Tagebuch: Ava
Sitzung 85
Krathus hatte sich bereits mit Tiago ausgetauscht, wenn auch nicht unterhalten, was den Sphärenmeister enorm irritierte. Verständlich, die wenigstens Herrscher oder zumindest hochgestellten Persönlichkeiten waren normalerweise daran gewöhnt, dass man ohne ein Zeichen der Unterwürfigkeit auf eine Reaktion wartete. Ich ging daher sofort nach der harten Landung (die Trage kippte uns schlicht aus) auf das Knie und schrie innerlich weiter. Wir waren auf auf Gedeih und Verderb davon abhängig, dass Krathus nichts Dummes tat oder sagte. denn als “Sklaven” waren wir nicht in der Lage, viel oder überhaupt zu sprechen. Ral versuchte es dennoch. Mir stockte der Atem… was tat der Kerl da? Das war vielleicht mutig, aber dumm. Und Dummheit tötete. Und dann bekam ich Angst, als Krathus enthüllte, dass sein Banner noch immer von der grünen Kugel umschwirrt wurde. Tiago begann sofort einen Zauber zu wirken, den ich in einem Moment der Klarheit als dem Zweck dienend erkannte, Nexusenergie zu identifizieren (was ich Ral, der meine Blicke gedeutet hatte, mental mitteilte) und uns daraufhin prompt fragte, ob er” einen fünften gebaut habe. Krathus wand sich ein wenig unter der Frage und niemand von uns konnte helfen…
Zu unserem Glück war Tiago, nach seiner Aussage der letzte König der Naga, aber wohl in Plauderlaune, jedenfalls gewährte er nach einem kurzen Austausch Krathus und seinen Sklaven einen Besuch beim Nexus und Ocanar, dem Allsehenden. Die innere Stimme schrie noch lauter. Hätte er nicht erstmal um ein Quartier für die Nacht bitten können? Das hätte uns die Gelegenheit verschafft, unser weiteres Vorgehen aufeinander abzustimmen, statt weiter blind durch die Gegend zu stolpern. Darunter mischte sich Wut. Ich hatte wirklich keine Lust, wegen der Unaufmerksamkeit des Kobolds hier zu sterben.
Während Krathus mit Tiago auf der Trage recht gemütlich hinüber zum Nexus schwebte (der in dem Gebäude neben dem Tunneleingang untergebracht war), wurden wir schlicht hinüber geschleudert. Ich sah noch, dass Ral versuchte, irgendetwas zu zaubern, vermutlich um unseren Aufprall zu lindern, doch es gelang ihm nicht und wir landeten recht unsanft. Insbesondere Ral wirkte ausgesprochen mitgenommen, woraufhin Krathus ihn magisch wieder aufpäppelte - und damit offenbar den Nexus wieder auflud. Nebenbei erfuhren wir, dass der Nexus gerade wohl nahezu erschöpft war aufgrund der geführten Schlachten. Interessant. Die Diener des Großen Roten würden dann wesentlich schwächer sein. In meinem Kopf begannen sich sofort Pläne zu bilden für Ablenkungsmanöver, die die Nexusenergie aufzehrten und dann mit den Hauptstreitkräften (sobald wir dann mal welche hätten) zuzuschlagen… so sehr ich die ganze Situation hier hasste, so sehr liebte ich doch diese neue Klarheit der Gedanken.
In Gedanken versunken bemerkte ich fast zu spät, dass sich vor mir im Boden ein großes Auge aufgetan hatte und mich anstarrte. Ich umging es, doch es folgte mir sowohl mit Blicken als auch physisch. Als ich es daraufhin näher untersuchte, merkte ich nur kurz eine Art Stoß im Rücken - und ich trat auf das Auge, dass melodramatisch aufschrie. Ungünstig, denn das machte einen der Beholderkin auf mich aufmerksam, der nun rasend schnell auf mich zukam. Ich wusste, wie die “Spiele” dieser Wesen aussahen und hatte wenig Lust, dieses Schicksal zu erleiden, aber mir blieb wohl kaum etwas anderes übrig - wir hatten beklagenswert wenige Optionen. Ich überlegte. Wie würde ein Sklave wohl reagieren? Ich beschloss, meine Schritte zu beschleunigen, dabei aber auf keinen Fall an Krathus vorbei zu gehen. Vielleicht würde der Beholderkin ja vom “Augenfolterer” ablassen, doch ein Blick über die Schulter machte mir deutlich, das das nicht funktionieren würde. Warum auch, ich war Sklave, ich war Freiwild und so bereitete ich mich auf das Spiel der Beholderkin vor.
Allerdings kam mir Krathus zuvor, der darum bat, dass die Strafe auf ihn umgelenkt werden möge. Verflucht, was tat der Kerl da? Ich hatte ja auch wenig Lust, zum Spielzeug zu werden, aber wir hätten noch größere Probleme, wenn unsere Tarnung aufflog. Erneut zur Untätigkeit verdammt, tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass Krathus es sich durch seine Aktionen durchaus verdient hatte.
Nach diesem Zwischenfall betraten wir den Nexus. Das Gebilde sah von innen dem Herz der Wut verblüffend ähnlich, auch wenn es deutlich heller gehalten war - logisch, bei der weißen Kugel, die in der Mitte schwebte und tatsächlich fast leer war. Davor schwebte ein halb vergammelter Beholder, Ocanar der Allsehende, wie ich richtig vermutete. Die Steinfiguren draußen in Erinnerung habend wandte ich sicherheitshalber meinen Blick von ihm ab, dann begrüßte uns eine Stimme in unserem Kopf, deren Klang allein bereits so mächtig war, dass ich erstarrte, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. Er begrüßte die Pilger und schickte nach kurzer Zeit Tiago heraus. Unglücklicherweise sah Juntos das als Einladung, Ocanar angreifen zu wollen. Ein völlig idiotischer Zug, der unsere Zeit hier enorm verkomplizieren würde, um es harmlos auszudrücken. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, diesen Beholder mit einer Nexuskugel als Auge zu töten, wären wir daraufhin mitten in Feindesland, von hunderten umringt, dessen Chef wir gerade getötet hätten. Das durfte ich auf keinen Fall zulassen. Einem plötzlichen Instinkt folgend riss ich meinen Arm nach oben, woraufhin rötliche Energiefäden auf Juntos zuschossen und ihn mitten in der Bewegung einfroren. Dem magischen Angriff von Ocanar widerstand er, doch Ocanar machte deutlich, dass es nur ein Warnschuss gewesen sei.
Ab hier wurde es interessant, denn das nun folgende Gespräch entwickelte sich völlig anders, als ich es erwartet hätte. Zunächst einmal ließ er durchblicken, dass er wusste, dass Krathus nicht wirklich ein Pilger war. Was mich zuerst erschreckte - er hatte unsere Tarnung durchschaut und wir aren ihm hilflos ausgeliefert -, wandelte sich bereits in der nächsten Sekunde in Zuversicht, als er erkennen ließ, dass er noch weitere Details aus unserem Leben kannte und den Beinamen “der Allsehende” wohl zurecht trug. Das hieß für mich zwei Dinge: entweder, unsere Taten waren bisher zu chaotisch gewesen, um eine klare Präferenz für oder gegen den großen Roten zu erkennen, was wir ausnutzen könnten. Oder aber - ich wagte es kaum zu denken - er war ebenfalls kein Freund des großen Roten und damit ein potentieller Alliierter. Der Feind deines Feindes… dann durchfuhr ein scharfer Schmerz meinen Arm - der Zauber hatte aufgehört zu wirken, aber offenbar einen Preis in Blut gefordert. Die Verletzung war aber nicht schlimm, das spürte ich, und so konzentrierte ich mich erstmal auf das vor uns liegende. Wir musste um jeden Preis unsere Karten richtig ausspielen. Glücklicherweise hatte Ral Juntos mittlerweile ebenfalls magisch unter Kontrolle gebracht - im entscheidenden Moment hatte er also das Richtig getan, wir konnten es nicht riskieren, dass dieser Wilde mit seinen unbedachten Handlungen unser Leben in Gefahr brachte.
