Tagebuch: Ava
Sitzung 96
Nun, zumindest Garret hielt sich zurück. Ralkarion hingegen brachte hingegen genau jene Punkte vor, die ich erwartet hatte, was es allerdings nicht weniger erträglich machte. Im Gegenteil, zeigte es doch, wie wenig er aus der Vergangenheit gelernt hatte – er hielt es zum Beispiel noch immer für völlig richtig, bei Ostracitoren alleine losgezogen zu sein, ohne uns – mir – auch nur einen Hauch von Mitsprache einzuräumen. Warf mir und Krathus obendrein noch vor, sich nicht an den Plan gehalten zu haben. Der Kerl hatte Nerven! Machte ständig Pläne, ohne andere einzuweihen und war dann beleidigt, wenn man seinen Bullshit kritisierte. Was das Fass endgültig zum Überlaufen brachte (nun, besser gesagt, einmal mehr) war, als er mir Egoismus vorwarf. Mir, die jeden Scheiß mitgemacht hatte, trotz meiner Einwände. Die im Gegensatz zu ihm Kompromisse und Zugeständnisse gemacht hatte. Die dafür bislang nichts als Anfeindungen von dem Tiefling und Garret bekommen hatte und trotzdem noch hier war. Ich hatte mich vorher schon nicht eben zurückgehalten, jetzt war es endgültig vorbei mit dem letzten bisschen Selbstbeherrschung. Der Rest des Streits verschwamm irgendwo in den eskalierenden Vorwürfen beider. Ich wollte gerade zur nächsten Tirade ansetzen, als mein Blick von etwas hinter uns angezogen wurde. Dort hatte sich ein Schatten geformt, der mich auf eine bestimmte Art an Gudden erinnerte. Kurz darauf trat irgendeine leuchtende Gestalt aus dem Schatten heraus. Nein, nicht irgendeine Gestalt … ICH trat heraus? Was hatte das zu bedeuten? Ein Impuls war, dass es irgendein fauler Zauber des Gehörnten war, doch der Gedanke verschwand sofort wieder, nicht zuletzt, weil er mir vor dem Gesicht herumschnippte und gar nicht wahrnahm, was dort geschah. Ich hingegen fühlte mich davon so sehr in den Bann geschlagen, dass ich dagegen die Gruppe kaum noch bemerkte.
Die leuchtende Gestalt – ein leuchtendes Ich – kam auf mich zu, lächelnd. Was mich nur noch mehr verwirrte. Ich wollte gleichzeitig zurückschrecken wie auf sie zugehen und bemerkte erst jetzt, dass ich ihr meinen Arm in einer fast flehenden Geste entgegenstreckte. Ein Teil von mir erhoffte sich Antworten, ein anderer Teil verachtete die Schwäche, die ich zeigte. Es war verwirrend.
Die Gestalt ignorierte meine ausgestreckte Hand und strich mir stattdessen durchs Gesicht, bevor sie dann doch mit der Hand den Arm herabfuhr und kurz meine Hand drückte. Die daraufhin mit einem bekannten Schmerz explodierte. Goldene Fäden zogen meinen Arm herauf, glühend heiß, erreichten meinen Kopf und durchzogen von dort meine Haare. Ich schrie einmal kurz auf, doch als ich aufblickte, war die Gestalt, war ich, verschwunden. Ich hatte jeden Anschein von Fassung verloren. Was war passiert? Und warum hatte ich mich gleichzeitig so schwach und so … vollständig gespürt?
Die Stimmen der anderen drangen nur wie durch einen Vorhang aus Wasser an mein Ohr. Als ich mich zumindest ein bisschen gefangen hatte und einzelne Wortfetzen auffing, planten sie bereits das weitere Vorgehen im Hort. Typisch. Wie ich es mir dachte, von ihnen würde ich kaum Unterstützung zu erwarten haben (was ausgerechnet Ralkarion später bestätigte, als er kundtat, es wäre ihm lieber, wenn die andere Ava da bliebe – doch ich greife vor). Allerdings war das auch nichts Neues. In einem Versuch, meine Gedanken zu ordnen, murmelte ich, dass es das Klügste wäre, wenn Garret zuerst mit Foamwave sprach. Wenn der Gehörnte hier tatsächlich so gesucht war, würde eine Assoziierung mit ihm Foamwave vermutlich in Gefahr bringen. Ralkarion stimmte überraschenderweise zu, wenn auch aus seinem üblichen Misstrauen – er wollte erstmal wissen, ob man seiner Schwester überhaupt vertrauen konnte. Ausgerechnet er, der niemandem vertraute. Was mich jedoch noch mehr überraschte war, dass er vorschlug, ich solle mit Garret gehen. Ein Ölzweig? Ein Ansatz von Vertrauen? Ich bezweifelte es, hoffte fast, dass seine Vorstellung eines Ölzweiges nicht war, mir eine Rolle in einem Vorhaben zuzuweisen, dem ich nichtmal viel abgewinnen konnte. Aber ich war ohnehin nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, also stimmte ich widerwillig zu. Mit Leuten zu reden war nicht meine Stärke. Ohnehin hielt ich es nun für deutlich wahrscheinlicher, dass der Tiefling in seinem unendlichen Misstrauen einfach nur jemanden dabei haben wollte, der ein Auge auf Garret hatte. Das hingegen konnte ich nur all zu gut nachvollziehen, Garret hatte sich wegen vielem einen Namen gemacht, doch umsichtiges und kluges Handeln gehörte eher nicht dazu.
Wir setzten den Weg fort. Die anderen sprachen noch weiter, doch ich hörte nicht so recht zu und war in Gedanken wieder bei der Lichtgestalt. Nachdem sich meine Gedanken nach und nach klärten, war mir ein Verdacht gekommen. Der Schmerz war derselbe gewesen, wie ich ihn schon beim Übertritt aus der Parallelwelt gespürt hatte. War ein Teil von mir in der anderen Welt verblieben? Der jetzt versuchte, mit mir in Kontakt zu treten? Das würde das Gefühl gleichzeitiger Schwäche wie Vollständigkeit erklären. Doch wie? Und viel wichtiger: Wollte ich überhaupt, dass dieser Teil zurückkehrte? Seit dem Tag, an dem wir zurückgekehrt waren, hatte ich mich vor allem
eins gefühlt: frei. Was war, wenn dieser andere Teil zurückkam und mir diese Freiheit wieder nahm?
