Ich war zu früh… das Treffen war für Mitternacht vereinbart, die anderen waren noch nicht eingetroffen. Allerdings hatten sich in der Zwischenzeit einige… interessante Gäste eingefunden. Eine Truppe Yuan-Ti, die ein Schauspiel aufführten. Ich war misstrauisch - von dem was die anderen über Harkis erzählt hatten, waren Yuan-Ti zwar möglicherweise begnadete Schauspieler, aber sicher nicht am Theater interessiert. Steckte mehr dahinter? Da ich gemeinsam mit Arem eingeladen war, konnte ich die Gelegenheit genauso nutzen, ein Auge auf sie zu werfen. Ein angenehmer Abend dürfte es so oder so werden.
Mitten im Spiel hörte ich plötzlich Garrets Stimme an meinem Ohr - offenbar waren sie eingetroffen. Ich gab Arem ein Zeichen, er nickte verstehend und ich machte mich auf den Weg. Wie ich zugeben muss, etwas nervös. Ich war in letzter Zeit nicht die umgänglichste Person gewesen. Nicht ganz bei mir, wie ich mit einer Mischung aus Grinsen und Lächeln dachte. Wie die anderen mich empfangen würden, blieb ungewiss, aber die Nachrichten von Ralkarion waren zu beunruhigend, um weiter meditierend bei Arem und seinem Volk zu bleiben. In Gedanken daran rückte ich die neue Rüstung zurecht. Sie war hervorragend gearbeitet und dürfte deutlich mehr Schutz bieten als die unförmige Lederrüstung aus Cindercrest, aber die zusätzlichen Platten waren gewöhnungsbedürftig - es dürfte noch ein wenig dauern, bis ich meine gewohnte Agilität wieder ausspielen konnte. Dann richtete ich meine Gedanken wieder auf das vor mir liegende Zusammentreffen.
Das deutlich herzlicher ausfiel, als ich mir das gedacht hätte. Natürlich war Ralkarion zurückhaltend, das konnte man ihm kaum verübeln, aber Garret freute sich, mich wiederzusehen und Krathus war schon fast euphorisch. Ich muss zugeben, die naive Art des Kobolds hatte mir besonders gefehlt. Der Fleischberg war nicht mehr bei ihnen, offenbar hatte er seinen Auftrag als erledigt gesehen und war losgezogen. Typisch Söldner halt, aber wenigstens waren alle heile zurück.
Die fünfte Person im Raum hingegen umschwebte eine Aura der Arroganz. Angesichts der Herkunft wenig überraschend, handelte es sich doch um Lia Therion selbst. Ihre Blasiertheit war jedoch mit einem Schlag weggeblasen, als Al’Chara, von Garret geholt, hinter uns den Raum betrat und wir Zeuge werden durften, was es bedeutete, einen leibhaftigen Drachen als Mutter zu haben. Und das war noch nicht einmal das Ende des Vergnügens, dass mich heute erwartete - Lia schlug ein Buch auf, murmelte etwas davon, dass dort der Tesserakt zu finden sei und wir hineinmüssten. Innerlich schrillten die Alarmglocken. Hatte Ralkarion nicht im Buch von einem Kubus erzählt, in den sie gesperrt wurden? Da aber Al’Chara und Lia selbst ebenfalls ins Buch gehen wollten, war es wohl kaum vergleichbar und so ließ ich mich darauf ein.
Ich wäre vermutlich traurig gewesen, hätte ich es nicht getan. Ein Regenbogenland voller Zuckerträume und Märchengestalten erwartete uns, wohl der Traum einer jeden Prinzessin, die als Kind nicht genug umarmt wurde. Lias knallrotes Gesicht war unbezahlbar. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte ich vermutlich begonnen, laut zu lachen. Es zu unterdrücken wurde nicht einfacher, als Lia uns murmelnd vom Hai „Bitey” erzählte, den jemand kraulen müsse. Durch diese kunterbunte Wunderwelt begaben wir uns zu dem Turm in der Ferne, der Lias Zimmer darstellte und der noch immer die Aufschrift trug, dass ihre Mutter nicht hereindürfe. Dort befand sich auch der Eingang - einige winzige Tür hinter einer Kommode. Einen (natürlich pappsüßen) Trank später hatten wir die richtige Größe für die Tür und schritten hindurch, direkt in eine gewaltige, schwebende Bibliothek. Ein Alptraum für Krathus und Garret, ein Nostalgietrip für mich. Lange war es her… wir nahmen zunächst ziellos ein paar Bücher aus den Regalen, die allerdings nur eine Art Koordinaten enthielten. Es dauerte einen Moment, bis ich mich daran erinnerte, dass im Buch der Blutmagie ähnliches stand. Damit als Ausgangspunkt verlief die Recherche deutlich erfolgreicher. Versunken in die Bücher entdeckten wir Hinweis um Hinweis. Krathus schien schon nach kurzer Zeit jede Geduld verloren zu haben, selbst das Kartenspiel mit Garret konnte ihn nicht mehr aufheitern. Zum einen aus Mitleid, zum anderen, um seine permanenten Seufzer nicht hören zu müssen schickte ich ihn nach draußen. Er solle einmal sehen, wie die Zeit dort verging, was er nur zu gerne tat.