Immerhin hieß das auch, dass wir die Farce des Sklavendaseins nicht länger aufrecht erhalten mussten und nicht mehr Krathus ausgeliefert waren, ein befreiendes Gefühl. Und meine kühnsten Erwartungen wurden wahr: Ocanar bot uns an - nun, ehrlich gesagt müsste man sagen, dass er es uns in seiner aufgeblasenen Arroganz (eine Schwäche, die man ausnutzen konnte) befahl. Selten war es jedoch so einfach, einem Befehl zu folgen, da er als Gegenleistung für Razora, die Schonung der Hextor, die hierhin unterwegs waren und durch ihre Magie den Nexus füllen würden und dem zur Verfügung stellen eines Telekinese-Lehrers für die Akademie in Zoica nur verlangte, dass wir den Großen Roten töteten. Nicht, dass ich das nicht sowieso vorgehabt hätte - solange er lebte, wäre auch unser Leben in Gefahr. Und ich hatte vor, zu überleben.
Während die Details ausgehandelt wurden, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Dieses Wesen hatte bewiesen, dass es praktisch alles, was geschah, sah. Möglicherweise konnten wir uns das zunutze machen? Ral hatte offenbar denselben Gedanken, denn er fragte nach Informationen zu seiner Familie. Im Austausch gegen einen Drachenknochen bekam er dazu tatsächlich einiges genannt, unter anderem Name und Ort seiner kürzlich entdeckten Schwester: Foamwave, auf dem Schiff eines Mad Dog Maddoc. Darüber hinaus lernte er auf schmerzhafte Weise, dass es nicht klug war, einen derart mächtigen Beholder in seiner Macht anzuzweifeln…
Ich hatte leider kaum etwas anzubieten - das Buch war für die Information, die ich haben wollte, nicht wichtig genug, schließlich wusste ich noch gar nicht, ob die Suche etwas Nutzbares zu Tage fördern würde. Doch ich hatte schon vorher den Gedanken gehabt, dass Ocanar vielleicht allsehend, aber nicht allwissend war. Möglicherweise konnte ich ihn bei seiner Neugier packen? Ich bot ihm daher den Brief meines Mentors Kaldore an. Ich hatte keine Verwendung mehr für dieses Stück Papier eines Reiseberichts, dass ich damals aus einer hoffnungslos naiven Geste aus mitgenommen hatte, aber vielleicht konnte ich dadurch an relevante Informationen kommen. Er war zwar wenig begeistert davon, dass ich ihm nicht sagen wollte, was in dem Brief stand, doch er ließ sich auf den Tausch ein. Zwar bekam ich nur wenig zurück, die genauen Worte waren “Frag doch mal die Baroness, was sie mit ihren Opfern tut.”, doch für ein wertloses Stück Papier war das ein durchaus fairer Tausch - aus meiner Sicht zumindest. Es schien also, als hätte die Baroness die Finger im Spiel. Gut. Das hieß, an meiner Theorie um Arinas Verschwinden und das damit verbundene Schweigen könnte etwas dran sein. Außerdem hatte ich jetzt zumindest einen kleinen Anhaltspunkt.
Schließlich wurden wir nach draußen eskortiert, wo wir die mittlerweile freigelassene Razora sahen, die den Berg aus Versteinerten hinaufkletterte. Von Ral darauf angesprochen, sagte sie, dass ihr gesagt wurde, dass wenn sie es schaffen würde, alle frei wären. Anders gesagt, selbst wenn Razora versteinerte, wenn sie es schaffen würde, den Berg innerhalb der Zeit zu erklimmen, hätten wir so einige starke Kämpfer zur Verfügung, die uns etwas schuldeten. Ein Leben gegen deutlich mehr. Ein kleiner Preis. Ich hoffte sehr, dass auch Ral es so sehen würde und nicht aus irgendeiner dummen, romantischen Regung heraus alles verdarb, doch auf Ral war verlass und er ließ sie weiter klettern.
Tatsächlich schaffte Razora es, den Gipfel zu erreichen. Wie vermutlich zu erwarten versteinerte sie dort, doch die Beholderkin hielten Wort und ließen die anderen Gefangenen frei. So viele Alliierte an einem Tag - es war ein erstaunlich guter Tag geworden. Schon im nächsten Moment musste ich Ral und Garret davon abhalten, den Haufen hinaufzuklettern und Razora herunterzuholen. Nicht nur, dass beide nicht kräftig genug waren, sie zu stemmen, es war auch zu gefährlich. Garret war noch immer Zoicas Herrscher, Ralkarion hatte sich mehr als einmal als unverzichtbar erwiesen. Es wäre besser, wenn einer der Ex-Gefangenen sie holte - sie waren stärker und sollten sie ebenfalls versteinern, wäre der Verlust deutlich geringer.
Letzten Endes ließ es sich noch besser lösen - Krathus lenkte die offenbar eher minderbemittelten Beholderkin ab, so dass Ralkarion die Statue von Razora mit magischen Mitteln herunterholen konnte. Gut. Ral würde mental stabil bleiben und wir hatten niemanden sinnlos geopfert. Mit dem Ring wurde Razora entsteinert, wobei aber Ral seine Kontrolle von Juntos heben musste, der davon nicht begeistert war und seine Schwester anwies, Ral eine Ohrfeige zu verpassen. Razora tat dies - dann verpasste sie zu Krathus Erstaunen Ral eine dicken Kuss auf die Stirn. Krathus verlangte zu wissen, was das bedeuten würde und nun musste ich grinsen - ich freute mich schon darauf, zu sehen, wie sich Ral und Razora vor Krathus wanden, um ihm alles zu erklären.
Fürs Erste musste ich aber darauf warten, denn der Sphärenmeister holte Krathus ab, um dessen Banner aufzuladen, offenbar eine notwendige Maßnahme, um den Tunnel unbeschadet zu durchqueren. Ral sprach mich in der Zwischenzeit auf meine noch blutende Hand an. Richtig, ich hatte es schon fast vergessen. Ich konzentrierte ich auf die Heilung - es gelang schon etwas besser als noch letzte Nacht, aber ich würde noch etwas üben müssen. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, dass ich dazu möglicherweise bald Gelegenheit bekäme, wo wir doch mit einem Haufen tumber Krieger durch die Gegend reisten, wenn Razora und Juntos repräsentativ waren.
Ral hingegen war erneut irritiert und fragte, was ich da gemacht habe. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich mich geheilt habe, aber nicht genau wisse, wie genau ich das getan hatte. Es war Ral deutlich anzusehen, dass er noch viele Fragen hatte, doch die mussten warten, denn Krathus kam zurück und signalisierte damit, dass der Zeitpunkt zum Aufbruch gekommen war. Mit einem Rest Misstrauen betrat ich gemeinsam mit den anderen die Höhle, aber tatsächlich nahmen die Würmer vor dem Banner reißaus und wir erreichten ohne Verluste das andere Ende der sehr langen Höhle.