Weitere Überlegungen mussten warten. Wir waren am Hort angekommen und ich hatte eine Rolle zu spielen. Garret und ich stiegen vom Pferd, der sich daraufhin in einen klapprigen, alten Klepper zurückverwandelte. Offenbar hatten Ralkarion und Garret das Geschäft ihres Lebens abgeschlossen. Geschah ihnen recht. Wir betraten das Gebäude und wurden dort von einem recht komischen Vogel begrüßt – wortwörtlich. Er hielt uns für ein Ehepaar, was wir einem Impuls folgend bestätigten. Erst als wir in Richtung Büro gingen, um die Details des Aufenthalts zu besprechen, kam mir in den Sinn, dass diese Tarnung suboptimal war, wenn Garret mit Foamwave in Kontakt treten sollte. Eine Lösung dafür kam mir allerdings direkt in den Sinn und so ließ ich durchblicken, dass unsere „Ehe” möglicherweise nicht die glücklichste war. Mein Interesse an der Scharade stieg hingegen, als klar wurde, dass hier ein tatsächlich lebender Drache hauste. Ein Gedanke drängte sich mir auf … Drachen lebten noch länger als Elfen und offenbar waren viele von ihnen magisch begabt. Möglicherweise konnte dieser mir dabei helfen, das Mysterium der Lichtgestalt zu ergründen – und mir ihr in Kotakt zu treten? Nur für den Fall, natürlich. Ich überzeugte Garret daher, die Luxusvariante inklusive Tour zu buchen, dann verließen wir das Büro in Richtung Restaurant.
Ein kurzer Blick reichte aus, um festzustellen, dass Ralkarion’s Schwester nicht hier war. Zeit also, den Plan neu zu evaluieren – währenddessen konnte man dann ja auch gleich die Vorzüge des all–inklusive Tickets genießen. Vielleicht würde es mich endlich mal auf andere Gedanken bringen, es missfiel mir, wieviele davon auf die Lichtgestalt entfielen. Bei einem kurzen Besuch an der Bar scannte ich den Raum. Etwa 20 Leute, eher gut gelaunt, ein Junggesellinnenabschied erweckte besondere Aufmerksamkeit. Betrunkene waren meist leichte Ziele für die Extraktion von Informationen. Mittlerweile hatten auch Ralkarion und Krathus die Terrasse betreten und hätten mir ein Kopfschütteln abgenötigt, wenn der Plan nicht vorgesehen hätte, sie nicht zu kennen. Krathus kam auf seinen Stelzen herein und stritt sich erstmal mit dem anderen Kobold – Snek – um das Buffet während Ralkarion sich vermummt in eine Ecke abseits von allem setzte und damit genau so gut ein großes Schild „Seht mal her, ich hab was zu verbergen” mit sich herumtragen hätte können. Sei es drum, es war Teil für Akt 2 des Schauspiels. Um der etablierten Geschichte der kaputten Ehe etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen, kippte ich Garret meinen Wein ins Gesicht (von dem dieser bemerkenswert viel aufsog), brüllte ihn kurz an und verließ dann mit zur Schau gestellter Wut die Terrasse. Hinter der Tür wartete ich allerdings. Ich hoffte, Garret würde etwas draus machen, allerdings wäre ich lieber in Reichweite, wenn es schief ginge.
Außerdem verschaffte es mir Zeit, mich mit meinem eigenen Dilemma zu beschäftigen. Ich hatte den anderen auf dem Rückweg mehr oder weniger instinktiv erzählt, die Lichtgestalt wäre ein Teil von mir, der mich jahrelang unterdrückt hätte (was ihnen selbstverständlich egal gewesen war). Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wusste ich, dass ich die Wahrheit gesprochen hatte. Was mich jedoch zutiefst verwirrte war, dass ich sie nicht dafür hasste. Ich versuchte es, aber es gelang mir nicht. Ich wollte um keinen Preis in jenen Käfig zurück, unfähig, mehr als kleine Gedanken hervorzubringen, aber gleichzeitig verlangte es mich nach diesem Gefühl der Vollständigkeit. Eine vertrackte Situation, zumal ich derzeit noch keine Ahnung hatte, wie sich eine Wiedervereinigung bewerkstelligen ließe – geschweige denn eine, bei der ich weiterhin frei sein konnte. Ich hoffte, dass der Drache mir dort weiterhelfen konnte.
Garret ließ auf sich warten – ein gutes Zeichen? Zunächst erschien allerdings Krathus, der aufgrund von Fleischdiebstahl mit magischen Mitteln der Terrasse verwiesen worden war. Sein Mangel an Selbstdisziplin war wirklich enorm … Garret erschien einige Zeit später und hatte tatsächlich einiges in Erfahrung bringen können. Am wichtigsten: Foamwave war derzeit im Hort, es gäbe entweder die Möglichkeit, sie morgen anzutreffen, oder gegen eine weitere Goldzahlung direkt jetzt in den Hort zu gehen. Der kurz darauf hinzustoßende Ralkarion sprach sich für diese Möglichkeit aus, woraufhin ich und Garret uns von Meister Ravel eine entsprechende Erlaubnis holten und uns auf den Weg machten. Diesmal war ich deutlich williger, Garret zu begleiten – auch für mich konnte einiges auf dem Spiel stehen.
Doch wenngleich die Erscheinung der Drachin Belaxarim durchaus imponierte und auch Foamwave dort angetroffen wurde, aus meiner Sicht verlief der Besuch recht enttäuschend. Nachdem sich Foamwave mit Garret etwas abseits unterhielt (es mussten ja nicht gleich alle mitbekommen, welche Fragen er stellte), stellte ich der Drachin meine Fragen, doch sie konnte mir nicht weiterhelfen. Ihrer Neugier, was ich denn vorhatte, antwortete ich eher ausweichend, dass ich die goldenen Fäden wieder loswerden wollte – dass das durch eine Wiedervereinigung mit einem Teil meiner selbst geschehen sollte, schien mir selbst ziemlich absurd. Lange Zeit zu fragen blieb ohnehin nicht, denn Garret hatte bei Foamwave offenbar ziemlich daneben gegriffen und sie gesellte sich wieder zu uns. In einem Versuch, die Situation zu retten, heuchelte ich Interesse. Ich erhoffte mir wenig davon – ich wusste, dass ich eine furchtbare Lügnerin war und hatte auch gar kein Interesse daran, es zu lernen. Doch sie schien es mir abzukaufen und wurde nahezu redselig. So behutsam, wie es mir ohne echtes Einfühlungsvermögen möglich war leitete ich zu verschiedenen Themen, die der Tiefling abgesprochen wissen wollte und erfuhr nicht nur, dass sie vor Narchessa offenbar große Angst hatte, sondern auch alles mögliche über ihre Familie. Ihre Mutter, Stonearch, lebte irgendwo in The Points, ihr Vater war der Quartiermeister von Mad Dog Maddoc gewesen. Ich war froh, als sich dann endlich eine Gelegenheit bot, das Gespräch zu beenden. Es hatte mir einmal mehr meine Unzulänglichkeit vor Augen geführt, wenn es darum ging, mit Leuten zu sprechen. Völlig darauf fokussiert, irgendwie halbwegs unauffällig Informationen zu erlangen, hatte ich den Drachen daneben völlig ignoriert, was unweigerlich zu Fragen führen musste. Gleichzeitig war ich aber auch genervt davon, dass Garret so wenig getan hatte, um mich zu unterstützen. Andererseits, das war ich ja von ihm und dem Gehörnten mittlerweile gewohnt.
