• Friday, 31. January 2025 11:45

Sitzung 83

Tueddelig
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Unterwegs verebbte die Wut zwar, doch nicht gänzlich. Offenbar schien da noch mehr an die Oberfläche zu wollen … nun, früher oder später würde ich das wohl erfahren, da machte ich mir keine Illusionen. Wir suchten uns einen Platz zum ruhen aus, doch unsere Ruhe währte nicht lang … ich hörte ein schleifendes Geräusch und ein Stöhnen. Darauf aufmerksam gemacht, schickte Gudden wieder eines seiner Ichs los. Zurück brachte er die Nachricht, dass dort ein übel zugerichteter Billy the Butcher auf uns zu kroch. Ich gebe zu, bei der Erinnerung an diesen Kerl kam mir gleich wieder die Galle hoch, doch da gab es immer noch diesen Teil meiner Heilerausbildung – er war verletzt, ich war verpflichtet zu helfen. Also machten wir uns auf den Weg zu ihm und ich begann mehr oder weniger widerwillig, ihn zu verarzten. Er war in der Tat nicht in guter Verfassung. Verschiedenste Schnitt- und Stichwunden, doch am schwersten wog die abgeschlagene Hand. Wer auch immer das getan hatte, hatte offenbar ein sadistisches Bedürfnis danach, seine Opfer leiden zu lassen. Während ich ihn verband, erzählte er, dass er, Leeroy und Carson angegriffen worden seien, eine weibliche Gestalt, die er in seiner anzüglichen Art als nicht schlecht aussehend bezeichnete, worauf ich den Verband reflexartig etwas fester anzog als nötig.

Sekunden später erfuhren dann auch wir, wer verantwortlich war, denn aus dem Wald trat eine dunkel gekleidete Gestalt, die wir als Layara identifizierten. Mein ohnehin schon gewachsenes Misstrauen wurde nicht gerade dadurch beruhigt, dass sie völlig ungerührt zugab, die anderen umgebracht zu haben und auch Billy so zugerichtet zu haben. Mehr als das erwartete sie sogar noch Dankbarkeit, den auf uns geplanten Hinterhalt verhindert zu haben. Na klasse, noch jemand, der meinte, sich einmischen zu müssen. Außerdem mochte das ja sogar sein, immerhin hatte ich selbst schon damit gerechnet, doch die schulterzuckende Art, mit der sie über die Tode der drei sprach und die … „individuell abgestimmten” Tode von ihrer Hand waren genug. Jemand, dem es nur um Schutz ging, ließ eine Kreatur nicht ewig blutend durch die Gegend kriechen und sprach dermaßen unberührt über Menschen, die man umbrachte. Noch unterdrückte ich meine Wut und Abscheu dieser Layara gegenüber noch mühsam, doch als sie auf unsere Nachfragen, was sie über Buch und Auftrag eigentlich wüsste, nur antwortete, dass es ihr nicht zustehe, Al’chara zu hinterfragen, reichte es. Und diese armselige Kreatur wagte es, mir Vorhaltungen zu machen! Das war schon fast komisch, wenn es nicht so traurig wäre. Ich merkte, dass ich begonnen hatte, leise zu lachen. Es reichte. Ich hatte keine Lust mehr, so zu tun, als würde ich sie noch irgendwie respektieren. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was ich ihr alles sagte … auf jeden Fall war dabei, dass sie doch eine gute Soldatin sei, die einfach nur blind die Befehle ihrer angebeteten Al’chara befolgte, ohne jemals zu hinterfragen, ob sie vielleicht nur ein Böses gegen ein anderes eintauschte. Möglicherweise gab ich ihr auch den sarkastischen Hinweis, sie solle mehr Leute als Elfenschlampe bezeichnen, das würde es sicher einfacher machen, Leute zu finden, die für sie die Drecksarbeit erledigen. Einem Teil von mir tat sie sogar Leid – auf eine gewisse Art war sie noch ahnungsloser als wir, was schon was heißen mochte. Aber wirklich nur ein kleiner Teil.

