte mir ein Grinsen. Krathus hatte eine Art, das zu verstehen, was er verstehen wollte und wenngleich das bisweilen problematisch war, so war es in diesem Fall doch erheiternd.
Ich musste zugeben: Zu gern hätte ich Ralkarions hilflosen Gehversuchen als Vater gelauscht, doch ich hatte etwas anderes mit Garret zu besprechen. Mich umtrieb nach wie vor dieses … andere Ich. Die zweite Hälfte von mir? Ich wusste noch immer nicht, wie ich sie nennen sollte. Es hatte von ihrer Seite eine Kontaktaufnahme gegeben, soviel war klar. Und obgleich ich sie dafür hassen sollte, dass sie mich ein Jahrhundert eingesperrt hatte, fühlte ich mich im Gegenteil zu ihr hingezogen. Wenngleich unsere Situationen sich nicht unbedingt glichen, so hatte Garret ebenfalls ein anderes ich in sich, dass er zu kontaktieren versuchte. Darauf angesprochen, erklärte er mir seine Art der Meditation, mit der er es versuchte. Ich gab mir Mühe, aber es wollte nicht so recht klappen. Vielleicht mit mehr Übung?
So fanden uns Krathus und später Ralkarion wieder, Garret war mittlerweile eingeschlafen. Wie wir erfuhren, war Ralkarion noch einmal zu seiner Schwester gegangen und hatte ihr seine Identität offenbart und dabei einiges erfahren. Seine Schwester hatte offenbar ein gutes Verhältnis zu dieser Narchessa, nannte sie Tante. Was ihn zwar besorgte, aber auch seine Vorteile hatte, denn Foamwave hatte kurzerhand dafür gesorgt, dass sowohl er als auch sein Ziehvater sich nun frei in Ailamere bewegen konnten, schließlich gehörte er ja zur Familie, was Ralkarion allerdings nicht besonders zu gefallen schien, wo er diese Person doch so sehr hasste.
Der Tiefling schien heute seinen redseligen Abend, als nächstes wollte er ein Gespräch unter vier Augen mit mir führen. Da die anderen nichts dagegen hatten, war ich gewillt, mir anzuhören, was er zu sagen hatte, doch woher diese Angewohnheit kam, immer alles zu zweit besprechen zu wollen statt mit seinen Gefährten eine gemeinsamen Ansatz zu finden, wollte mir sich nicht so recht ergründen. Teile und herrsche? Nein … egal, was ich von ihm halten mochte, das war nicht seine Art.
Drüben angekommen holte der Tiefling eine Flasche Whiskey aus der Tasche. Diese Art von Gespräch also … dennoch, ich griff zu, selbst ohne Ralkarion hatte ich genug zu verarbeiten und ich konnte nicht wirklich behaupten, völlig von der Verwirrtheit des Tages befreit zu sein. Das Gespräch war lang, der Whiskey gut. Zwar bezweifelte ich, dass die Probleme ausgeräumt waren, aber zumindest konnten wir uns darauf verständigen, dass wir ein gemeinsames Ziel verfolgten, dass es wert war, zusammenzuarbeiten. Und er erwartete nicht, dass wir Freunde sein mussten, ebenfalls ein Erfolg. In Bezug auf die privaten Eskapaden hatte ich allerdings so meine Zweifel, dass wirklich etwas ankam, als er mir sagte, dass er es zu seiner Aufgabe machen würde, mir dabei zu helfen, Arina zu suchen. Innerlich stöhnte ich auf – er hatte offenbar nicht begriffen, dass das genau das war, was ich nicht wollte. Doch um des aufkommenden Friedens Willen hielt ich mich zurück und lehnte das Angebot lediglich entschieden ab. Die Nacht endete mit einer guten Menge an Whiskey, den ich allerdings erstaunlich gut vertrug.
Wie man am nächsten Morgen sah, hatte der Gehörnte damit mehr Schwierigkeiten, er war völlig verkatert. Nachdem Foamwave, die mittlerweile hinzugekommen war, ihm die Idee in den Kopf gesetzt hatte, bat er Krathus, ihn davon zu befreien. Sieh an, eine Person, die Einfluss auf ihn hatte. Krathus fragte ihn angesichts des eigentlich verständlichen Wunsches sichtlich irritiert, ob Ralkarion nicht die Konsequenzen seines Besäufnisses akzeptieren wollte. Vermutlich eine Nebenwirkung ihres Gesprächs von gestern, doch Ralkarion wollte davon nichts hören und so tat ihm ein verwirrter Krathus den Gefallen. Dann erlebte ich die erste große Überraschung des Tages.