Entsprechend ungeduldig war ich allerdings auch, als er in seiner verschwurbelten Weise beginnen wollte, Ralkarion alles zu unterbreiten. Nach einem kurzen Intermezzo, in dem Ralkarion und Krathus übereinstimmend davon berichteten, dass Krathus sich mal wieder nicht hatte beherrschen können, legte ich dem Gehörnten die Fakten knapp dar. Das sein initialer Kommentar dazu nur „Siehst du jetzt, warum ich dich dabeihaben wollte?” war, ließ fast wieder die Wut hochkochen – erst mir Egoismus vorwerfen, jetzt noch dieses gönnerhafte, herablassende Implizieren meiner intellektuellen Unfähigkeit? Doch ich war des ganzen überdrüssig und war mit dem Kopf ohnehin noch ganz woanders. Was mich nicht daran hinderte, aufzustöhnen als Ralkarion laut überlegte, den Aufenthaltsort seiner Mutter in Erfahrung zu bringen. Bis hierhin hatte ich alles mitgemacht, aber das Maß war voll und so machte ich ihm unmissverständlich klar, dass ich nicht für eine Kreuzfahrt durch die Points zur Verfügung stand. Immerhin schien auch er nicht sonderlich erpicht darauf, wenn auch offenbar weniger aus Kompromissbereitschaft, sondern vielmehr, weil er Angst davor hatte, durch Piratengebiet zu reisen. Ich hoffte, dass es dabei bliebe und ich keinen Entschluss fällen musste, den ich trotz allem nicht fällen wollte …
Sitzung 92
Im weiteren Gespräch erwies sich Marco als ausgesprochen kooperativ. Hellhörig wurden wir, als er erwähnte, dass Azoicstrum nach dem Vorbild von Westerfell erbaut worden war – und das Marco wusste, dass Arcalys dort irgendein Projekt verfolgt hatte. Mein Misstrauen verstärkte sich sofort wieder und ich ließ zum Test einige Fragen zu diesem Projekt vom Stapel, doch schien es, als würde er tatsächlich nichts vom Nexus dort wissen. Gut. Es gab also Grenzen von dem, was er tatsächlich wusste. Vielleicht war es einmal Zeit, diese Grenzen auszutesten.
Zunächst fragte ich ihn, was er von Ravengrove wusste. Seine Antwort war recht vage, genaues schien er nicht zu wissen – doch allein der Fakt, DAS er etwas zu Ravengrove zu sagen wusste, war schon Beweis seiner Reichweite. Ich hatte schließlich selbst leidvoll erleben müssen, wie geheimnistuerisch mein Volk dort war. Versuchsweise fragte ich ihn auch nach Arina, doch von ihr wusste er nichts. Nun ja, es wäre zu einfach gewesen, mal davon abgesehen, dass ich der Info gerade wohl ohnehin nicht hätte folgen können. Es gab wichtigeres zu tun – Horden grölender Rachwoodler, die aus Langeweile weitere Teile Zoica’s zu Ruinen zerlegten und Untote Armeen, die einfielen zogen vor meinem Geist vorbei.
Testweise fragte ich ihn auch nach Garret’s Meister – ich erwartete nicht, dass er etwas wüsste, immerhin kam Garret von einem anderen Kontinent, aber als Testballon war es einen Versuch wert. Erwartungsgemäß wusste er tatsächlich nichts weiter.
Wir verließen sein Versteck und machten uns auf dem Weg zu den Spinnen. Der initialen Analyse des Plans und seiner Möglichkeiten war ein Moment des Ärgers ob des Weiteren Alleingangs von Ralkarion gefolgt. Ich hatte gehofft, dass er nach seiner Erfahrung bei der Rettung Razora’s klüger geworden sei – bei Gelegenheit mussten wir das ansprechen.
Das Gespräch mit der Spinne war allerdings nur wenig produktiv, zu abgelenkt war sie vom potentiellen „Essen” Krathus in der Nähe. Nachdem sie mehrfach wiederholt hatte, dass ein Abkommen, bei dem mehr zu Fressen für sie herauskam, uninteressant sei, beschloss ich, dass Ralkarion und Garret ihre Chance mit ihrem Plan gehabt hatte und es nun Zeit für Krathus und meinen war. In einem Versuch, beide Pläne miteinander zu vereinen, bot ich der Spinne an, dass sie ein paar von den Kobolden essen dürfe und uns dann berichten solle, wo sie die Kobolde essen dürfe. Natürlich besaß Ralkarion nicht die Zurückhaltung, erstmal zu sehen wie sich die Situation entwickelte sondern widersprach sofort aufs Heftigste. Die Spinnen würden die Skelette an Mundi liefern und damit seine Armee vergrößern. Mochte ja sein, aber es war ja nicht so, als würden die Spinnen jetzt nichts liefern würden – Hügelriesen kamen mir in den Sinn. Einmal abgesehen davon, dass es vielleicht kurzfristig Mundi’s Armee stärken, langfristig aber schwächen würde, wenn die Kobolde und möglicherweise der Rote einen Krieg gegen die Spinnen begannen. Die Spinne hatte jedoch ohnehin primär verstanden, dass sie einen Kobold essen dürfe und war wieder auf Krathus fixiert. Als wir sie wieder von dieser Idee abgebracht hatten und ich das Angebot wiederholt hatte, tat sich ein weiteres Problem auf: Die wenigstens Spinnen konnten sprechen, ausschließlich Ungol und Mundi, der “Urvater”, hatten wohl die Fähigkeit dazu. Das machte die Idee von Spinneninformanten noch absurder, aber vielleicht könnte man mit Ungol sprechen? Tatsächlich bejahte Veklani dies, Ungol habe die Fähigkeit, mit jemandem mit telepathischen Fähigkeiten Kontakt aufzunehmen. Was in dieser Gruppe ausschließlich Ralkarion war. Dürfte ihm gefallen, der Einzige zu sein, der mit ihr verhandeln konnte, ohne störenden Einfluss. Was vermutlich war, wie er mich sah, sein „Alles, was mit dir zu tun hat, beunruhigt mich”, klang mir noch in den Ohren. Nun, er würde sich dran gewöhnen müssen, dass ich nicht länger ja und amen zu allen seinen Plänen sagen würde.
Was er davon hielt, machte er direkt im Anschluss an das Gespräch deutlich, als er mich dafür anmachte, ich hätte mich nicht an „den” Plan gehalten, die Tatsache völlig ignorierend, dass es ein Unentschieden zwischen beiden Plänen gegeben hatte und ich ihm eine Chance gegeben hatte, zuerst seinen Plan umzusetzen. Ich biss mir auf die Zunge und schluckte den aufwallenden Ärger hinunter, auch wenn ich ihm am liebsten an den Kopf geworfen hätte, dass er sich dann halt seine Alleingänge sparen sollte und einfach mal im Vorfeld abklären müsste, was er vorhat und sich davon erwartet. Stattdessen erinnerte ich ihn nur kühl daran, dass es nicht den einen Plan gegeben hatte und ich der Situation entsprechend reagiert hatte, da die Spinne sich nicht interessiert hatte. Schien ihn wiederum nicht zu interessieren. So sei es denn.