Sie schien ohnehin nichts davon wirklich zu berühren. Natürlich nicht, für sie zählte nur, dass wir den Auftrag ihrer geheiligten Al’chara erfüllten. Ich hatte nur wenig Lust dazu und sagte ihr das auch. Daraufhin sagte sie nur, dass sie sich mit Eidbrechern nicht näher abgeben müsste, doch statt einfach zu gehen, hielt sie es für das Beste, Billy endgültig das Licht auszupusten. Es kostete mich alle Beherrschung, die ich noch hatte, sie mit meinem gezogenen Schwert nur zu bedrohen und nicht direkt anzugreifen. Gudden versuchte noch die Situation zu retten, indem er Layara hinterher rief, wir hätten nicht gesagt, dass wir den Auftrag nicht mehr erledigen würden, aber wie sie reagierte, wusste ich nicht und es interessierte mich auch nicht mehr sonderlich.

Auf dem Weg zurück versuchte Gudden mich zu überzeugen, den Auftrag für Al’chara noch nicht endgültig abzulehnen. Sein Gerede davon, dass ich in unterschiedlichen Realitäten ohnehin schon alles getan hätte, hinterließ zwar wenig Eindruck, dennoch sagte er etwas, was Eindruck hinterließ: Wir müssten in unsere Realität zurück, das sei wichtig und dafür müsse man alles tun. Gegen meinen Willen gab ihm ein Teil meines selbst Recht – es war ja nicht unbedingt so, als hätten wir nichts moralisch fragwürdiges getan. Begonnen damit, was wir nun vorhatten die Wiederbelebung Ellis mithilfe eines gefangenen Leerenwesens und dieses furchtbaren Buchs, weil wir nicht von Itiu stehlen wollten, der wiederum aus irgendwelchen Gründen Ellis Wiederbelebung nicht gestatten wollte … mir schwirrte der Kopf und nicht zum ersten Mal wünschte ich mir Garrets oder Krathus einfaches Gemüt, selbst wenn letzteres dazu führte, dass unsere Trumpfkarte gegenüber Al’chara – zu wissen, dass der Große Rote tot war – verpufft war.

Unbehelligt erreichten wir Oclusar. Es erschien uns wenig zielführend, in der Schlange zu warten, wir würden ohnehin erkannt werden. Stattdessen begaben wir uns geradewegs auf den Weg zu Monta Kren und übergaben ihm den Teekessel. Wenngleich er sein übliches, verwirrtes Selbst war, meinte er nach kurzer Inspektion, dass es reichen dürfte und er bis morgen Nachmittag mit der Vorbereitung des Rituals fertig sein müsse.

Als uns Monta klarmachte, dass wir hier nicht bleiben sollten, gingen wir dann doch. Verständlich, er war kurz davor, seine Tochter wiederzusehen, dass er nicht wollte, dass ihn Fremde bei der Vorbereitung störten, hielt ich für nachvollziehbar. Doch ein Rest Misstrauen blieb – wir hatten uns möglicherweise für diese Art der Wiederbelebung entschieden, doch ganz geheuer war es mir deswegen nicht. Daher hatte ich keine Einwände, als Gudden vorschlug, in der Kanalisation neben seinem Geheimeingang zu campieren, um von dort Montas Aktivitäten zu überwachen. Dort angekommen (natürlich waren wir wieder eingebrochen, da die Luke beim Burnt Eyes verschlossen war …) hörten wir zwar, dass er wieder mit irgendeiner dritten Person sprach, aber sonst nichts weiter Verdächtiges, daher verbrachten wir eine verhältnismäßig erholsame Nacht. Dass Garret mithilfe von Gudden und Butter leise die Tür aufbrach, registrierte ich schon kaum noch.

Am nächsten Tag gingen wir zurück zu Monta – nicht eben unauffällig, da wir diesmal den Ausgang auf dem Marktplatz nahmen, aber wir hatten ja bereits beschlossen, dass die Zeit für Heimlichkeit ohnehin vorbei war. Bei Monta angekommen, hörten wir lautes Schnarchen, doch beschlossen, ihn ausschlafen zu lassen – das kommende Ritual würde möglicherweise kräftezehrend für ihn werden. Ich forschte derweil mit Krathus in seinen Büchern, ob ich etwas zu den Therions oder Sylvanar finden würde. Tatsächlich erfuhr ich einiges Interessantes, doch das Interessanteste schien mir doch, dass Monta sich dermaßen gut auskannte, dass er Geschichtsbücher korrigierte.