Dort schlugen wir ein Nachtlager auf und diskutierten mit Razora und Juntos das weitere Vorgehen und die Unterbringung ihres Volkes. Glücklicherweise sahen auch sie ein, dass sie in unserer Schuld standen, was es sehr einfach machte, sie davon zu überzeugen, ihre Kampfkraft in den Dienst Zoicas zu stellen. Weniger einfach war die Frage, wo sie untergebracht werden sollten. Rachwood war im Falle eines Angriffs zu weit entfernt, doch in Zoica wollten sie nicht leben. Auch Garrets Vorschlag einer Zeltstadt wurde abgelehnt, da Bären dort nicht Winterschlaf halten könnte. Ich war leicht genervt - seit wann waren Bären solch zarte Geschöpfe. Dann kam Shrum auf das Tapet, aus meiner Sicht eigentlich die ideale Lösung - es war von Goblins überrannt, aber darüber freuten sich die Krieger eher und in der Nähe gab es ein Waldstück, in dem es bestimmt auch Bären gab. Ungünstigerweise waren diese wohl mit den Orcs in der Nähe verbündet, zu denen Zoica bereits Diplomaten geschickt hatte. So sehr ich auch Juntos anschließende Einschätzung teilte, dass man manchmal nunmal Opfer bringen musste für das große Ganze, so war ich noch nicht überzeugt, dass es in diesem Fall nötig war. Und sinnloses Opfern schwächte uns nur unnötig. Nicht akzeptabel, da wir ohnehin schon keine besonders starke Position hatten. So fiel die Wahl letzten Endes darauf, sie in Absprache mit den Bugbears in Azoicstrum unterzubringen. Zumindest interessant, möglicherweise würden sie auch die Kampfkraft der Bugbears steigern können.
Nachdem dies entschieden war, besprachen Ral, Garret, Krathus und ich die allgemeine Lage und was es brauchen würde, Zoica intakt zu halten und zu stärken. Im selben Zug diskutierten wir das nächste Ziel. Ral wollte unbedingt auf die Suche nach seiner Schwester gehen und Garret unterstützte ihn dabei. Ich machte mein Missfallen gegenüber diesem Plan deutlich - zum aktuellen Zeitpunkt wäre das eine große zeitliche Ablenkung, die möglicherweise fatale Folgen für unseren Kampf gegen den Großen Roten haben könnte. Ich wies Ral daraufhin, was die Konsequenzen dafür sein konnten - mit erstaunlich geringem Effekt, ich hätte nicht gedacht, dass er das überhaupt in Betracht ziehen würde, doch offenbar war auch er zu Opfern bereit bereit. Gut. Daraufhin erzählte ich ihm von meiner Suche nach Arina. Wie sie als hoffnungslos romantische Suche begann, doch von der ich mir nun vielmehr erhoffte, einen Hebel zu bekommen, Ravengrove auf unserer Seite in diesen Kampf reinzuziehen. Ich erzählte auch, dass ich noch nicht vorhatte, dafür große Ablenkungen in Kauf zu nehmen, da ich im Gegensatz zu ihm meine Emotionen diesbezüglich im Griff hatte. Das führte allerdings nur dazu, dass er mich auf mein verändertes Verhalten und seine Verwirrung diesbezüglich ansprach. Dann stellte er die Frage, wer jetzt vor ihm stünde. Eine gute Frage, genau wusste ich das selber noch nicht. Ich wusste nur, dass ich endlich das Kind Ava zurückgelassen hatte und erwachsen geworden war. Meine Gedanken waren seit der Rückkehr von einer fantastischen Klarheit, und ich fühlte mich freier als je zuvor. So antwortete ich ihm, dass ich vermutlich einfach klüger und erfahrener geworden war. Natürlich befriedigte ihn diese Antwort nicht, doch mehr konnte ich ihm ja nicht einmal selber sagen, er würde also damit leben müssen.
Immerhin kamen wir überein, dass wir erstmal über Ostracitoren nach Zoica gehen würden und dann die Verhandlungen mit den Bugbears führen würden, alles weitere würde die Zukunft zeigen müssen …
Sitzung 84
Teil 1 - Parallelwelt
Auf dem Weg nach oben, endlich dem aufdringlichen Wirt entkommen, hielt ich nach Krathus Ausschau - der Kobold hatte den Tisch bereits früher verlassen. Ich sah ihn nicht, doch die Antwort dafür bekam ich später. Zuerst warteten einige wie erwartet schlaflose Stunden auf mich. Krathus Kommentar beschäftigte mich noch immer, denn er hatte Recht. Was Gudden betraf, war ich immer noch der Meinung, es wäre das Beste, ihn hier zurückzulassen - wobei ich das Wort “Beste” in dem Kontext kaum verwenden mochte, denn es war eine furchtbare Option. Vermutlich war es das, was mich endgültig zu der Entscheidung brachte, Ral zu holen, sobald wir wieder zurück waren. Das es ein Fehler war, ihn gehen zu lassen, war mir schon länger klar, ich würde nicht auch noch ohne ihn nach Iris gehen, wenn niemand von uns Ahnung hatte, wie man mit einem Nexus umging. Was hatten wir uns überhaupt dabei gedacht? Den Rest der Zeit kreisten meine Gedanken dann wieder vor allem um Schuldgefühle Gudden und Monta gegenüber.
Mitten in der Nacht klopfte es plötzlich. Ich erschrak, doch im nächsten Moment wurde mir klar, dass das dumm war. Die Wachen Itius würden sicher nicht höflich anklopfen, um uns mitzunehmen und in der Tat stellte sich der nächtliche Besucher als Krathus heraus. Er teilte mir mit, er sei unterwegs gewesen und habe herausgefunden, dass Gudden tatsächlich lebend bei Itiu gefangen gehalten wurde. Wenig überraschend, aber doch gut zu wissen, dass er noch lebte. Weitaus verblüffender war, dass Krathus in Erfahrung gebracht hatte, dass sich morgen gegen Mittag eine Menschenmenge vor Itius Anwesen versammeln würde. Ich konnte mir zwar keinen Reim darauf machen, warum das geschah, aber Krathus schlug vor, das zu unserem Vorteil zu nutzen, Garret hätte schon zugestimmt. Nicht begeistert von dem Plan, weil es unser Hauptproblem von Guddens Rückkehr nicht löste, aber hin- und hergerissen zwischen dem was ich für richtig und was ich für nötig hielt und dann auch noch um Garrets volltrunkenen Zustand wissend, stimmte ich zumindest zu, das morgen früh noch zu besprechen.
Da mir die Ruhe ohnehin enteilte, ging ich beim ersten Licht des Morgens hinunter in die Schankstube, um dort auf Garret und Krathus zu warten. Die Schankstube war für die Uhrzeit ungewöhnlich beschäftigt. Neugierig, was dazu führte, lauschte ich den Gesprächen an den Nebentischen - um im nächsten Moment war dieselbe kalte Wut da, die mich schon am Steinzirkel gepackt hatte. Krathus hatte mitnichten nur „aufgeschnappt”, dass es eine Versammlung geben sollte - er hatte sie als der Abgesandte initiiert! Reichte es nicht, dass schon Garret mich belogen hatte? Jetzt auch noch er? Von ihm und seiner naiven Art, in der er leider auch das eine oder andere Geheimnis sorglos ausplapperte, hätte ich am wenigsten erwartet, mein Vertrauen derart zu missbrauchen. Als Garret wenig später nach unten kam, merkte er diesmal immerhin sofort, dass etwas nicht stimmte. Darauf angesprochen, wies ich ihn auf die Gespräche an den Tischen hin, woraufhin er es mit einem Scherz zu seiner eigenen Revolution versuchte. Vermutlich meinte er es nur gut, aber in meiner Wut wollte ich davon nun wirklich nichts hören, jedoch gab es mir eine Idee, wie man Krathus vielleicht zu Verstand bringen konnte. Als dieser wenig später herunterkam, fauchte ich ihn nur an, sich hinzusetzen, dann wendete ich mich an Garret und sagte ihm, er solle Krathus einmal von den Folgen seiner eigenen Revolution berichten. Krathus hatte die ganze Zeit schon eher an Garret gehangen, es wäre sicher effektiver, wenn es von ihm kam.