Auf dieses eher unerfreuliches Treffen folgend machten wir uns zu Chrylax auf, um endlich einmal nach Azoicstrum aufzubrechen, nachdem ich Garret und Ralkarion noch mit Mühe und Not ausgeredet hatte, zuerst Mundi aufzubrechen. Einmal abgesehen davon, dass ich nicht so recht verstand, warum wir die Nachricht unterbrechen würden – Arem hatte bereits Erfahrung damit, mit ihm zu verhandeln und könnte das genauso gut tun – war Azoicstrum nur einen Teleport entfernt und würde sich deutlich schneller erledigen lassen. Unterwegs sammelten wir noch Angstrum von der Akademie ein, wir benötigten ihn für unser Vorhaben. Wie üblich hatte niemand so recht Lust, als erster hinunterzugehen und sich den obligatorischen Feuerball einzufangen, also schickten wir Krathus vor. Der Kobold stellte sich allerdings erstaunlich geschickt an und versteckte sich rechtzeitig hinter seinem Schild, so dass ihm kein Härchen gekrümmt wurde. Ob er sich damit allerdings einen Gefallen getan hatte, durfte angezweifelt werden, denn Chrylax war davon gleichermaßen verblüfft wie begeistert und bestand darauf, dass Krathus sich morgen als Testsubjekt zum Dienst meldete. Selbst, als wir bereits im Zirkel standen und er ihn aktivierte, hatte er kaum Augen für etwas anderes als den Kobold.
Die Konsequenzen davon wurden auch uns schnell klar. Denn als wir teleportierten und Krathus plötzlich in den Armen einer halbnackten Frau tanzte, war klar, dass dies nicht Azoicstrum war. Stattdessen schienen wir in eine Art … vulgäres Fest geraten zu sein, dass in dieser von Lagerfeuern erleuchteten Höhle stattfand. Wie wir von der Dame erfuhren, handelte es sich dabei um Modron’s Pleasure Domes … ein Bordell in Ailamere, wie Ralkarion erklärte. Welch Zufall … und natürlich argumentierte Ralkarion sofort dafür, dass wir dann ja auch hier nach seiner Schwester suchen könnten. Innerlich stöhnte ich auf. Es war ja nicht so, als ob es drängende Probleme gäbe. Aber ich wusste auch, wie sinnlos eine Diesbezügliche Diskussion mit ihm sein würde, so stimmte ich zu, hoffend, dass das Ganze schnell über die Bühne gehen würde.
Für das Fest benötigte es einen goldenen Armreif als Beweis des Eintritts, den wir natürlich nicht hatten. Die anderen begannen sofort, sich diese mit illusionärer Magie zu erschaffen. Auch ich tat dies zunächst, doch lies es dann sein. Die Dame war bereits nach oben unterwegs und sie hatte gesehen, dass wir keine Armreife hatten. Einem Echtheitstest würden sie ebenfalls nicht standhalten, mal ganz davon abgesehen, dass der Zauber permanent neu gezaubert werden müsste. Ehrlichkeit würde uns hier weitaus besser dienen, mit ein wenig Zurückhaltung. Apropos Zurückhaltung … ich sah mit Angstrum an, der noch immer in seiner … unsittlichen neuen Gestalt herumstand und bat ihn daraufhin, sich in den Zirkel zurückzustellen. Nachdem ich ihm noch einschärfte, sich die Symbole zu merken, die Chrylax eingestellt hatte, um diesen Ort zu erreichen, schickte ich ihn per Kommando zurück.
Keine Sekunde zu früh, denn im nächsten Moment kam eine recht … merkwürdige Erscheinung auf uns zu. Ein ausgesprochen lila Tiefling, dessen Kleidungsstil mit dem Wort extravagant kaum Rechnung getragen war. Er stellte sich als Modron, der Besitzer dieses Etablissements, vor und schien von unserer Anwesenheit eher amüsiert als verärgert zu sein, wir hätten jederzeit die Möglichkeit, den Eintritt zu bezahlen. Obwohl er mich noch zu Beginn auf eine Art begutachtet und angesprochen hatte, die mir gar nicht gefiel, wurden meine Fragen nach dem wie viel anschließend schlicht ignoriert, denn heute war der Tag von Krathus’ Fans. Er schien ganz vernarrt in ihn zu sein und bat uns in sein Büro. Ohne große Wahl folgten wir ihm dorthin. Dort bot er uns an, den Eintritt zu erlassen, wenn er Krathus „malen” dürfe, woraufhin wir einwilligten. Darüber hinaus brachte Ralkarion in Erfahrung, dass eine Tiefling, auf den Ralkarion’s Beschreibung passte, in Belaraxim’s Hort als Tourguide arbeitete (der Hort eines Drachen, der vor langer Zeit von den Ailamere Drei getötet worden war). Daraufhin fragte Modron, ob er jetzt Krathus „malen” dürfe. Ich erwartete, dass Ralkarion ablehnen würde, doch aus irgendeinem Grund war der in Bezug auf seine Schwester so ungeduldige Tiefling plötzlich sehr geduldig. Darauf angesprochen erntete ich nur ein lapidares „Er hat gesagt, es dauert nicht lange”. Ich hatte keine Lust mehr, ihm zu widersprechen und der Schaden, den dieser Umweg anrichten mochte, war wohl ohnehin kaum noch zu verhindern, also machte ich das Beste aus der Situation. Ich hatte lange abstinent gelebt und die Getränke gingen für uns aufs Haus. Während Krathus also seine Show mit Modron abzog, probierte ich mich einmal daran. Mein ungeübter Körper machte das natürlich nicht all zu lange mit und ein Whiskey aus Garret’s Heimatbrauerei gab mir fast den Rest. Angenehm umnebelt stiegen alte Erinnerungen hoch, alte Verhaltensweisen. Nicht klar denkend, gab ich mich ihnen hin, amüsierte mich sogar dabei. Erzählte Ral, wie traurig ich sei, wenn er traurig war. Einen kurzen Moment war ich mir unsicher, ob ich wirklich dankbar war, als Krathus mich schlagartig ausnüchterte. Dann kamen die Kopfschmerzen und ich befand, dass ich eindeutig nicht dankbar war. Mit meinem schmerzenden Kopf beschäftigt, machten mich die anderen darauf aufmerksam, dass mich ein Halbork beobachtete. Warum nicht, offenbar hatten wir ja Zeit, die anderen schienen sich gerade erst häuslich einzurichten. Ich ging auf ihn zu. Offenbar hatte meine Spezies seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen und er fragte mich, wo ich herkam. Seine Reaktion auf meine Antwort überraschte mich: Er hätte eher auf Notherhall getippt. Ein Halbork, der mehr über die unterschiedlichen Elfen wusste. Interessant. Erst jetzt fiel mir auf, dass er die andere Hälfte elfischer Abstammung war. Er lud mich zu einem kleinen Frage–Antwort–Spielchen ein. Ralkarion zog mich vorher allerdings beiseite. Er hatte Vronwe, wie sich der Halbork vorgestellt hatte, als einen der Ailamere Drei erkannt, also jemand Gefährliches. Ich überlegte kurz. In der Tat, doch mitten in den Pleasure Domes würde vermutlich nichts passieren. Und mehr über einen Drachentöter herauszufinden, konnte von großem Nutzen sein, wenn man bedachte, was unsere eigentliche, wenn auch pausierte Mission bedachte. Ich versicherte ihm, dass ich ihm nichts von Relevanz über uns erzählen würde. Da die anderen aber nun recht gerne gehen wollten, sagte ich ihnen, dass sie das ruhig tun könnten. Sie konnten ja schon einmal alles vorbereiten, damit es schnell weitergehen würde. Da Krathus bei mir bleiben wollte, wäre es auch kein Problem sie aufzuspüren.