Schließlich erwachte Monta und es wurde Zeit. Wir gingen nach unten, um das Ritual zu beginnen. Dort angekommen, meldeten sich sofort wieder all die Zweifel an unserem gewählten Weg – Montas blutverschmierte Hände rührten offenbar daher, dass hier alles mit aus Blut geschriebenen Runen bestand. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück, doch Guddens Worte kamen mir wieder in den Sinn … wir mussten alles tun, um zurückzukehren. Und auch wenn das hier ganz offensichtlich keine freundlich gesinnte Art der Magie war, so würde sie doch benutzt werden, um etwas Gutes zu schaffen – die Wiederbelebung eines kleinen Mädchens.

Monta begann mit dem Ritual, doch knapp eine Viertelstunde geschah erstmal nichts. Dann gab es plötzlich eine Entladung der violetten und roten Energie, die hier schon die ganze Zeit pulsierte, danach konzentrierte sie sich auf Ellis Sarg, welche in der Folge die Augen aufschlug. Es hatte tatsächlich funktioniert!

Die Freude währte jedoch nur kurz, denn es war offensichtlich, dass irgendetwas mit Elli nicht stimmte. Sie sprach mit monotoner Stimme und schirmte Monta vor uns ab, der davon sprach, dass “er” gegangen sein sollte, aber es nicht wäre. Einem schlimmen Verdacht folgend, besah ich mir die Sache mit dem magischen Blick und tatsächlich: Ellis Hand auf Montas Rücken strahlte eine Art von nekrotischer Magie aus. Was genau sie tat, konnte ich nicht ermitteln, aber ich bezweifelte, dass es etwas gutes war. Ich befahl ihr, von Monta zurückzutreten. Selbstverständlich weigerte sie sich und als Krathus auf sie zutrat, um Monta zu schützen, griff sie uns tatsächlich an.

Der entbrennende Kampf war kurz, aber vor allem für Monta Kren unheimlich schmerzhaft, denn Elli überlebte nicht. Hatten wir zunächst versucht, sie zumindest am Leben zu halten und das Problem anders zu lösen, so teilte Gudden diese Einschätzung nicht. Nachdem Monta offenbar eine nicht unerhebliche Menge seines eigenen Lebens auf Elli übertrug, tötete Gudden Elli daraufhin, wodurch auch zu Hilfe gerufene untote Hextor Skelette zu Staub zerfielen. Doch der arme Monta, gerade erst wiedervereint mit seiner Tochter, musste mit ansehen, wie sie von einem riesigen Muskelpaket nahezu gespalten wurde.

Vorsichtig trat ich auf Monta zu und legte ihm meine Hand auf seine Schulter, der daraufhin zusammenbrach, allerdings nicht, bevor er davon sprach, jetzt frei zu sein. Bedeutete das, all das wäre doch zu etwas gut gewesen? Wir brachten ihn nach oben und legten ihn auf seine Pritsche. Ich setzte mich neben ihn, um zu warten, bis er wieder aufwachte. Ich fühlte mich einfach nur leer. Mein Ziel war es gewesen, einen Vater mit seiner Tochter zu vereinen und dadurch seinen von Trauer zerfressenen Verstand zu heilen. Stattdessen war ich nun selbst verantwortlich für den endgültigen Tod seiner Tochter, mochte es auch zu seinem Schutz geschehen sein. Mehr noch – leider hatten wir Itiu gesagt, was unser Vorhaben mit der Hand gewesen war und er war wenig begeistert gewesen – wie mochte er wohl reagieren, wenn er merkte, dass die Energie verschwunden und wir es offenbar durchgeführt hatten?

Die Antwort würde schon noch kommen. Zuerst war wichtig, dass Monta wieder aufwachte und uns mit einem ungewohnt aufgeräumten, wenn auch zerbrochenen Blick anstarrte. Er erzählte uns, wie er sich nach Ellis Tod an Itiu gewendet hatte, der ihm die Wiederbelebung verweigerte. Wie er ein Angebot eines schattenhaften Wesens bekam, das ihm die Macht versprach, seine Tochter wiederzubeleben und er in seiner Verzewiflung einen Pakt mit ihm annahm. Der endgültige Tod von Elli hatte ihn vom Einfluss des Wesens befreit, doch auch alle Hoffnung in ihm vernichtet. Trotz allem versprach er uns, uns am nächsten Tag nach Hause zu bringen. Ich hätte ihn gerne noch mehr gefragt, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass es uns noch zustand.