Dass das eine dumme Idee war, hätte mir vorher klar sein müssen, denn natürlich fing Garret erstmal davon an, dass es ja gut sei, dass der alte Herrscher weg sei. All der Mist, der danach passiert war, allen voran die Hextor, die allein durch ihre Anwesenheit Zoica in Gefahr brachten, kam ihm gar nicht in den Sinn. Ich musste ihn also auf alles hinweisen. Nicht unbedingt ein Vergnügen, erinnerte es doch auch mich noch einmal daran, was dort alles los war - armer Arem, während der eigentliche Herrscher Zoicas sich in der Welt herumtrieb, hatte er dort kein leichtes Los. Fast schon erwartungsgemäß war der Effekt gering, Krathus verteidigte sein Vorgehen weiterhin und hielt es für die beste Chance, Gudden herauszuholen. Hatte er mir denn so gar nicht zugehört? Als auch Garret milde Begeisterung für den Plan ausdrückte, knallte ich meinen Kopf nun doch auf den Tisch. Was musste ich noch tun, um hier ernst genommen zu werden?
Nun gut, es brachte ganz offensichtlich nichts, den beiden die Beschissenheit unserer Lage klarzumachen, also galt es, das Ganze so unblutig wie möglich über die Bühne zu bringen. Was wir danach mit dem Bugbear tun würden, müssten wir dann sehen, Krathus hatte uns keine Wahl gelassen und sein vorschnelles Handeln noch dazu nur wenige Optionen. Doch einfach im Aufruhr unbemerkt verschwinden? Was würde Itiu der Menge wohl erzählen, wenn ihr geliebter, aber von ihm gehasster Abgesandter nicht auftauchte, hmm? Geheimgang? Keine Option, da auch dies mit einem Nichtauftauchen des Abgesandten einherging. Krathus versteigerte sich gar zu der Aussage, Gudden können ja eventuell bemerken, was draußen los sei und dann vielleicht irgendwie sein Echo… oh man. So recht zu einem Ergebnis kamen wir nicht, doch ich wurde des Diskutierens mit zwei Steinblöcken langsam überdrüssig und so schlug ich vor, erstmal nach Monta Kren zu sehen. Wir erreichten die Hütte unbehelligt und obwohl es noch früh war, öffnete er uns. Sein Anblick ließ mich zeitweise alles vergessen, was vorgefallen war und ich empfand nur noch Mitleid. Ein gebrochener Mann, keine Frage. Ich wollte ihm erneut mein Mitleid aussprechen, ihn trösten, doch Garret kam mir zuvor und fragte erstmal, wann er denn fertig sei. Verständlicherweise etwas angefressen eröffnete er uns, dass die Vorbereitungen bis zum Nachmittag abgeschlossen sein müssten, es jedoch die Komplikation gab, dass er uns am selben Ort zurückbringen müsste, an dem wir hergekommen waren, der Höhle der Spinnen. Endlich zu Wort kommend, legte ich ihm die Hand auf die Schulter und fragte ihn, ob er seine Tochter beerdigen wolle. Kurz überlegte er, dann nickte er, es sei Zeit, loszulassen. Er erzählte von einem kleinen Hain ein paar Stunden außerhalb von Oclusar, der glücklicherweise sogar einigermaßen auf dem Weg lag. Unseren Zeitplan vergessend, sagte ich ihm zu, dass wir da sein würden, dieses Mal mit Reittieren.
Daraufhin gingen wir wieder und es wurde Zeit, die „Planung”, wenn man es denn so nennen durfte, fortzusetzen. Nach langem Hin und Her beschlossen wir, dass Krathus seinen Auftritt als Abgesandter hinlegen sollte und wir uns die Ablenkung nutzend in der Zwischenzeit davonstehlen würden, um Gudden zu befreien. Wie gut mir das in meinem ausgelaugten Zustand gelingen würde, würden wir wohl dann feststellen… Jedenfalls verbrachten wir den Rest der Zeit damit, Krathus dabei zuzusehen, wie er murmelnd seinen Auftritt plante und für uns selbst Verkleidungen zu organisieren, damit wir nicht sofort erkannt würden, dann war es Zeit.
Mit einem mulmigen Gefühl ging ich mit den beiden und wie es schien nahezu allen Bewohnern Oclusars den Berg hinauf zu Itius Anwesen. Es hatte sich bereits eine erkleckliche Masse dort versammelt, allerdings hatte Itiu auch deutlich mehr Wachen als sonst abgestellt. Krathus hatte sich fürs Erste verkleidet, damit wir die Lage sondieren konnten, doch als Itiu selbst vor das Tor trat, im Hintergrund bewacht von Shruc, war Krathus Auftritt gekommen. Itiu begann zu sprechen, doch er kam nicht allzuweit - als sich Krathus in seiner Rolle als der Abgesandte zu erkennen gab, hingen die Leute an seinen Lippen, einer nahm ihn gar auf seine Schultern und sah dabei aus, als wäre ihm dadurch eine unheimliche Ehre zuteil gekommen, nicht etwa so, als ob einfach nur ein kleiner Kobold auf seinen Schultern säße. Ich musste zugeben, die Lichtshow, die Krathus abbrannte war ziemlich beeindruckend - besonders das Banner leistete ihm gute Dienste, indem er mit ihm den Vorhof begrünte. Kurz fürchtete ich, dass die Ablenkung für Garret und mich nicht funktionieren würde, denn Olerian raste plötzlich aus irgendeinem Grund wie wild davon und in die Burg hinein, doch ich konnte mich jetzt nicht darum kümmern, wir hatten eine andere Aufgabe. Während Krathus von Frieden und Leben sprach und Itiu ganz offensichtlich vor Wut schäumte, aber völlig machtlos war, die Situation zu ändern, begannen Garret und ich, uns an den Rand der Versammlung zu begeben.
Dort erwartete uns dann die nächste Überraschung - Gudden schien es irgendwie geschafft zu haben, sich selbst zu befreien und stand neben uns. Er befahl uns, sich bereit zumachen und ging dann mit uns im Schlepptau geradewegs zu Krathus. Die Leute machten dem „Leibwächter des Abgesandten” bereitwillig Platz und auf Itius Gesicht war nun auch Fassungslosigkeit zu lesen, dass Gudden frei war.
Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Gudden nahm Krathus auf die Schulter, dann offenbarte er eine Nexuskugel unter seinem Umhang und wünschte sich ein Portal zurück in unsere Welt. Krathus war praktisch sofort in dem Portal verschwunden, reflexartig seiner Anweisung folgend nutzten ich und Garret Gudden als Sprungbrett, um ebenfalls durchs Portal zu springen. Erst mitten im Sprung schoß mir plötzlich durch den Kopf, was wir dieser Welt und zumindest einigen Bewohnern gerade alles antaten, doch da war es bereits zu spät. Dunkelheit umfing mich, dann plötzlich ein rasender Schmerz. Dann verlor ich das Bewusstsein…
Teil 2 - Zurück in Logothil
Ich wachte auf. Gras unter meinem Körper. Nicht überall. Eine Decke unter meinem Kopf. Garret? Krathus? Es war nicht kalt. Sie hatten sie wohl selber nicht gebraucht. Gute alte Sentimentalität. Wie lange ich wohl bewusstlos gewesen war? Moment. Stimmen. Drei. Nein. Vier. Garret und Krathus, klar. Ral! Gut. Das ersparte uns einen Umweg. War ich überrascht? Nicht wirklich, er hatte bereits bewiesen, dass er auf sich aufpassen konnte. Die fünfte Stimme war unbekannt. Männlich. Leicht aggressiver Unterton.