Nachdem sie uns nach unseren Plänen fragte, plapperte der sonst so vorsichtige Ralkarion fröhlich aus dem Nähkästchen, ohne auf irgendwelche warnenden Blicke zu achten. Was dachte er sich dabei? Schwester hin oder her, er kannte diese Person nicht, wusste aber, dass sie eine gute Beziehung zu jemandem pflegte, den er abgrundtief hasste! Hatte sie ihn mit einem Bann belegt oder irgendwie unter ihr Kontrolle gebracht? Immerhin erfuhren wir so, dass sie bestens über die Teleportzirkel Bescheid wusste – und das ihre Mutter nur einen Teleport entfernt sei.
Und das war der Moment, in dem es wieder einmal aus dem Ruder lief. Trotz meiner Ansage des vorherigen Abends, trotz des Gesprächs, trotz allem wollte Ralkarion, dass wir jetzt erstmal zu seiner Mutter gingen. Mein Gegenargument, dass noch nie ein Teleport ins Unbekannte ohne Probleme geblieben war und sich unsere Pläne selten so entwickelten, wie wir das wollten, wischte er einfach beiseite. Es war ein Schlag in die Magengrube. Das Gespräch von gestern, war es nur eine Finte gewesen, um mich milde zu stimmen und er und Foamwave hatten es bereits geplant? Möglich wäre es, Ralkarion hatte ein Faible dafür, Pläne erst zu offenbaren, wenn sie bereits Gestalt angenommen hatten. Mir entging auch nicht, dass er bei dem Vorschlag vor allem mich ansah. Ich spürte erneut Wut in mir aufsteigen, doch sie machte schnell einer tiefen Resignation Platz. Immerhin hatte er sich diesmal nicht einfach in der Nacht aus dem Staub gemacht. Also schön, Gehörnter, mach dein Ding, ich werde darauf keine Rücksicht mehr nehmen. Und so sagte ich ihm, dass wenn er dorthin gehen würde, er es ohne mich tun würde und ich auch nicht auf ihn warten würde.
Nachdem er dennoch fest entschlossen war, begann ich eine Sachen zu packen, Krathus wollte mich offenbar begleiten. Irgendwie schien der Kobold einen Narren an mir gefressen zu haben, warum, wusste ich selber nicht. Garret schien deutlich unentschlossener zu sein. Gut, wenn er Ralkarion begleitete, standen die Chancen besser, dass Ralkarion lebend wiederkam, wenn etwas schiefgehen würde. Auch wenn sich Ralkarion mehr und mehr als unzuverlässig erwies, so war er noch immer unsere beste Chance, etwas gegen die Nexi zu tun. Doch zu allem Übel redete ihm Ralkarion ein, dass er uns zu Mundi begleiten müsse. Natürlich wäre Garret hilfreich, aber ich hatte diesbezüglich bereits eine andere Idee gehabt, die mir irgendwie gefiel.
Noch bevor wir uns auf den Weg nach unten machen konnten, wartete Foamwave mit einer weiteren Überraschung auf. Kurzerhand rief sie Belaxarim herbei, die sich bereit erklärte, uns auf ihrem Rücken nach Ailamere zu tragen – in gerade mal einer Stunde. Ich muss sagen, die Aussicht, auf einem Drachen zu reiten, hatte etwas für sich und so stiegen wir auf. Unterwegs erläuterte ich, dass ich vorhatte, bei der Rückkehr nach Zoica sofort zu Mundi weiterzureisen. Ral versuchte noch einmal, mich davon zu überzeugen, doch zu warten, aber nun war ich es, die seine Einwände ignorierte. Ich hatte stattdessen vor, Arem um Unterstützung zu ersuchen, auch er hatte schon mit den Untoten zu tun gehabt, dass sollte zum Vorteil gereichen.