Ich setzte mich wieder zu Vronwe. Das Gespräch war kurz, aber ausgesprochen interessant. Zunächst drehte es sich um Ravengrove und Notherhall. Ravengrove sei das Schattenreich, Notherhall das der Feen. Nicht unpassend. Interessanter war jedoch, dass er sagte, sein Vater habe in Ravengrove gelebt – ich hatte noch nie von einem Außenseiter gehört, der länger als sein Heilungsprozess es erforderte bleiben durfte, geschweige denn dort leben. Während die Tatsache an sich mich nur wenig überraschte – die Elfen meiner Heimat waren vernarrt in ihre beschissene Heimlichtuerei –, so war es dennoch ungewöhnlich. Auf irgendeine Art erschien es mir wichtig, ohne, dass ich genau zu sagen mochte, warum. Außerdem fragte Vronwe, ob die Leute in Ravengrove glücklich sein. Ich bedacht meine eigene Art, über Ravengrove zu denken, die meines Lehrers, Capra, Edria, die ganze verdammte Heimlichtuerei und antwortete mit nein. Ich konnte es mir zumindest nicht vorstellen.
Meine Fragen hingegen schienen ihn abwechseln zu ärgern und traurig zu machen. So antwortete er eher genervt, dass er und seine beiden Kumpane Kroft und Grimmalk Belaraxim tatsächlich getötet hatten allerdings das nicht der Auftrag war und sie sie eigentlich nur bestehlen wollten. Also in der Tat ein mächtiger Mann. Ich beschloss, einen Vorstoß zu wagen und fragte ihn, ob er glücklich sei, für Narchessa zu arbeiten. Seine Reaktion bestand darin, dass er sehr heftig darauf hinwies, dass er nur mit seinen Freunden arbeiten würde. Interessant – eine tiefe Loyalität empfand er wohl nicht … Doch nun nahm Vronwe seinen Abschied. Er wirkte … unglücklich? Genau vermochte ich es nicht zu sagen, doch das war auch nicht weiter wichtig.
Krathus wirkte seinen Zauber und wir folgten der ermittelten Position, die zu meiner Überraschung nicht der Marktplatz war, den Ralkarion genannt hatte, sondern eine kleine Hütte. Dort drin fanden wir Ralkarion und Garret in Begleitung mit einem Katzenwesen vor, der uns als sein Ziehvater Jashier vorgestellt wurde und dessen Avancen ich mich zunächst erwehren musste. Meine anfängliche Amüsiertheit ob seines Spitznamens für Ralkarion – Ralli – wich allerdings schlagartig, als ich erfuhr, was die drei besprochen hatten. Statt sich wenigstens einmal mit der Gruppe abzusprechen, war Ralkarion mal wieder vorgeprescht und hatte Jashier von dem Zirkel erzählt und dass wir möglicherweise die Waisen, die Jashier versammelt hatte, herausschmuggeln konnten. Ich bemühte mich, meinen erneut aufkeimenden Ärger herunterzuschlucken. Schon wieder ein Alleingang. Schon wieder etwas, was er nicht für nötig befand, vorher zu erzählen. Es gelang mir nicht ganz, die Aggressivität aus meiner Stimme zu verbannen, als ich auf unsere eigentlichen Probleme hinwies und darauf, dass es schwierig werden dürfte, Kinder in ein Bordell zu bekommen. Sein arrogantes Hinwegwischen meiner Einwände machte es nicht besser.
Im Gegenteil begann ich mehr und mehr, die Kontrolle über meine Wut zu verlieren, bis sie zu einem schwarzen Glühen herangewachsen war. Ohne ein Wort zu sagen, verließ ich die Hütte, knallte die Tür hinter mir zu und machte mich fast rennend auf den Weg zu den Dragonlair Tours. Du magst Alleingänge, Gehörnter? Dann mach deinen Scheiß halt alleine und ich kümmere mich um den eigentlichen Plan.
Es reichte. Erst Krathus, der mit dem Geheimnis um seine Mithrilrüstung nicht herausrücken wollte. Schön, alleine nicht weiter wichtig, wenn man außer Acht ließ, das er sie von dem verfluchten Großen Roten gestohlen hatte und ich ihm keine Sekunde abkaufte, dass das die ganze Geschichte war. Dann Garret, der ohne jede strategische Überlegung oder Rücksprache die Herrschaft und damit alle Ressourcen an den größenwahnsinnigen und gleichzeitig völlig unerfahrenen Abkömmling eines roten Drachens mit Götterkomplex und der senilen Frau eines Massenmörders abgab. Und dann Ralkarion. Der sich jedes Wort aus der Nase ziehen ließ. Der zu feige oder zu bequem war, Krathus die Wahrheit über ihn und seine Mutter zu erzählen. Der seine Pläne immer erst offenbarte, wenn er schon Fakten geschaffen hatte und offenbar erwartete, dass wir ihm freudig folgten. Der bei einem Gleichstand in der Abstimmung seine Version des Plans als die einzig gültige wahrnahm.
Ihr schafft gerne Fakten, Ralkarion und Garret? Gut, dann mache ich das jetzt auch. Wenn ihr so arbeiten wollt, ich kann das auch. Ich würde seine verdammte Schwester zu ihm bringen, damit das zumindest abgeschlossen wäre. Und wenn er dann irgendwann in einer kleinen Hütte mit seinen Waisen und seiner Schwester saß, während um ihn herum die Welt brannte, dann würde ich da sein, um es ihm unter die Nase zu reiben.
Unterwegs musste ich mehrmals anhalten und nach dem Weg fragen. Auch wenn ich dabei auf keinen Widerstand stieß, so holte mich Krathus unterwegs ein und fragte recht eingeschüchtert, was denn los sei. Ich war nicht in der Stimmung, dem kleinen Kobold alles lang und breit darzulegen, immerhin war er Teil des Problems, so verkürzte ich sinngemäß darauf, dass jeder immer egoistisch seinen eigenen Scheiß machen würde und es mich ankotzte, immer ausgeschlossen zu werden. Eine Übersteigerung? Sicherlich, aber ich hatte keinen Nerv für Nuancen mehr.