Das alles schoss mir im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf. Trotz meiner körperlichen Erschöpfung war mein Kopf so klar wie schon lange nicht mehr und ich genoss das Gefühl. Mit derselben Klarheit beschloss ich, noch einen Moment liegen zu bleiben und schlafend zu stellen. Ich wollte erstmal ein Gefühl für diesen “Juntos” bekommen, während er sich von mir unbeobachtet fühlte. So bemerkte ich, dass der aggressive Unterton wohl eher angeboren oder antrainiert war. Erinnerte mich an Razora.
Meine Gefährten waren wohl gerade in den letzten Zügen unseres Berichts über unseren Ausflug in die Parallelwelt, jedenfalls tadelte Ral gerade Garret und Krathus für ihr unüberlegtes Handeln. Ich beschloss, dass ich genug gespielt hatte, von Juntos schien keine Gefahr auszugehen und so öffnete ich die Augen und erwähnte, dass Nachdenken nicht unbedingt die Stärke dieser Gruppe sei.
Sie schienen erfreut, mich wieder auf den Beinen zu sehen, auch wenn Ralkarion sich offenbar einen etwas herzlicheren Empfang gewünscht hätte. Nun, man konnte nicht jeden glücklich machen. Er würde akzeptieren müssen, dass ich froh war, dass er zurück war, ohne dass ich ihm um den Hals fiel und wir hatten größere Probleme als uns über eine Wiedervereinigung zu freuen. Iris lag direkt vor uns und mit Ral zurück hatten wir unseren „Experten” für die Nexi zurück. Er erwähnte nebenbei, dass er auch Taya und Snurba getroffen hatte. Problem oder Chance? Ich verstaute diesen Gedanken für später. Fürs Erste ging es darum, nach Iris zu gelangen. Auch Juntos, tatsächlich der Bruder von Razora und irgendwie dadurch Krathus Onkel, hatte genau wie Ral ein gesteigertes Interesse daran, dorthin zu gelangen, denn Razora lebte noch und war zusammen mit vielen anderen des Dorfes dorthin verschleppt worden. Ich lächelte in mich hinein. Die Legionen aus Iris mochten Juntos’ Volk und Rachwood problemlos besiegt haben mochten, doch indem sie sie gefangen nahmen und in ihrer Stadt einsperrten, hatten sie uns unbewusst eine große Menge an Alliierten in ihrer eigenen Stadt verschafft. Sofern sie diesbezüglich keinen absolut sicheren Plan hatten und sollte es uns gelingen, sie zu befreien, stiegen unsere Chancen, für unser Vorhaben und auch für Zoica viele Unterstützer zu gewinnen. Und die würden wir brauchen.
Doch wir hatten nichtsdestotrotz noch immer viel zu wenige Informationen, was uns im und jenseits des Tunnels erwartete. Juntos fragte, was das Problem genau sei und einem plötzlichen Instinkt folgend öffnete ich meine Handfläche in einer etwas umständlichen Drehung - und über meiner Hand erschien plötzlich ein magisch erzeugtes, nahezu perfektes Abbild eines Wurms. Ich war ähnlich überrascht wie die anderen, freute mich jedoch über diese durchaus nützliche Fähigkeit. Es gab einige mehr oder weniger taugliche Ideen, ich schlug vor, einen der Würmer ans Tageslicht zu ziehen und dort zu erledigen, wo wir vermutlich im Vorteil wären. Ich hatte die Hoffnung, dass eine anschließende Untersuchung des Wurms möglicherweise Aufschluss über Zahl, Fähigkeiten und vor allem Schwachpunkte der Biester bringen und die Durchquerung erleichtern würde. Diese Idee wurde jedoch mit dem durchaus berechtigten Einwand überstimmt, dass ein Kampf so nahe an Iris ungewollte Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnte, Krathus hatte die Stadt in fünf Kilometern Entfernung ausgemacht, genauer gesagt den Nexus.
Schließlich schlug Ral vor, uns nach und nach als Gaswolke durch den Tunnel zu schicken. Diese Idee hatte Potential - wenn die Würmer sich nach Erschütterungen richteten, würden sie uns dadurch nicht bemerken. Ich wand jedoch ein, dass damit das Problem nicht gelöst sei, dass wir nicht wussten, was am anderen Ende auf uns wartete. Dennoch, wenn man eine Verbindung herstellen nach drüben könnte… ich dachte nach. Garret zuerst hinüberschicken? Nein, trotz allem war er noch der Herrscher von Zoica, die Stadt brauchte nicht noch mehr Instabilität. Ral? Wer sollte uns dann herüberbringen, nein. Krathus? Er war unser Link zu dem großen Roten, das mochte noch nützlich werden, er schied auch aus. Juntos? Möglich, aber er sah nach einem kräftigen Kämpfer aus, den wir noch brauchen würden, statt ihn sinnlos zu opfern. Mich selbst? Ebenfalls möglich, aber ich musste gestehen, dass auch ich wenig Lust hatte, sinnlos zu sterben. Jammerschade, dass Snurba nicht mehr hier war, er wäre der ideale Kandidat zum Ausspähen gewesen. Den letzten Gedanken sprach ich laut aus. Wie zu erwarten missfiel er Ral und Garret, aber wir hatten lange genug gangbare Möglichkeiten ausgeschlossen. Nun, es war vermutlich ohnehin nicht realistisch, umzukehren und den Kobold und Taya einzuholen.
Mittlerweile war es spät geworden und wir waren noch nicht viel weiter gekommen - wir hatten schlicht zu wenige Informationen. Da mein Körper sich mehr und mehr über die Strapazen der letzten Nacht und den heutigen Tag, schlug ich vor, sich auszuruhen. Es war mir nicht wohl dabei, in diesem Zustand mitten im Feindesland zu sein. Die anderen stimmten zu, doch da sie offenbar noch Gesprächsbedarf hatten, setzte ich mich etwas abseits, um meine Meditation zu beginnen.
Leider kam ich nicht weit, denn Garret unterbrach mich nach kurzer Zeit. Meine Frage, ob er sich unbedingt jetzt unterhalten müsse oder ob das warten könne, bis ich mich erholt hatte ignorierend, fragte er mich, ob alles in Ordnung war. Mir war klar, dass diese Frage nur ein Vorwand für ein beginnendes Gespräch war, doch ich war bereit, ihm entgegenzukommen und so antwortete ich wahrheitsgemäß, dass es mir hervorragend ginge, abgesehen von der Erschöpfung. Damit kam Garret dann auch zum Punkt: Er begann einmal mehr mit der Moral, dass man sie nicht verraten dürfe, nicht werden dürfe, was man jagt. Amüsierend von einem wie ihm, doch ich konnte ihm kaum böse sein, schließlich hatte ich bis vor kurzem noch selbst so gedacht. Und so bemühte ich mich zu erklären, dass es egoistisch wäre, die eigene Moral über das große Ganze zu stellen. Das ich meine Moralvorstellungen jederzeit hinten anstellen würde, wenn es bedeuten würde, dass ich dadurch echte Veränderung bewirken könnte. Ich gebe zu, ein Teil von mir wunderte sich selbst über die Worte, die ich sprach. Ich schien erwachsen geworden zu sein. Garret hingegen schienen die Worte eher noch mehr zu verunsichern und er begann sich sogar, für seine Rolle in meiner Gefühlswelt der vergangenen Tage zu entschuldigen. Noch vor ein paar Tagen hätte ich mich darüber sehr gefreut, doch jetzt unterbrach ich ihn. Er sollte sich nicht für etwas entschuldigen, was er offenbar aus Selbstschutz getan hatte. Lieber sollte er darüber nachdenken, warum er diesen Selbstschutz einer fremden gegenüber so bereitwillig aufgegeben hätte. Um ihn wenigstens ein bisschen zu stabilisieren, sagte ich ihm, dass ich ihm deswegen nicht länger böse war, vielmehr war ich dankbar für die Erfahrung, ich hatte offenbar viel aus ihr lernen können. Dann gab ich ihm unmissverständlich zu verstehen, dass ich jetzt Ruhe benötigte und er ging. Auf mich wirkte er noch immer leicht geknickt. Nun, er würde schon klar kommen, er hatte ein ziemlich dickes Fell diesbezüglich.