Nach der etwas pompösen Landung, die Foamwave für ein Werbespektakel nutzte und Garret dazu, sich sein Essen nochmal durch den Kopf gehen zu lassen, gingen wir zu Modron und dem Teleportzirkel. Foamwave war dort ein gern gesehener Gast und auf Nennung eines Passwortes ließ man uns einfach herein. Foamwave und Ralkarion waren noch einmal losgegangen, um seinen Ziehvater abzuholen, er sollte mitkommen, auch wenn mir nicht einleuchtete, warum – hier drohte ihm offenbar keine Gefahr mehr. Aber wo wir ohnehin nach Zoica zurückkehrten, gab es auch keinen Grund, ihm das zu verwehren. Unten angekommen, stellte ich Garret ein letztes Mal vor die Wahl, ob er doch mit dem Tiefling gehen wolle, doch Ralkarion überzeugte ihn, mit uns mitzugehen. So sei es denn, Gehörnter, hoffen wir mal, dass der Trip wirklich so ereignislos läuft, wie du dir das vorstellst. Auch wenn diese Naivität nicht so recht zu dir passen will.
Der Teleport nach Zoica verlief recht ereignislos, wenn man von einem Fehltritt Garrets absah und wir machten uns mit Jashier im Geleit auf den Weg zum Compound. Ein Teil von mir freute sich tatsächlich darauf, Arem wiederzusehen, den Grund dafür vermochte ich nicht so recht zu benennen. Ich hatte ihn nur kurz kennengelernt, doch wirkte er wie jemand, der die Pflicht über das Persönliche stellte, was ihn nach den letzten Tagen mit Ralkarion zu einer willkommenen Abwechslung machte. Zu unserem Glück willigte er sehr bereitwillig ein, er müsse lediglich der Herrscherin (dafür verfluche ich dich, Garret) Bescheid geben. An der jammernden Wache vorbei betraten wir das Gewölbe vom letzten Mal, dass Posetines Hort werden sollte. Ich konnte meine Abscheu kaum unterdrücken … ein Thron war gebaut worden, die ersten Goldverzierungen bereits angebracht. Von all den notwendigen Dingen, die man damit hätte tun können, war dies das mit Sicherheit am wenigsten produktive. Arem sah dies offenbar ähnlich, doch ihm waren die Hände gebunden. Krathus hingegen nahm ein Angebot von Posetine dankend an und riss sich etwas Gold der Stadt unter den Nagel. Wenigstens darüber war ich nicht überrascht. Nach diesem unerfreulichen Ereignis holten wir uns Pferde aus den Stallungen und machten uns auf dem Weg zu Mundi.
Unterwegs klärte ich Arem über alles auf, was seit unserer Abreise nach Cindercrest geschehen war und stellte im Gegenzug ein paar Fragen. Mir war aufgefallen, dass ich fast nichts über diesen Mann wusste – das musste sich ändern, wenn wir öfter mit ihm zu tun hätten. So erzählte er, dass er aus einem Ort namens Szindazar unweit von Cindercrest komme, in der seine Art lebte. Und dann wurde es richtig interessant … offenbar hatten sie sich einem Wesen verschrieben, Szindaresh, und wurden von ihm mit Macht versorgt. Diese Macht nutzten sie, um in der Welt Unrecht auszumerzen und damit wiederum Szindaresh zu stärken. Interessanter oder beunruhigender war jedoch der Grund dafür: Szindaresh kämpfte offenbar auf einer anderen Ebene, dem Dreaming Dark, gegen dunkle Wesen. Auf meine Frage hin, ob diese genau wie Szindaresh auf diese Ebene Einfluss nehmen würden, sagte er nur vage, dass sie theoretisch nichts davon abhielt. Beunruhigend, es gab schon genug Gefahren. Vielleicht sollte ich mir das einmal ansehen.
Ehrlicherweise muss ich sagen, dass dieser Gedanke nicht ganz eigennützig war. Arem hatte darüber hinaus erwähnt, dass er wohl in der Lage wäre, über Träume oder ähnlich (ganz verstand ich es nicht) mit anderen Ebenen in Kontakt zu treten. Nachdem Garrets Meditation erfolglos verlaufen war – vielleicht konnte er mir bei meinem Problem helfen? Es war nur ein Nebengedanke, wichtiger war die Evaluation der Gefahr durch die Wesen aus dem Dreaming Dark, aber er war hartnäckig. Gerne hätte ich es schon in dieser Nacht ausprobiert, ob es helfen könnte, doch wir waren an den Ausläufern des Untotengebiets angelangt und wenngleich wir niemanden sahen, so fühlten wir doch, dass wir unter ständiger Beobachtung stünden. Unter solchen Bedingungen würde es warten müssen.