Angekommen bei der Tour buchten wir eine Kutsche. 10 Gold erschienen mir sehr viel, aber ich bezahlte einfach. As Krathus in Erfahrung brachte, dass die Kutsche erst in zwei bis drei Stunden auftauchen würde, stachelte das den gerade abflauenden Zorn wieder an. Krathus beschwor sein Reittier, doch ich musste mich abreagieren. Irgendetwas in mir regte sich und als ich die gelangweilte Angestellte aufforderte, uns dann das Geld zurückzugeben, spürte ich, wie sich die Adern in meinem Gesicht hervortaten. Was die Dame sichtlich entsetzte und als würde sie um ihr Leben fürchten, schmiss sie uns das Silber zurück. Ich hatte weder Muße, nachzufragen wieviel die Strecke an sich eigentlich kostete, noch nachzuzählen, sondern stieg einfach auf und befahl Krathus, aufzubrechen. Irgendetwas rann meine Wangen herab. Tränen? Warum das? Ich führte meine Finger dorthin und besah sie sich. Tränen, sicher, aber aus Blut. Interessant.
Den ersten Teil des Weges verbachten wir schweigend. Als meine Wut allmählich von einem schwarzen Glühen zu einem Lagerfeuer heruntergebrannt war, fragte ich Krathus nicht eben freundlich, ob er eigentlich wirklich so dämlich war, wie er tat, oder ob das nur eine Maskerade war. Was habe er zu verbergen? Ein recht eingeschüchterter Kobold erzählte mir daraufhin, dass er eigentlich gar kein Paladin war, sondern nur ein einfacher Bannerträger. Er und sein Freund Slip hatten eine bescheuerte Wette abgeschlossen, wer etwas vom Offizier klauen konnte. Sein Freund war seitdem verschwunden, doch er war mit der Rüstung entkommen. Na wunderbar. Er war also nicht einfach nur ein entlaufener Paladin, sondern hatte einen Offizier dieser offenbar recht mächtigen Garde verärgert. Die Tatsache, dass es bereits recht lange her war ließ zwar hoffen, dass der Offizier nicht mehr aktiv nach ihm suchte, doch manche Mächtige waren sehr hartnäckig, wenn es um ihren Besitz ging. Ich würde von nun an noch öfter über meine Schulter gucken. Ein Teil von mir wollte die Wut neu entfachen darüber, dass der Kobold das bis jetzt für sich behalten hatte, doch allmählich begann der rationale Teil wieder Oberhand zu gewinnen. Ich biss daher einmal wieder auf meine Zunge und konzentrierte mich auf die Tatsache, dass ich jetzt immerhin davon wusste. Und anders als die anderen hatte ich kein Problem damit, innerhalb der Gruppe Informationen zu teilen.
Nach einiger Zeit tauchte hinter und ein Pferd auf, dass zwei Gestalten mit sich trug. Ich konnte mir denken, wer das war. Ich konnte allerdings nicht sagen, dass ich darüber erfreut war. Eine Predigt wie alles, was sie täten ja völlig richtig und moralisch sei und ich ja nur übertreiben würde und rücksichtslos sei konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen.
Sitzung 90
Doch zu dem Gespräch kam es nicht, denn die anderen hielten es für wichtiger, zunächst einmal Melody aufzusuchen und nachzusehen, ob es geklappt hatte und um Ral’s Versprechen einzulösen, ihr Angstrum vorzustellen. Also machte ich gute Miene zum idiotischen Spiel und sagte nichts. Wer weiß, vielleicht würde ja zumindest ein wenig Amüsantes herauskommen. Und immerhin hatte ich mittlerweile gelernt, dass Melody eine wohl nicht ganz untalentierte Divination Magierin war, das mochte noch wichtig werden. Gleichzeitig ärgerte ich mich, dass man mir das nicht gleich gesagt hatte und stattdessen bei dem vagen “mächtige Magierin” belassen hatten. Warum musste man hier eigentlich jedem immer alles aus der Nase ziehen? Außer Krathus vielleicht, der dagegen schon wieder zu offenherzig mit seinen Informationen war … nun, jedenfalls brachten wir Angstrum ein wenig Etikette im Umgang mit Frauen bei, wovon ich allerdings bezweifelte, dass er die wirklich verstehen würde.
Ral ging zuerst hinein, um mit Melody zu sprechen. Wenig später kam er heraus, mit einer tatsächlich wiederhergestellten Melody im Schlepptau. Nun, mit der Variation, dass ihre Flügel nun strahlend weiß, schon fast engelsartig waren. Das Aufeinandertreffen zwischen Angstrum und Melody war tatsächlich recht amüsant, zumal Melody sich erst einmal überschwänglich bei „ihrem Schüler” Garret bedankte, was Angstrums Gesicht ausgesprochen lang werden ließ. Nicht zuletzt wegen einiger doch sehr dick aufgetragener Geschichten von Ralkarion zog aber letzten Endes der Bugbear mit Melody in die Nacht. Ich sah den beiden kopfschüttelnd hinterher. Für eine mächtige Magierin war sie doch reichlich naiv, auf so etwas hereinzufallen …
Obgleich es schon recht spät war, wurde beschlossen, noch bei Lafayette vorbeizuschauen. Ich hatte nichts dagegen, den Tag mit etwas Produktiven zu beenden. Das hieß natürlich zunächst bei Birch vorbeizuschauen, um das Tor öffnen zu lassen. Einmal mehr war dieser sturzbetrunken und natürlich sofort wieder mit anzüglichen Kommentaren bei der Sache. Kaum zu glauben, dass ich mich vor gar nicht so langer Zeit selbst mit diesem Ekel betrunken hatte … aber er war nunmal ein notwendiges Übel. Nach ein wenig Überzeugungsarbeit, in deren Zuge wir feststellten, dass Garrets Rücktritt wohl schon die Runde gemacht hatte, ließ er uns hinein. Obwohl wir mit ihm rechneten, erwischte Bing Ralkarion dann doch unerwartet, er war einmal mehr zum spielen aufgelegt. Von seinen Launen wissend beachteten wir ihn nicht weiter, doch Krathus schien dem Tier zu misstrauen, was in Rachegelüste umschlug, als der Panther seine Duftmarke an seiner Rüstung setzte. Ralkarion bereinigte sie mit einem Zauber, den ich schon öfter bei ihm gesehen hatte, doch auch das schien Krathus nicht recht zu sein, so dass er sich sofort wieder etwas Dreck auf die Rüstung schaufelte. Einer inneren Eigebung folgend streckte ich die Hand aus und wiederholte die Bewegungen, die ich schon öfter bei Ral gesehen hatte. Sehr zu meinem Vergnügen funktionierte es auch bei mir. Das lange Gesicht des Kobolds war ein Bonus.