Am Ende meiner Wache, gegen Beginn des neuen Morgens, hörte ich plötzlich weitere Stimmen. In meiner Erinnerung kramend bestätigte sich der Verdacht, dass es möglicherweise Beholderkin wären, als sie von Barry sprachen. Ich begann, die anderen zu wecken, als sie uns bemerkten. Ral benötigte etwas mehr „Zuspruch” als die anderen, zu sehr lenkte ihn mein kleines Makeover aus der Nacht ab, doch auch er bemerkte schließlich die Beholderkin über uns. Ich fragte, was wir nun tun sollten und ließ vorsichtshalber meinen Bogen aus dem Nichts erscheinen, sollte es zu einem Kampf kommen - was ich nicht hoffte, damit könnten wir die Operation Iris vermutlich sofort abblasen. Die Beholderkin schienen jedoch kein gesteigertes Interesse an uns zu haben und machten Anstalten, weiterzuziehen - bis Ral etwas davon erzählte, dass wir Pilger seien. Dies schien Eindruck zu machen, wenn auch nicht unbedingt den besten - die Beholderkin wirkten etwas genervt und flogen zurück über den Berg, doch ihre Worte ließen erwarten, dass sie möglicherweise mit einem Transportmittel zurück kämen. Eile war also geboten statt einem wohldurchdachten Plan - wie originell. Natürlich war mir gar nicht wohl dabei, doch wir hatten keine andere Wahl. Zuerst musste ich die anderen einmal mehr von unbedeutenden Dingen wie meinem veränderten Äußeren und meinem nun verschwindenden und wiedererscheinenden Bogen abbringen. Dann beschlossen wir, dass Krathus erneut das Sprachrohr der Gruppe sein sollte, wir hingegen seine Wachen, ein Plan, der Juntos zwar nicht schmeckte, den er aber akzeptierte, nachdem wir ihm eingeschärft hatten, dass er drüben auf keinen Fall einfach drauflos schlagen durfte. Ich warf noch ein, dass wir Ral zu Krathus Herold machen sollten, damit er sprechen durfte - nicht, dass ich Krathus böse Absichten unterstellte, der Kleine war zu naiv dafür, doch er tendierte dazu, unüberlegte Dinge zu sagen. Darüber hinaus schärfte ich ihm noch ein, in seiner Rolle auf Rals Ratschläge statt auf Garrets zu hören - aus demselben Grund. Wir hatten keine Zeit, Garrets Gefühle zu schonen, er würde damit klarkommen müssen.
Doch wie kaum anders zu erwarten, hielt der Plan etwa 15 Minuten lang. Zu diesem Zeitpunkt nämlich erschien ein ausgewachsener Beholder mit einer Art Trage, die er vor uns fallen ließ und Krathus bedeutete, aufzusteigen. Direkt darauf begann er, Krathus ohne uns in die Lüfte zu befördern, in letzter Sekunde dachte Krathus daran, auch für uns Transport zu bestellen. Doch auf die Frage nach dem warum und ob wir Sklaven seien, antwortete er mit ja. Innerlich schrie ich auf. Das war es dann mit dem Plan. Niemand außer Krathus würde reden dürfen und man würde uns sicherlich nicht gestatten, mit Waffen herumzulaufen, möglicherweise würde die Geschichte sogar an unserer Bewaffnung scheitern. Bewaffnete Sklaven, wer hätte schon davon gehört? Wir würden innerhalb der Improvisation improvisieren müssen…
Während wir warteten, verstaute ich daher meine Kurzschwerter in meinem Rucksack. Vielleicht gelang es mir so, wenigstens den Anschein zu wahren. Wenig später erschien der Beholder erneut mit der Trage, aber ohne Krathus. Aus der Nähe betrachtet sahen wir, dass sie in der Mitte ein Auge hatte, dass sich aber offenbar schmerzfrei schloss, wenn man darauf trat. Eine Sicherheitseinrichtung? Hofften wir mal, dass es keine Absichten erkennen konnte. Auf dem Flug nach Oclusar wurde ich noch darüber aufgeklärt, dass die Idee mit dem Pilger daher kam, dass Krathus erklärte, dass die Paladine aus seinem Corps eine Pilgerreise zu den Nexi machen mussten und daher Gegenstände besaßen, die Nexusmagie erkennen konnten, allerdings funktionierten sie nur für Kobolde. Sofort dachte ich an den Nexus in Azoicstrum, der unseres Wissens nach bisher noch unerkannt war. Doch wenn Angstrum dessen Magie weiter so entfesselte und eine Legion von Kobolden nach ihm Ausschau hielten, konnte es nicht lange dauern, bis er entdeckt wurde. Das war nicht gut und definitiv ein Problem, um das sich gekümmert werden müsste. Wenn wir die vor uns liegende Aufgabe heile überstünden, war ein ernstes Gespräch mit Krathus fällig, er durfte uns nicht noch mehr dieser Informationen verheimlichen. Doch auch das musste erstmal verstaut werden für später.
Kurz darauf ließen wir das Gebirge hinter uns, der Tunnel wäre in der Tat ausgesprochen lang gewesen. Vor dem Tunnel sahen wir nicht nur eine große, steinerne Kuppel in Form eines Auges, sondern auch einen Haufen offenbar versteinerter Humanoide. Hier schien es also Verteidigungsmechanismen zu geben, die das auslösten - wir mussten dringend klüger sein als die Steinsäulen dort unten. Zu meinem Erschrecken jedoch landeten wir nicht dort, sondern flogen über den See direkt hinein in das auf eine Klippe gebaute Iris. Fantastisch. Eine Landung mitten im Feindgebiet ohne konkreten Plan. Ich sah unsere Chancen, die nach der Rückkehr von Ral und Juntos und seinem gefangenen Volk hier schon gewachsen waren, deutlich schrumpfen, zumal auf der Landeplattform nicht nur Krathus auf uns wartete, sondern auch eine Art Schlangenvieh mit drei Augen…
Sitzung 83
Unterwegs verebbte die Wut zwar, doch nicht gänzlich. Offenbar schien da noch mehr an die Oberfläche zu wollen … nun, früher oder später würde ich das wohl erfahren, da machte ich mir keine Illusionen. Wir suchten uns einen Platz zum ruhen aus, doch unsere Ruhe währte nicht lang … ich hörte ein schleifendes Geräusch und ein Stöhnen. Darauf aufmerksam gemacht, schickte Gudden wieder eines seiner Ichs los. Zurück brachte er die Nachricht, dass dort ein übel zugerichteter Billy the Butcher auf uns zu kroch. Ich gebe zu, bei der Erinnerung an diesen Kerl kam mir gleich wieder die Galle hoch, doch da gab es immer noch diesen Teil meiner Heilerausbildung – er war verletzt, ich war verpflichtet zu helfen. Also machten wir uns auf den Weg zu ihm und ich begann mehr oder weniger widerwillig, ihn zu verarzten. Er war in der Tat nicht in guter Verfassung. Verschiedenste Schnitt- und Stichwunden, doch am schwersten wog die abgeschlagene Hand. Wer auch immer das getan hatte, hatte offenbar ein sadistisches Bedürfnis danach, seine Opfer leiden zu lassen. Während ich ihn verband, erzählte er, dass er, Leeroy und Carson angegriffen worden seien, eine weibliche Gestalt, die er in seiner anzüglichen Art als nicht schlecht aussehend bezeichnete, worauf ich den Verband reflexartig etwas fester anzog als nötig.
