Ralkarion
Als Kleinkind kam Ralkarion auf einem Schiff als blinder Passagier in der Stadt Ailamere an. Er wusste weder wo er herkam, noch wieso er auf dem Schiff gewesen war. Alles, was er bei sich hatte war ein kupfernes Familiensiegel, dass jedoch niemand erkannte.
Ohne Herkunft, ohne Eltern war er eine Waise. Und wäre er ein normales Kind gewesen, so hätte sich aber vermutlich jemand erbarmt ihn aufzunehmen. Doch war er ein Tiefling. Seine Blutlinie zog sich Jahrtausende zurück, bis zu einem Ereignis, wo sie mit Dämonenblut in Kontakt kam. Verhängnisvoll für alle Nachkommen, denn sie alle waren, sind und werden mit diesem Makel gezeichnet sein. Dieser schlägt sich in einem besonderem Erscheinungsbild nieder. Hörner, spitze Zähne und einen schuppigen Schwanz. Die Optik allein aber ist nicht das Abschreckende - es ist das dämonische Blut selbst, was die Leute verängstigt oder sie voller Abscheu reagieren lässt.
So wuchs Ralkarion auf den Straßen der Hafenstadt auf. Hier gab es nicht viele Vorurteile. Wer ohne Heimat und Geld für Essen war, gar von der Gesellschaft verstoßen, der fand stets Gleichgesinnte. Denn wer so weit unten gelandet war, der musste sich auch vor einem vermeintlichen Fluch, wie dem Dämonenblut, nicht mehr fürchten. Was konnte man jetzt noch verlieren? Daher fand auch Ralkarion hier Freunde. Und ein Besonderer nahm ihn unter seine Fittiche, zeigte ihm wie man hier allen Widrigkeiten zum Trotz überleben konnte. Auch wenn dies häufig nicht den Regeln und Normen der restlichen Bevölkerung zusagte.
Jeder, der so lebte, kam eines Tages in Berührung mit der organisierten Kriminalität. Bedenkt man die Lebensumstände dieser geschundenen Seelen, so war es kein Wunder, dass sich der Großteil davon auf der Suche nach einer langfristigen Quelle an Gold früher oder später einer Gaunerbande oder sogar einer größeren Organisation anschloss. So auch Ralkarion. Er hatte durch einige geschickte Einbrüche und beeindruckende Informationsbeschaffung die Aufmerksamkeit von Narchessa, einer verruchten Schmugglerin halbelfischen Blutes, auf sich gezogen. Es gab Sicherheit, guten Lohn und stets ein warmes Bett. Für eine Zeit schien das Leben auf der Straße in weite Ferne gerückt zu sein.
Eines Nachts führte ihn ein Auftrag in die Gemächer eines lokalen Artefakthändlers. Das Objekt der Begierde Narchessa's war eine kleine hölzerne Figur gewesen. Und Ralkarion war ihre erste Wahl für den Coup. Alles lief entsprechend der Erwartungen glatt, so dass er in kürzester Zeit vor seinem Ziel stand. Doch wie er nach der Figur griff entlud sich ein plötzlicher Energieschwall. Der Raum wurde von einer Druckwelle erschüttert. Kleiner Objekte flogen von ihren Plätzen, die Fenster stießen auf. Und er selbst spürte eine tiefgreifende Veränderung. Etwas in ihm war erwacht, wurde durch die Figur kanalisiert und Freigesetzt.
Hastig verließ er das Anwesen und zog sich in die schattigen Gassen der Stadt zurück. Als er sicher war keine Verfolger zu haben war es an der Zeit das Erlebte zu durchdenken. Zu erfassen, was passiert war. In den Jahren im Untergrund konnte er viele Informationen erhalten, die normale Anwohner nicht erfahren würden, oder als Märchen abtäten. Seine Erfahrung sagte ihm, dass er ein magisches Potential freigelegt hatte. Er war ein Zauberer. Und dieses Objekt ein arkaner Fokus. SEIN arkaner Fokus.
Nie und nimmer würde er der alten Schachtel Narchessa dieses Objekt überlassen. Sie würde es ihm aber auch nicht verkaufen. Viel eher würde sie ihm den Gegenstand für seine Dienste überlassen. Für Dienste, die Jahrzehnte Freiheitsverlust bedeuten würden. Untergebene mit magischen Fähigkeiten waren begehrt, geradezu unbezahlbar, in der Unterwelt und man ließ sie nicht ohne Halskette gewähren - zumindest nicht hier in Ailamere's Schatten.
Was als nächstes geschehen würde war ganz klar. Fliehen. Denn Narchessa zu hintergehen, was er durch das Behalten der Figur tun würde, wäre ein Todesurteil. Ralkarion klügelte einen Plan in seinem Kopf zurecht seinem Hals die Schlinge zu ersparen. Irgendwie schaffte er es glaubhaft zu vermitteln, dass er den Bruch noch nicht ausgeführt hätte. Das verschaffte ein paar Tage Zeit. Diese nutzte er so viel Gold wie möglich zusammenzutragen und im Geheimen die Figur, gegen genug Bezahlung unter der Hand, bei einem versierten arkanen Handwerker in täuschend echtes Tieflingshorn umzuwandeln und anstelle seines in der Kindheit abgebrochenen anzusetzen. Auf diese Art war sein arkaner Fokus stets bei ihm und völlig unauffällig.
Die Arbeiten waren gerade rechtzeitig fertig geworden, als sein Boss Wind von seiner Lüge bekam. Seine einstigen Kumpane waren ihm jetzt auf den Fersen. Und sie würden keine Skrupel haben ihm jeden Knochen im Leib zu brechen. Nur durch die Hilfe seines ältesten Freundes, der ihn zu Beginn seiner Zeit in Ailamere aufnahm, war es ihm schlussendlich möglich von der Straße zu verschwinden und bald darauf die Stadt heile zu verlassen.
Erneut war er Heimatlos geworden. Doch seine neu entdecken Kräfte trieben ihn an. Er wollte mehr erfahren, mehr lernen. Wenn ein einfaches Artefakt solch eine Wirkung gehabt hatte, was würden noch mächtigere bewirken können? Wo würden die Grenzen solcher Mächte sein? Gab es überhaupt welche? Das galt es herauszufinden. Mit diesen Überlegungen, dieser Motivation, zog er los. Stets auf der Suche nach magischen Geheimnissen, Ruinen in denen weitere Artefakte liegen mochten oder einem schlecht geschütztem Laden für Magiebedarf. Aber immer darauf bedacht, dass es wenn es hart auf hart kam, niemals sein schuppiger Schweif war, der in der Schusslinie stand …