Nach einer unruhigen Nacht ritten wir weiter und kamen kurz darauf auf ein Skelettpferd zu, dass auf dem Weg stand. Merkwürdig, sicher, aber immerhin waren wir im Land der Untoten, was war da schon normal. Überraschender war, als uns eine Stimme vom Rücken des Pferdes begrüßte und nach unserem Anliegen befragte. Als wir es nannten, rief der Unsichtbare einen untoten Raben zu sich und ließ aus dem Sand zwei untote Spinnen samt Reiter auftauchen, die unserem Blick entgangen waren. Ich spannte mich innerlich an, doch zu unserem Glück eskortierten sie uns lediglich direkt zur Dreadspire und Mundi – wohin wir ohnehin wollten. Ein beeindruckender Turm, keine Frage, wenn er auch früher eindeutig höher gewesen war.
Wir ließen die Pferde zurück und folgten dem Reiter die Kette hinauf, wo uns tatsächlich Mundi höchstpersönlich erwartete. Wie sich im weiteren Verlauf herausstellte, hatte er einen Narren an Garret gefressen dafür, dass er ihn wiederbelebt hatte. Nach einem kurzen Vorgeplänkel um Gebiete und Territorialansprüche von unterseeischen Hexen kamen wir zur Sache und berichteten von dem Willen seines Bruders, Frieden zu schließen. Mundi wirkte allerdings eher unbeeindruckt, Mundo habe doch nur Angst, da er hohe Verluste erlitten habe. Auf die Frage, wovor, ließ er mich emporsteigen und zeigte mir seine Armee. Gut. Damit hatten wir einen ungefähren Eindruck von seiner Truppenstärke. Immerhin bestätigte er, dass Zoica nach dem Abzug der Hextor für ihn nicht mehr von Interesse sei – und offerierte seinerseits, mit seinen Untoten für die Verteidigung der Stadt zu sorgen. Garret war allerdings durch seine Erfahrung vorsichtiger geworden und lehnte das Angebot ab, ließ sich aber dennoch das Mal der Hextor entfernen – meiner Meinung nach ein kluger Schachzug. Überhaupt legte Garret bei diesem Gespräch ein erstaunliches Verhandlungsgeschick an den Tag, was mir durchaus Respekt abnötigte. Durch Garrets Vorlagen schaffte ich es, Mundi zur Einwilligung in eine vorübergehende Waffenruhe zwischen den Brüdern zu bringen, die sogar in einem gegenseitigen Frieden enden würde, wenn wir Mundi Lia zurückbrächten. Gesetzt den Fall natürlich, dass sich beide Brüder an das hielten, was sie versprachen, wovon ich nicht vollends überzeugt war. Die Verhandlungen zur Waffenruhe wurden erschwert durch Mundis Durst nach Rache an Lia und Mundo, jedoch auch dadurch erleichtert, dass Mundis Reich im Norden von einem wiederauferstandenen Sardak-Imperium bedroht wurde – Garrets Freund Harkis schien diesbezüglich ganze Arbeit geleistet zu haben. Mir sollte es Recht sein, es stellte sicher, dass die Untoten sich auch bei einer Waffenruhe nicht zu sehr ausbreiten würden und die Hextor fanden offenbar ohnehin ständig jemanden, mit dem sie Krieg führten. Lia zurückbringen dürfte allerdings keine leichte Aufgabe werden – Mundis Aussagen ließen erkennen, dass die Ehe der beiden nicht unbedingt von Liebe und gegenseitigem Respekt und Vertrauen gekennzeichnet war. Doch wenn das Wohlergehen einer einzigen Person geopfert werden musste, um das Land zu befrieden und möglicherweise sogar eine schlagfertige Allianz gegen den Roten auf den Weg zu bringen (auch wenn das eine noch weit entfernte Möglichkeit war), dann war es das wert. Der Gehörnte hätte sicher widersprochen, was mich dankbar sein ließ, dass er nicht hier war. Es machte die Dinge leichter.
Problematisch war allerdings, dass Mundi erkennen ließ, dass er nicht ewig auf die Auslieferung von Lia warten würde, was meinen Vorhaben kollidierte, die Gefahr aus Arems Erzählungen zu evaluieren, doch auch diesbezüglich gab es vielleicht eine Möglichkeit …