Sekunden später erfuhren dann auch wir, wer verantwortlich war, denn aus dem Wald trat eine dunkel gekleidete Gestalt, die wir als Layara identifizierten. Mein ohnehin schon gewachsenes Misstrauen wurde nicht gerade dadurch beruhigt, dass sie völlig ungerührt zugab, die anderen umgebracht zu haben und auch Billy so zugerichtet zu haben. Mehr als das erwartete sie sogar noch Dankbarkeit, den auf uns geplanten Hinterhalt verhindert zu haben. Na klasse, noch jemand, der meinte, sich einmischen zu müssen. Außerdem mochte das ja sogar sein, immerhin hatte ich selbst schon damit gerechnet, doch die schulterzuckende Art, mit der sie über die Tode der drei sprach und die … „individuell abgestimmten” Tode von ihrer Hand waren genug. Jemand, dem es nur um Schutz ging, ließ eine Kreatur nicht ewig blutend durch die Gegend kriechen und sprach dermaßen unberührt über Menschen, die man umbrachte. Noch unterdrückte ich meine Wut und Abscheu dieser Layara gegenüber noch mühsam, doch als sie auf unsere Nachfragen, was sie über Buch und Auftrag eigentlich wüsste, nur antwortete, dass es ihr nicht zustehe, Al’chara zu hinterfragen, reichte es. Und diese armselige Kreatur wagte es, mir Vorhaltungen zu machen! Das war schon fast komisch, wenn es nicht so traurig wäre. Ich merkte, dass ich begonnen hatte, leise zu lachen. Es reichte. Ich hatte keine Lust mehr, so zu tun, als würde ich sie noch irgendwie respektieren. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was ich ihr alles sagte … auf jeden Fall war dabei, dass sie doch eine gute Soldatin sei, die einfach nur blind die Befehle ihrer angebeteten Al’chara befolgte, ohne jemals zu hinterfragen, ob sie vielleicht nur ein Böses gegen ein anderes eintauschte. Möglicherweise gab ich ihr auch den sarkastischen Hinweis, sie solle mehr Leute als Elfenschlampe bezeichnen, das würde es sicher einfacher machen, Leute zu finden, die für sie die Drecksarbeit erledigen. Einem Teil von mir tat sie sogar Leid – auf eine gewisse Art war sie noch ahnungsloser als wir, was schon was heißen mochte. Aber wirklich nur ein kleiner Teil.
Sie schien ohnehin nichts davon wirklich zu berühren. Natürlich nicht, für sie zählte nur, dass wir den Auftrag ihrer geheiligten Al’chara erfüllten. Ich hatte nur wenig Lust dazu und sagte ihr das auch. Daraufhin sagte sie nur, dass sie sich mit Eidbrechern nicht näher abgeben müsste, doch statt einfach zu gehen, hielt sie es für das Beste, Billy endgültig das Licht auszupusten. Es kostete mich alle Beherrschung, die ich noch hatte, sie mit meinem gezogenen Schwert nur zu bedrohen und nicht direkt anzugreifen. Gudden versuchte noch die Situation zu retten, indem er Layara hinterher rief, wir hätten nicht gesagt, dass wir den Auftrag nicht mehr erledigen würden, aber wie sie reagierte, wusste ich nicht und es interessierte mich auch nicht mehr sonderlich.
Auf dem Weg zurück versuchte Gudden mich zu überzeugen, den Auftrag für Al’chara noch nicht endgültig abzulehnen. Sein Gerede davon, dass ich in unterschiedlichen Realitäten ohnehin schon alles getan hätte, hinterließ zwar wenig Eindruck, dennoch sagte er etwas, was Eindruck hinterließ: Wir müssten in unsere Realität zurück, das sei wichtig und dafür müsse man alles tun. Gegen meinen Willen gab ihm ein Teil meines selbst Recht – es war ja nicht unbedingt so, als hätten wir nichts moralisch fragwürdiges getan. Begonnen damit, was wir nun vorhatten die Wiederbelebung Ellis mithilfe eines gefangenen Leerenwesens und dieses furchtbaren Buchs, weil wir nicht von Itiu stehlen wollten, der wiederum aus irgendwelchen Gründen Ellis Wiederbelebung nicht gestatten wollte … mir schwirrte der Kopf und nicht zum ersten Mal wünschte ich mir Garrets oder Krathus einfaches Gemüt, selbst wenn letzteres dazu führte, dass unsere Trumpfkarte gegenüber Al’chara – zu wissen, dass der Große Rote tot war – verpufft war.
Unbehelligt erreichten wir Oclusar. Es erschien uns wenig zielführend, in der Schlange zu warten, wir würden ohnehin erkannt werden. Stattdessen begaben wir uns geradewegs auf den Weg zu Monta Kren und übergaben ihm den Teekessel. Wenngleich er sein übliches, verwirrtes Selbst war, meinte er nach kurzer Inspektion, dass es reichen dürfte und er bis morgen Nachmittag mit der Vorbereitung des Rituals fertig sein müsse.
Als uns Monta klarmachte, dass wir hier nicht bleiben sollten, gingen wir dann doch. Verständlich, er war kurz davor, seine Tochter wiederzusehen, dass er nicht wollte, dass ihn Fremde bei der Vorbereitung störten, hielt ich für nachvollziehbar. Doch ein Rest Misstrauen blieb – wir hatten uns möglicherweise für diese Art der Wiederbelebung entschieden, doch ganz geheuer war es mir deswegen nicht. Daher hatte ich keine Einwände, als Gudden vorschlug, in der Kanalisation neben seinem Geheimeingang zu campieren, um von dort Montas Aktivitäten zu überwachen. Dort angekommen (natürlich waren wir wieder eingebrochen, da die Luke beim Burnt Eyes verschlossen war …) hörten wir zwar, dass er wieder mit irgendeiner dritten Person sprach, aber sonst nichts weiter Verdächtiges, daher verbrachten wir eine verhältnismäßig erholsame Nacht. Dass Garret mithilfe von Gudden und Butter leise die Tür aufbrach, registrierte ich schon kaum noch.
Am nächsten Tag gingen wir zurück zu Monta – nicht eben unauffällig, da wir diesmal den Ausgang auf dem Marktplatz nahmen, aber wir hatten ja bereits beschlossen, dass die Zeit für Heimlichkeit ohnehin vorbei war. Bei Monta angekommen, hörten wir lautes Schnarchen, doch beschlossen, ihn ausschlafen zu lassen – das kommende Ritual würde möglicherweise kräftezehrend für ihn werden. Ich forschte derweil mit Krathus in seinen Büchern, ob ich etwas zu den Therions oder Sylvanar finden würde. Tatsächlich erfuhr ich einiges Interessantes, doch das Interessanteste schien mir doch, dass Monta sich dermaßen gut auskannte, dass er Geschichtsbücher korrigierte.
Schließlich erwachte Monta und es wurde Zeit. Wir gingen nach unten, um das Ritual zu beginnen. Dort angekommen, meldeten sich sofort wieder all die Zweifel an unserem gewählten Weg – Montas blutverschmierte Hände rührten offenbar daher, dass hier alles mit aus Blut geschriebenen Runen bestand. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück, doch Guddens Worte kamen mir wieder in den Sinn … wir mussten alles tun, um zurückzukehren. Und auch wenn das hier ganz offensichtlich keine freundlich gesinnte Art der Magie war, so würde sie doch benutzt werden, um etwas Gutes zu schaffen – die Wiederbelebung eines kleinen Mädchens.