Instinktiv steuerten wir auf den Nebeneingang zu, wo uns ein sichtlich unbegeisterter Lafayette in Empfang nahm. Ich genoss sein Missfallen, er hatte es sich redlich verdient, achtete aber darauf, dass nicht zu offen zu zeigen – ein dankbarer Lafayette war wichtiger als meine persönlichen Vorlieben. Leider hielt sich seine Dankbarkeit in Grenzen – die Nachricht, dass sein Hausarrest beendet war sorgte gerade einmal dafür, dass er uns nicht herauswarf und anhörte, was wir von ihm wollten. Der erste Teil des Gesprächs bestand mehr oder weniger darin, dass er sich über die neuen Machtverhältnisse in Zoica beschwerte. Das letzte Mal, dass Zoica unter der Herrschaft eines Drachen stand, hatte es nicht gut geendet und war schon währenddessen nicht all zu gut gewesen. Nahm man Posetine’s bisherigen Regierungsstil und Al’Charas Einstellung, so hatte er damit vermutlich Recht – auch diesmal würde die Bevölkerung wohl nicht unbedingt gut davonkommen. Nur bezweifelte ich, dass es ihm darum ging, statt um die Erweiterung seiner eigenen Machtfülle. Letzten Endes war es mir egal – keinen von beiden wollte ich auf dem Thron von Zoica sehen, aber Garret war nunmal abgetreten, Arem war wohl kaum der Typ für einen Putsch und weitere akzeptable Kandidaten waren mir nicht bekannt. Also würden wir mit den Karten spielen müssen, die uns gegeben waren. Durchaus eine Herausforderung. Ich mochte Herausforderungen.
Ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen, als Lafayette sich Krathus Rüstung zu wand und das Mithril als in Mon Mithral geschmiedet identifizierte. Interessant. Kannten wir damit einen Lieferanten und weiteren Verbündeten des Großen Roten? Aber laut Krathus Aussage war diese leichte Rüstung etwas Besonderes gewesen, also konnte sie genau so gut gestohlen sein. Also wohl ein weiterer Punkt auf unserer sich rapide erweiterten Reiseroute. Dennoch, die Aussicht, entweder einen Mithrillieferanten für die Stadt zu gewinnen oder aber einen Verbündeten Shadars zu entlarven und wenn möglich zu eliminieren war eine gute. Im Zuge dessen kam auch die Frage auf, ob die Zahlungen, die Cuu getätigt hatte, weitergeführt worden waren. Ich wusste nicht, wovon er redete, doch offenbar hatte es mannigfaltige Zahlungen von Cuu an diverse Orte gegeben. Ich seufzte innerlich. Mit einem etwas organisierterem Umsturz hätten wir davon vermutlich längst gewusst. Auf die Frage, wohin sie genau gingen, wusste Lafayette jedoch keine Antwort – alle seine Agenten, die er darauf angesetzt hatte, waren tot aufgefunden werden und er wollte daher nicht noch mehr schicken. Ich konnte mir den Kommentar nicht verkneifen, dass ich dann froh war, dass ich nie darauf angesetzt worden war. Seine Reaktion war recht aussagekräftig: Die Agenten wüssten, worauf sie sich einließen, Berufsrisiko halt. Was bedeutete, dass er sie nicht aus reiner Menschenliebe zurückhielt, sondern weil seine Ressourcen das nicht hergaben. Was ihn wiederum weniger hilfreich machte.
Dieser Eindruck verstärkte sich nur, als wir uns darum bemühten, Kapital aus seiner Befreiung zu schlagen. Ral wollte, dass er seine Kontakte dazu nutzte, nach Lia Ausschau zu halten. Auf Grund der eher vagen Hinweise, die wir hatten, stimmte er zu, einen einzelnen Agenten an den wahrscheinlichsten Aufenthaltsort zu schicken, doch mehrere Agenten loszuschicken blockte er vehement ab. Also waren seine Ressourcen tatsächlich stark reduziert oder aber er hatte damit anderes vor. Vermutlich Selbstsüchtigeres. Da im Verlauf des Gesprächs herausgekommen war, dass er auch in seiner Haft wohl durchaus Kontakte nach außen gepflegt hatte, versuchte ich mit einer Drohung nachzuhelfen – die Königin wäre wohl kaum erfreut darüber, zu erfahren, dass er ihren Hausarrest unterwandert hatte. Da das aber eher nach hinten losging, „entschuldigte” ich mich – immerhin ein Agent, auch wenn ich wenig Hoffnung hatte, dass er damit irgendetwas ausrichten würde. Das Wissen, ein Druckmittel gegen ihn in der Hand zu haben, war den Besuch immerhin bereits wert gewesen.
Im Zuge der Diskussion ob der Informationsbeschaffung kam das Gespräch noch auf Marco, an dem Lafayette wie üblich kein gutes Haar ließ. Er hielte sich Kindersklaven, wäre gegen Arkanisten, aber schickte sie jetzt selber auf die Akademie und so weiter und so fort. Innerlich gähnte ich. Natürlich vertraute ich Marco keinen Deut weiter als Lafayette, ich hielt ihn sogar für gefährlicher – das aber vor allem deshalb, weil er cleverer war. Im Vergleich der beiden Männer kam mir Lafayette immer wieder wie ein kleines Kind vor, dass versuchte, mit dem Spielzeug des erwachsenen Marco zu spielen und sich dabei regelmäßig die Finger klemmte.
Nach unserer Visite war es Zeit, zum Compound zurückzukehren. Ein kurzer Zwischenstop bei Gereon, um wegen der Zahlungen nachzufragen, brachte nur wenig Nutzbares – auch er wusste nicht, wohin die Zahlungen gingen, er hatte immer nur den Wagen mit Gold bereitgestellt, der dann abgeholt worden war. Einmal hatte er aber immerhin eine kleine Gestalt gesehen, die um den Wagen herumgeschlichen war. Ein geringer Anhaltspunkt, aber immerhin – ich beschloss, die Wachen am nächsten Morgen zu befragen, ob sie mehr dazu wussten, dann begab ich mich zur Ruhe.
Leider war die Befragung am nächsten Morgen nicht von Erfolg gekrönt, keine hatte etwas gesehen. Ich stattete dem Quartiermeister noch einen kurzen Besuch ab, um meine Rüstung abzuholen. Die Färbung war gelungen, doch beim Anpassen hatte er geschlampt, sie saß immer noch nicht richtig. Vermutlich würde ich erst wieder eine gut sitzende Rüstung haben, wenn wir nach Ravengrove kommen sollten … nun ja, zumindest schränkte sie die Bewegungsfreiheit nicht mehr so ein wie vorher.
Ich setzte mich an den Frühstückstisch, wo wenig später die anderen hinzustießen. Krathus war sichtlich verstört und stank nach faulem Ei, während Ralkarion dazu erklärte, er habe Krathus gestern Nacht aufgeklärt. Krathus hatte allerdings wohl noch immer nichts verstanden, was mich nicht wunderte, aber enorm amüsierte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie Ralkarion wortreich um den heißen Brei herumgeredet hatte und Krathus jedes einzelne Wort für sich aufgenommen hatte, ohne den Sinn zu verstehen. Nachdem ich den Teller magisch auffing, den Ralkarion an die Wand donnern wollte, bemühte ich mich meinerseits um Aufklärung, wenn auch auf die knappe Tour. Letzten Endes war es unwichtig, ob Krathus das Prinzip der Fortpflanzung verstand, aber es konnte für Erheiterung sorgen, sollten wir einmal auf einen ihm zugetanen weiblichen Kobold treffen und ich würde mich nicht wieder mit Fragen zu Stelzen herumärgern müssen. Oder vielleicht doch, man würde sehen.