Auf dem Weg zurück zum Gasthaus, in dem wir auf morgen warten wollten, war ich sehr still. Wir hatten endlich mal wieder etwas Gutes geschafft, indem wir Monta vom Einfluss dieses Wesens befreit hatten, doch der Preis dafür war unheimlich hoch gewesen. Doch vielleicht ging es nicht anders? Meine naive Entschlossenheit, niemals gegen meine Ideale zu handeln, hatte nicht unbedingt zu Besserem geführt. Dann waren da noch Guddens Worte, dass es in unserer Verantwortung läge, alles zu tun, zurückzukommen. Möglicherweise würde ein Hierbleiben im Bemühen nichts schlimmer zu machen, genau dieses Schlimmere auslösen? Mein Kopf drehte und drehte sich, doch ich kam zu keinem Ergebnis. Und dann war da noch die Sache mit Itiu, der mit Sicherheit eins und eins zusammenzählen würde, wenn wir ihm die Hand zurückgaben. Nicht zu vergessen Gudden, der, wenn wir wieder zurückkamen, auf Seiten unseres Gegners war und früher oder später unweigerlich zu unserem Feind werden müsste. In meine Gedanken verloren setzte ich mich mit den anderen in das Gasthaus und bestellte einen Krug Ale, doch mehr, um nicht aufzufallen, als um tatsächlich zu trinken.

Dann sprach Gudden den Punkt an, den ich befürchtet hatte … er würde aufbrechen, um Itiu die Hand zurückbringen, wir müssten nicht mitkommen. In diesem Moment traf ich eine Entscheidung. Keine, die mir gefiel, aber eine notwendige: Ich würde Gudden alleine dorthin gehen lassen. Garret und Krathus machten keinerlei Anstalten, mitzugehen, ich musste mir also wenigstens keine Lüge einfallen lassen, warum wir hierbleiben müssten. Es war mir nicht wohl dabei, den Bugbear möglicherweise in sein Verderben gehen zu lassen, doch ich sah keine andere Möglichkeit, und er selbst hatte gesagt, dass jemand nicht zurückkommen würde und auch, dass wir alles tun müssten, wieder zurückzukommen. Es überraschte mich kaum noch, dass ich dazu bereit war, auch wenn es mir nicht gefiel. Und so kreisten meine Gedanken fortan um Gudden – einen treuen  und loyalen Gefährten, dem ich mein Leben verdankte und den ich gerade vermutlich sehenden Auges in sein Verderben hatte laufen lassen. Das Falsche tun, um das Richtige zu erreichen … ein Konzept, dass ich so gar nicht mögen wollte und das doch unbestreitbar effektiv war.

Meine Vermutungen verstärkten sich, als er nach Stunden noch immer nicht zurück war. Meine Hoffnung, dass Garret und Krathus wenigstens zum gleichen Schluss gekommen waren und ich mit meiner Schuld nicht alleine wäre, verpuffte, als Krathus zu hinterfragen begann, wo denn Gudden geblieben war und das wir nachsehen sollten. So war ich dann gezwungen, ihm all meine Gedanken dazu darzulegen, nicht eben eine angenehme Erfahrung, während der mir nun endlich die Tränen kamen. Doch während Garret mir immerhin zustimmte, wollte Krathus die Logik dahinter nicht akzeptieren – vielmehr streute er sogar noch Salz in die Wunde, als er fragte ob wir unsere Verbündeten ständig zurücklassen würden, da wir erst Ral und jetzt Gudden zurückgelassen hätten. Ich wollte wütend werden, wollte ihm erklären, dass die Situationen gänzlich unterschiedlich waren, dass es ein aus Naivität geborener Fehler gewesen war, Ral ziehen zu lassen, während das hier eine bewusste Entscheidung war, all das. Doch ich konnte es nicht. Mochte Krathus wenigstens noch ein wenig die Unschuld behalten, die ich offenbar verloren hatte.

Ich griff nun doch nach dem Bierkrug, stürzte ihn herunter und begab mich auf mein Zimmer – mehr, um allein zu sein denn als mich auszuruhen, denn irgendwie ahnte ich, dass ich der Ruhe diese Nacht wohl mal wieder vergeblich hinterherjagen würde …