Monta begann mit dem Ritual, doch knapp eine Viertelstunde geschah erstmal nichts. Dann gab es plötzlich eine Entladung der violetten und roten Energie, die hier schon die ganze Zeit pulsierte, danach konzentrierte sie sich auf Ellis Sarg, welche in der Folge die Augen aufschlug. Es hatte tatsächlich funktioniert!
Die Freude währte jedoch nur kurz, denn es war offensichtlich, dass irgendetwas mit Elli nicht stimmte. Sie sprach mit monotoner Stimme und schirmte Monta vor uns ab, der davon sprach, dass “er” gegangen sein sollte, aber es nicht wäre. Einem schlimmen Verdacht folgend, besah ich mir die Sache mit dem magischen Blick und tatsächlich: Ellis Hand auf Montas Rücken strahlte eine Art von nekrotischer Magie aus. Was genau sie tat, konnte ich nicht ermitteln, aber ich bezweifelte, dass es etwas gutes war. Ich befahl ihr, von Monta zurückzutreten. Selbstverständlich weigerte sie sich und als Krathus auf sie zutrat, um Monta zu schützen, griff sie uns tatsächlich an.
Der entbrennende Kampf war kurz, aber vor allem für Monta Kren unheimlich schmerzhaft, denn Elli überlebte nicht. Hatten wir zunächst versucht, sie zumindest am Leben zu halten und das Problem anders zu lösen, so teilte Gudden diese Einschätzung nicht. Nachdem Monta offenbar eine nicht unerhebliche Menge seines eigenen Lebens auf Elli übertrug, tötete Gudden Elli daraufhin, wodurch auch zu Hilfe gerufene untote Hextor Skelette zu Staub zerfielen. Doch der arme Monta, gerade erst wiedervereint mit seiner Tochter, musste mit ansehen, wie sie von einem riesigen Muskelpaket nahezu gespalten wurde.
Vorsichtig trat ich auf Monta zu und legte ihm meine Hand auf seine Schulter, der daraufhin zusammenbrach, allerdings nicht, bevor er davon sprach, jetzt frei zu sein. Bedeutete das, all das wäre doch zu etwas gut gewesen? Wir brachten ihn nach oben und legten ihn auf seine Pritsche. Ich setzte mich neben ihn, um zu warten, bis er wieder aufwachte. Ich fühlte mich einfach nur leer. Mein Ziel war es gewesen, einen Vater mit seiner Tochter zu vereinen und dadurch seinen von Trauer zerfressenen Verstand zu heilen. Stattdessen war ich nun selbst verantwortlich für den endgültigen Tod seiner Tochter, mochte es auch zu seinem Schutz geschehen sein. Mehr noch – leider hatten wir Itiu gesagt, was unser Vorhaben mit der Hand gewesen war und er war wenig begeistert gewesen – wie mochte er wohl reagieren, wenn er merkte, dass die Energie verschwunden und wir es offenbar durchgeführt hatten?
Die Antwort würde schon noch kommen. Zuerst war wichtig, dass Monta wieder aufwachte und uns mit einem ungewohnt aufgeräumten, wenn auch zerbrochenen Blick anstarrte. Er erzählte uns, wie er sich nach Ellis Tod an Itiu gewendet hatte, der ihm die Wiederbelebung verweigerte. Wie er ein Angebot eines schattenhaften Wesens bekam, das ihm die Macht versprach, seine Tochter wiederzubeleben und er in seiner Verzewiflung einen Pakt mit ihm annahm. Der endgültige Tod von Elli hatte ihn vom Einfluss des Wesens befreit, doch auch alle Hoffnung in ihm vernichtet. Trotz allem versprach er uns, uns am nächsten Tag nach Hause zu bringen. Ich hätte ihn gerne noch mehr gefragt, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass es uns noch zustand.
Auf dem Weg zurück zum Gasthaus, in dem wir auf morgen warten wollten, war ich sehr still. Wir hatten endlich mal wieder etwas Gutes geschafft, indem wir Monta vom Einfluss dieses Wesens befreit hatten, doch der Preis dafür war unheimlich hoch gewesen. Doch vielleicht ging es nicht anders? Meine naive Entschlossenheit, niemals gegen meine Ideale zu handeln, hatte nicht unbedingt zu Besserem geführt. Dann waren da noch Guddens Worte, dass es in unserer Verantwortung läge, alles zu tun, zurückzukommen. Möglicherweise würde ein Hierbleiben im Bemühen nichts schlimmer zu machen, genau dieses Schlimmere auslösen? Mein Kopf drehte und drehte sich, doch ich kam zu keinem Ergebnis. Und dann war da noch die Sache mit Itiu, der mit Sicherheit eins und eins zusammenzählen würde, wenn wir ihm die Hand zurückgaben. Nicht zu vergessen Gudden, der, wenn wir wieder zurückkamen, auf Seiten unseres Gegners war und früher oder später unweigerlich zu unserem Feind werden müsste. In meine Gedanken verloren setzte ich mich mit den anderen in das Gasthaus und bestellte einen Krug Ale, doch mehr, um nicht aufzufallen, als um tatsächlich zu trinken.
Dann sprach Gudden den Punkt an, den ich befürchtet hatte … er würde aufbrechen, um Itiu die Hand zurückbringen, wir müssten nicht mitkommen. In diesem Moment traf ich eine Entscheidung. Keine, die mir gefiel, aber eine notwendige: Ich würde Gudden alleine dorthin gehen lassen. Garret und Krathus machten keinerlei Anstalten, mitzugehen, ich musste mir also wenigstens keine Lüge einfallen lassen, warum wir hierbleiben müssten. Es war mir nicht wohl dabei, den Bugbear möglicherweise in sein Verderben gehen zu lassen, doch ich sah keine andere Möglichkeit, und er selbst hatte gesagt, dass jemand nicht zurückkommen würde und auch, dass wir alles tun müssten, wieder zurückzukommen. Es überraschte mich kaum noch, dass ich dazu bereit war, auch wenn es mir nicht gefiel. Und so kreisten meine Gedanken fortan um Gudden – einen treuen und loyalen Gefährten, dem ich mein Leben verdankte und den ich gerade vermutlich sehenden Auges in sein Verderben hatte laufen lassen. Das Falsche tun, um das Richtige zu erreichen … ein Konzept, dass ich so gar nicht mögen wollte und das doch unbestreitbar effektiv war.
Meine Vermutungen verstärkten sich, als er nach Stunden noch immer nicht zurück war. Meine Hoffnung, dass Garret und Krathus wenigstens zum gleichen Schluss gekommen waren und ich mit meiner Schuld nicht alleine wäre, verpuffte, als Krathus zu hinterfragen begann, wo denn Gudden geblieben war und das wir nachsehen sollten. So war ich dann gezwungen, ihm all meine Gedanken dazu darzulegen, nicht eben eine angenehme Erfahrung, während der mir nun endlich die Tränen kamen. Doch während Garret mir immerhin zustimmte, wollte Krathus die Logik dahinter nicht akzeptieren – vielmehr streute er sogar noch Salz in die Wunde, als er fragte ob wir unsere Verbündeten ständig zurücklassen würden, da wir erst Ral und jetzt Gudden zurückgelassen hätten. Ich wollte wütend werden, wollte ihm erklären, dass die Situationen gänzlich unterschiedlich waren, dass es ein aus Naivität geborener Fehler gewesen war, Ral ziehen zu lassen, während das hier eine bewusste Entscheidung war, all das. Doch ich konnte es nicht. Mochte Krathus wenigstens noch ein wenig die Unschuld behalten, die ich offenbar verloren hatte.
Ich griff nun doch nach dem Bierkrug, stürzte ihn herunter und begab mich auf mein Zimmer – mehr, um allein zu sein denn als mich auszuruhen, denn irgendwie ahnte ich, dass ich der Ruhe diese Nacht wohl mal wieder vergeblich hinterherjagen würde …