Erst danach wurde das Gespräch wieder wirklich interessant. Ralkarion deutete etwas von einem Plan mit den Spinnen an. Er zierte sich ein wenig, doch ich hatte wenig Lust auf weitere Geheimnisse und auf sanften Druck rückte er schließlich damit heraus, dass er Kontakt mit den Spinnen aufgenommen hatte und am kommenden Tag mit ihnen darüber verhandeln wollte, uns in Bezug auf die pilgernden Kobolde zu unterstützen. Ein guter Plan, doch er wollte es bei der Informationsbeschaffung belassen – eine vertane Chance. Was nützte uns die Information, dass Kobolde den Nexus entdeckt hatten, wenn diese Kobolde die Information frei weitergeben konnten? Nein, es war sicherer die Spinnen als Attentäter einsetzen zu lassen. Verfressen, wie sie waren würde das wohl kaum Verdacht erregen. Auch der Zeitpunkt war gut gewählt, die Spinnen hatten sich vorerst aus Zoica’s Umland zurückgezogen und suchten neue Gebiete. Und selbst gesetzt den Fall, dass die Spinnen ein zu großes Ärgernis würden: Sie waren mehr ein in Schach gehaltener Feind denn ein Verbündeter. Wenn die Kobolde und Spinnen sich gegenseitig ausmerzten, wäre dies für uns ein Gewinn – beide Seiten würden geschwächt und die Gefahr der Entdeckung des Nexus in Azoicstrum wäre um ein vielfaches geringer.
Doch natürlich passte das Ralkarion und Garret nicht. Garret schlug vor, man könne die Spinnen ja nur auf die Kobolde ansetzen, die in Richtung Azoicstrum zögen. Während ich es begrüßte, dass er die Möglichkeit eines gewaltsamen Einsatzes der Spinnen nicht gänzlich ausschloss, so war dies keine Option. Früher oder später würde jemand bemerken, dass immer nur Kobolde verschwänden, die in eine bestimmte Richtung unterwegs waren und eins und eins zusammenzählen. Nein, wenn das Manöver Erfolg haben wollte, musste es sich gegen alle Kobolde richten. Da Krathus meiner Sichtweise zustimmte, waren wir mal wieder in einer Pattsituation angelangt. Nun, wir würden sehen. Das Treffen war erst morgen. Ich würde beobachten, wie die Spinnen reagierten – und im Zweifelsfall war Ralkarion ja nicht der Einzige, der mit ihnen sprechen konnte.
Nach dem Frühstück brachen auf, um zu Marco zu gehen, jedoch nicht ohne Krathus eingeschärft zu haben, dass er dort seine Klappe zu halten habe. Wenngleich dieser ständig seinen Sitz wechselte, war es nicht all zu schwer, einem seiner Kinder diesen zu entlocken, einmal mehr ein leerstehendes Gebäude, von denen es in Zoica noch immer recht viele gab. Angesichts seiner unzweifelhaften Fähigkeiten erhoffte ich mir von ihm deutlich mehr als von Marco und wurde nicht enttäuscht. Ich hoffe nur, dass wir im Gegenzug nicht zu viel preis gaben, ich wollte diesem Mann nicht eine Information zu viel geben, die er später möglicherweise gegen uns verwenden könnte. Doch ohne ein Mindestmaß an Kooperation war er nun einmal recht verschlossen. Unpraktisch, aber nachvollziehbar.
Zunächst einmal erfuhren wir von ihm, dass es offenbar Gardis gewesen war, der Cuu’s Goldzahlungen ablieferte, recht beträchtliche Summen noch dazu. Ich musste einmal mehr an Lafayette denken und wie stümperhaft er sich im Vergleich zu Marco verhielt. Gleichzeitig ein Dilemma: Marco war zweifelsohne die wertvollere Quelle, doch Lafayette war leichter zu durchschauen und damit zu kontrollieren. Gleichzeitig standen sie in Konkurrenz zueinander und konnten sich gegenseitig nicht riechen, was Marco ebenfalls überdeutlich klar machte. Vielleicht lag hier auch eine Chance begraben.
Und dann ließ er sprichwörtlich eine Bombe platzen. Er erwähnte, dass er aus der „Alten Welt” kam – Mocny, vor seiner Zerstörung vor tausenden von Jahren. Offenbar war Marco bei dieser Explosion zwischen zwei Phasen gewesen, ein Zauber mit dem die Leute dort trotz ihrer Abneigung gegen Arkanisten experimentiert hatten, und existierte seither in einer Art eingefrorenem Zustand – er alterte nicht. Mocny hingegen beschriebe er als ein Land, indem es nur noch Schatten gab, die zwar existierten, aber nicht mehr lebten. Schatten? Moment. War es möglich, dass … ich würde es hm zeigen müssen, ein reines Nachfragen würde nicht den gewünschten Effekt haben. Marco genau beobachtend, ließ ich eine Illusion eines jener Schattenwesen entstehen, die Gudden regelmäßig beschworen hatte. Die Reaktion war umwerfend. Noch nie zuvor hatte ich Marco überrascht gesehen, doch er schien ehrlich überrascht davon und fragte sogar, was wir davon wüssten und ob wir es gesehen hätten. Ich beobachtete ihn weiter sehr genau, als Ralkarion vorsichtig von einer mächtigen, magischen Quelle berichtete, die von dem Großen Roten benutzt worden war, um Mocny zu vernichten. Er schien davon tatsächlich nichts zu wissen, doch das musste nichts heißen – Leute lesen war nie meine Stärke gewesen und jetzt noch weniger. Den Verdacht, den ich hegte, wurde damit zwar nicht bestätigt, aber ganz beiseite legen konnte ich ihn dennoch nicht.
Das weitere Gespräch verlief dann wieder in deutlich bekannteren Bahnen. Ironischerweise hatte er ähnliche Vorbehalte gegen die neue Regierung wie Lafayette, wenn auch gänzlich andere Gründe dafür. Und er wiederholte einige der Vorwürfe, die auch ich schon Garret gemacht hatte, auch wenn ich bezweifelte, dass das irgendetwas bei dem Halbling ändern würde – auch er war klug genug, Marco nicht zu vertrauen. Deutlich interessanter wurde es dann, als Ralkarion bei seiner Aussage packte, er wolle nur das Beste bei Zoica und ihn nach dem Aufenthaltsort von Lia befragte, schließlich sei es unbedingt im Interesse von Zoica, sie zu finden. Und tatsächlich – er wusste, dass sie sich erst vor kurzem eine zeitlang in Westerfell niedergelassen hatte.
Bisher ließ sich dieses Gespräch gut an. Ich begann mich zu fragen, ob auch ich ihm noch ein paar Fragen stellen sollte – in Vorbereitung darauf begann ich durchzugehen, welche Informationen ich ihm im Gegenzug weitergeben könnte und welche nicht …