Auch Garret verschwand etwas später, während Ralkarion und ich weiter lasen. Es fühlte sich an, als würden Monate, sogar Jahre vergehen, während wir hier drin waren, doch die „Mühe” lohnte: Wir entdeckten schlussendlich Hinweise darauf, wie der Rote sich selbst zu einer Gottheit erheben wollen würde. Wenngleich die Antwort neue Fragen aufwarf. In der Hoffnung, auch darauf Antwortren zu finden suchten wir weiter, doch mussten feststellen, dass das folgende unser und ganz besonders mein Verständnis der Magie überstieg. Dennoch kehrte ich mental erfrischt und mit einem neuen Verständnis mit Ralkarion zurück in Lias Kinderzimmer.
In der offenbar praktisch keine Zeit vergangen war, was zum einen daran erkennbar war, dass ich sofort in Garret stieß, während Ralkarion mich von hinten fast umrempelte, zum anderen an der Beschwerde Al’Charas, dass wir ja kaum ein paar Sekunden drin gewesen wären. Wir machten uns auf den Rückweg, diesmal eine recht spaßige Abkürzung nehmend, indem wir den Turm schlicht heruntersprangen. Auf dem weiteren Weg teilten wir unseren Gefährten unsere Erkenntnisse mit. Während Al’Chara und Lia sich recht schnell auf den Weg nach draußen machten, gingen wir die Konsequenzen durch. Irgendwie mussten wir zumindest fürs Erste dafür sorgen, dass die Nexi sich nicht zu sehr aufluden, um das Ritual hinauszuzögern. Verschiedene Möglichkeiten gab es dafür - zwischen der permanenten Entladung der Nexi bis hin zur Evakuierung der Leute, die den Nexi aufluden, aus der Umgebung. Natürlich gab es noch eine dritte Möglichkeit, doch ich hielt es für klug, diese vorerst nicht auf den Tisch zu legen, immerhin war es auch nur die letzte Möglichkeit. Ralkarion überraschte mich wenig später allerdings mit ähnlich taktischen Überlegungen. Als gemeinsamer Nenner wurde letzten Endes festgelegt, dass wir den arkanen Nexus in Azoicström unter Kontrolle bringen müssten, eventuell auch die Akademie schließen, die ihn wieder auflud.
Daraufhin folgten wir den beiden Silberdrachen aus dem Buch heraus. Wenngleich Lia derzeit problemlos als roter Drache hätte durchgehen können. Al’Chara war der festen Überzeugung, dass Posetine eingeweiht werden müsse, doch wir waren skeptisch. Das Zusammentreffen von Cenereth hatte offenbar einen Effekt gehabt und sie begegneten der Herrscherin mit einem ähnlichen Misstrauen wie mein eigenes. Die Entscheidung wurde uns jedoch gleich darauf abgenommen, als Posetine in der Tür erschien und danach verlangte, zu wissen, was vor sich ging - und Krathus dieser Bitte nur zu gerne Folge leistete. Nun, damit würden wir umgehen müssen, Heimlichkeit war noch nie des Kobolds Stärke gewesen. Es gefiel mir trotzdem nicht, zumal Posetines Miene praktisch keinen Aufschluss darüber gab, wie sie zu dem Ganzen stand. Etwas beruhigte mich, dass Garret versicherte, sie sei ernsthaft interessiert an der Geschichte - aber nur etwas. Das sie uns befehlsgewohnt am nächsten Tag in ihren Hort bestellte, stimmte mich kaum weniger optimistisch.
Doch uns blieb kaum eine andere Wahl. So begaben wir uns am nächsten Tag zum Hort der Herrscherin, die anderen 3 unsichtbar, um die Geschichte des Verschwindens im Kubus möglichst lange aufrecht zu erhalten. Posetine erwartete uns schon und erklärte uns zu ihren Champions, was mit dem Geschenk einiger Drachenschuppen einherging. Ich behielt meine Gedanken dazu für mich, aber ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, was sie damit bezweckte - waren ihre Intentionen tatsächlich von Hilfsbereitschaft geprägt oder spielte sie ihr eigenes Spiel mit uns?